Stuttgarter Weihnachtsmarkt: Tee, kalte Finger und Kundengespräche: Alltag am Weihnachtsmarktstand In zweiter Generation: Christian Tinz führt jetzt den Stand seiner Mutter auf dem Stuttgarter Weihnachtsmarkt weiter. Foto: Ferdinando Iannone

Was gehört eigentlich dazu, einen Weihnachtsmarktstand zu betreiben? Ein traditionsreicher Stand am Schillerplatz gewährt einen Einblick hinter den Verkaufstresen.

Der Weihnachtsmarkt lädt wieder ein. Es glitzert, es duftet, und tausende Besucherinnen und Besucher schieben sich zwischen den Ständen hindurch. Aber wie ist es eigentlich, so einen Stand zu betreiben, beim Weihnachtsmarkt nicht nur zu gucken, sondern zu arbeiten? Einer der das weiß, ist Christian Tinz. Er verkauft Weihnachtswachsschmuck und Springerle – und verbringt dafür viele Stunden in seiner kleinen Holzhütte am Schillerplatz.

Für Christian Tinz ist es erst die zweite Saison, doch der Stand selbst ist eine Institution. Seit 1974 steht er an derselben Stelle gegenüber des Alten Schlosses. Aufgebaut hat ihn damals Christians Mutter, Irmgard Tinz, gelernte Wachsbildnerin aus Altötting. Über 50 Jahre lang hat sie hier in der Adventszeit ihre Wachsmodel und Springerle verkauft. Jetzt führt Tinz weiter, was seine Mutter jahrzehntelang geprägt hat: ein seltener Handwerksberuf, viel Geduld – und vor allem Leidenschaft.

Dick einpacken, das ist wichtig

Für ihn beginnt der Arbeitstag jeden Morgen um 11 Uhr. Bis 21 Uhr bleibt er an seinem Platz, am Wochenende sogar bis 22 Uhr. „Dick einpacken, das ist auf jeden Fall wichtig“, sagt er und lacht. Unter der Woche ist Christian meistens allein im Verkauf, Angestellte einstellen, das würde sich nicht lohnen. Am Wochenende hilft seine Frau Suna Tinz und auch Mutter Irmgard Tinz ist weiterhin ein wichtiges Bestandsteil.

Hauptberuflich ist Christian Kaminfeger. Der Weihnachtsmarkt ist für ihn ein Herzensprojekt – ein aufwendiges, aber erfüllendes. Seine Frau Suna Tinz weiß, dass nicht jeder für die Arbeit auf dem Weihnachtsmarkt gemacht ist: „Ich finde, man muss der Typ dafür sein. Dieses Marktleben – das muss man irgendwie im Blut haben.“

Mikrokosmos Weihnachtsmarkt

Zwischen den Ständen entwickelt sich in all den Wochen ein eigener Mikrokosmos. Man kennt sich, man hilft sich, man teilt Tee, Kuchen – und kalte Finger. „Man sieht sich jeden Tag. Man hilft sich, wenn jemand etwas braucht. Das ist das Schöne – dass es immer die gleichen sind“, sagt Christian Tinz.

Auch die Kundinnen und Kunden kommen Jahr für Jahr wieder. Sehr zur Freude der Standbetreiber. „Es ist schön, jedes Jahr wieder bekannte Gesichter zu sehen“, erzählt er. Manche besuchen sogar nur diesen Stand – um neue Springerle-Model zu kaufen oder einfach, um „Hallo“ zu sagen.

„Nein, das ist keine Schokolade“ – auf den ersten Blick verwechseln viele Besucher den Weihnachtswachsschmuck mit Süßwaren. Foto: Leif Piechowski

 Leerlauf hat er kaum an seinem Stand: Waren ordnen, aufräumen, mit den Kunden sprechen, Springerle erklären. Gerade letztes passiert oft. Viele Besucher fragen zuerst, ob die Wachsmodel aus Schokolade seien. Andere erkennen die traditionellen Motive sofort wieder – Erinnerungen an die Großmütter, an die Weihnachtsbäckereien, an die Kindheit.

Hergestellt wird der Wachsschmuck schon lange vor dem ersten Advent. „Im Frühjahr fängt die Produktion an. Im Sommer geht wegen der Hitze fast nichts“, erzählt er.

Bis ein Wachsbild fertig ist, hat man es mehrmals in der Hand. Es wird gegossen, die Ränder werden glatt gearbeitet, Patina aufgetragen und wieder entfernt, am Ende poliert und mit Reispapier hinterlegt. Das ist eine Menge Arbeit.

Irmgard Tinz auf dem Weihnachtsmarkt 2019: Zwischen selbstgebackenen Springerle ist sie in ihrem Element. Foto: Leif Piechowski

Aber für Christian Tinz lohnt es sich. Auf dem Weihnachtsmarkt erlebt man viel – wie überall dort, wo Menschen sich begegnen. Besonders viel los ist meist am letzten Adventswochenende. Da kann es dann auch mal hektisch werden. „Da fällt auch dem Letzten ein, dass er mal Weihnachtsgeschenke besorgen sollte“, sagt Tinz und schmunzelt.

Das Vermächtnis seiner Mutter

Während Christian Tinz heute den Verkauf übernimmt, ist die Geschichte des Standes ohne seine Mutter nicht zu erzählen. Irmgard Tinz backt bis heute Springerle – morgens und abends, wie sie es seit Jahrzehnten tut. Viele ihrer Kundinnen und Kunden kennen sie persönlich, manche kaufen „ihre“ Springerle seit ihrer Kindheit. Sie ist eine der letzten ihrer Art, eine der letzten traditionellen Wachsbildnerinnen im süddeutschen Raum.

Alles stellt sie bis heute nach alter Handwerkskunst her. „Handarbeit“ – ein Wort, das am Schillerplatz noch Gewicht hat. Und eines, das wieder gefragt ist: „Man merkt, dass die Menschen wieder Wert auf Handgemachtes legen“, sagt ihr Sohn, „das ist wirklich schön“.