Aus drei Familien musste die Vermieterin aus Oberhaching auswählen – eine schwierige Entscheidung, denn alle Bewerber brauchten endlich eine angemessene Unterkunft. Dass die Wahl schließlich auf eine sechsköpfige afghanische Familie fiel, die jetzt in das 120 Quadratmeter-Haus einziehen durfte, lag an dem Sohn, der in die siebte Klasse geht. Er sagte bei dem Treffen mit den Hauseigentümern: „Meine Hausaufgaben mache ich immer auf der Toilette. Das ist der einzige Ort, an dem ich Ruhe habe.“

Das dürfe nicht sein, befand die Vermieterin, und entschied sich dafür, dass dieser Junge nun aus den 50 Quadratmetern, die er bisher mit Eltern und drei Geschwistern in einer Unterkunft bewohnte, ausziehen konnte. Es gibt jetzt drei geräumige Schlafzimmer, einen Wohnbereich und einen Garten. Der Vater arbeitet bei einem Discounter, sein Einkommen reicht laut Susanne Kirchner von der Oberhachinger Initiative „Fairmieten“ gerade für die Lebensmittel der Familie. Die Miete wird vom Jobcenter übernommen. Entsprechend den Mietobergrenzen erhält die Familie 1920 Euro Kaltmiete plus Nebenkosten. Für die Kaution gibt es ein Darlehen, das die Familie in Raten abzahlt.

Wohnen ist der Schlüssel für alles“, sagt Susanne Kirchner, deren Verein die Familie ihr neues Zuhause verdankt.  Kirchner hat „Fairmieten“ 2020 zusammen mit Benno Gröninger, Sizar Haj Edess und Nina Hartmann gegründet. Alle vier waren bereits im Helferkreis engagiert. „In einer eigenen Wohnung gelten endlich die eigenen Regeln der Familie“, sagt Kirchner. In einer Gemeinschaftsunterkunft seien die Bewohner fremdbestimmt durch Hausregeln, so etwa dürfe man Besuch nur bis 22 Uhr empfangen und niemand dürfe übernachten. „Die Kinder nehmen ihre Freunde dort nicht gerne mit nach Hause“, sagt Kirchner. Im nun gemieteten Haus hat die Familie erstmals richtige Privatsphäre.

Dass ein ganzes Haus angeboten wird, ist eine Seltenheit, sagt Kirchner. „Leider, denn wir dachten eigentlich, dass wir den Leerstand in Oberhaching nutzen könnten.“ Viele Häuser seien längere Zeit unbewohnt, etwa weil die Bewohner sterben und die Erben noch nicht wissen, was aus dem Haus werden soll. Nicht alle entscheiden sich so wie die Oberhachinger, die jüngst ihr Haus zur Verfügung stellten. Dabei ist die Vermietung für die Hauseigentümer eine sichere Sache, sie machen ihren Vertrag mit dem Verein, der die pünktliche Mietzahlung garantiert. Auch haben die Inhaber immer ein Mitspracherecht bei der Auswahl der Mieter.

Da viele der Bewohner Sozialleistungen erhalten, helfen die ausschließlich ehrenamtlichen Vereinsmitglieder diesen bei der Abwicklung mit den Behörden. Gibt es dort einmal Verzögerungen, springt der Verein mit eigenem Geld für die Zwischenfinanzierung ein. Um eine finanzielle Grundlage unter anderem für solche Fälle zu haben, erhält der Verein monatlich fünf Prozent der Mieten der vermittelten Wohnungen und Häuser.

Oleksander Maslo aus der Ukraine konnte mit Hilfe von Fairmieten eine Wohnung finden. Seinem Vermieter (rechts) ist er sehr dankbar, dass er sich für ihn entschieden hat.Oleksander Maslo aus der Ukraine konnte mit Hilfe von Fairmieten eine Wohnung finden. Seinem Vermieter (rechts) ist er sehr dankbar, dass er sich für ihn entschieden hat. (Foto: Claus Schunk)

Trotzdem wird es oft knapp. Denn der Verein muss die Kautionen an die Hauseigentümer zahlen. Für jedes Projekt gibt es zwei Mietverträge, einen mit dem Eigentümer und einen Untermietvertrag mit den Bewohnern. Für ersteren Vertrag bringt der Verein die Kautionen auf. Aufgrund dieser Kosten kann er nicht mehr als zwei bis vier Verträge pro Jahr abschließen, es sei denn, es finden sich Kautionspaten. Insgesamt wurden seit 2020 bisher 15 Wohnungen oder Häuser vermittelt.

Der dicke Ordner, in dem Kirchner die Selbstauskünfte der sozial schwachen Anwärter auf eine bessere Wohnung sammelt, wird daher kaum leerer. Im vergangenen Jahr konnten nur zwei Bewerber vermittelt werden, eine nigerianische Familie in eine Wohnung in Haar und die genannte afghanische Familie. In dem Ordner befinden sich aber auch zahlreiche Anfragen von Alleinstehenden, die etwa nach Scheidung oder anderer Existenzkrisen ein bezahlbares Zuhause suchen. Erst kürzlich kam ein Brief aus einem Gefängnis von einem jungen Vater, der demnächst entlassen wird und in der Nähe seines Kindes leben möchte. Es wohnt bei seiner Oma in Oberhaching.

Eine Chance, den Ordner bald zu leeren, sieht Kirchner nicht, weshalb sie sagen muss, dass neue Anfragen wenig Erfolgsaussichten haben. Der Verein hofft auf weitere Haus- und Wohnungsbesitzer, die bereit sind, zu den Obergrenzen des Landkreises zu vermieten. Durch den Vertrag mit einem Verein haben sie den Vorteil, dass sie das Mietobjekt jederzeit wieder für eigenen Bedarf zurückerhalten können. Auch weitere Paten für eine Kaution, die auf einem Konto angelegt wird und später zurückgezahlt werden kann, können helfen, den Ordner ein bisschen dünner werden zu lassen. SZ Gute Werke unterstützt den Verein finanziell in seiner wichtigen ehrenamtlichen Arbeit. Und die afghanische Familie? Sie ist glücklich im neuen Zuhause, bis auf einen Wunsch, den sie sich bislang aus der knappen Haushaltskasse nicht erfüllen konnten: Eine Familiencouch fürs Wohnzimmer, das wäre noch schön.

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