Robert Habeck kann sich nicht entscheiden. Für einen Moment legt er seinen rechten Arm um Parteikollegin Annalena Baerbock, dann zieht er ihn wieder weg. Es ist der 23. Februar 2025, Wahlabend, kurz vor 18 Uhr. Der grüne Kanzlerkandidat sitzt zusammen mit seinem engsten Kreis in einem Hinterzimmer seiner Wahlparty in Berlin. Anspannung liegt in der Luft, die ersten Prognosen kommen gerade rein.
„Hä, zwölf haben wir?“, ruft Habeck entgeistert und schaut fragend in den Raum hinein. Die Grünen, die wenige Wochen zuvor noch von ihrem Spitzenkandidaten als „Bündniskanzler“ geträumt hatten, stehen offenbar noch schlechter da, als sie nach den ersten Prognosen am Nachmittag befürchten mussten. Habeck holt aus und schlägt mit der flachen Hand auf Baerbocks Stuhllehne.
Eine politische Backpfeife
Es ist jener Moment, in dem Habecks Ende als Zugpferd seiner Partei eingeläutet wird, vielleicht gar seiner politischen Karriere. Und man kommt nicht umhin zu fragen: Wie konnte das passieren?
Diese Frage will nun der Dokumentarfilm „Jetzt. Wohin“ klären, der am 7. Dezember in den Kinos anläuft – zumindest laut Selbstbeschreibung. Dafür hat der Filmemacher Lars Jessen den damaligen Vizekanzler über Monate im Bundestagswahlkampf begleitet. In fernsehgerechten 90 Minuten sieht man die beiden im Zug, an Bahnhöfen, in Konferenzräumen, im Wirtschaftsminister-Dienstwagen und auch mal am Strand.
Grauer Himmel und zunehmend graue Stimmung: Habeck (l.) und Jessen unterwegs im Wahlkampf.
© dpa/Florida Film/Pandora Film
Der Himmel ist dabei verlässlich grau und auch die Stimmung wird mit jeder Minute grauer. Das ist wenig überraschend, schließlich endet die Unternehmung in einer politischen Backpfeife für beide: 11,6 Prozent.
Denn Jessen, sonst unter anderem als Tatort-Macher aktiv, ist während des Wahlkampfs in doppelter Mission unterwegs: Einerseits hält er Habecks Weg mit der Kamera fest, andererseits begleitet er den grünen Kandidaten „als Berater und Freund“, wie es im Klappentext zum Film heißt.
Jessen und Habeck kommen beide aus Kiel, gehören einem ähnlichen Milieu an und sind seit Jahren befreundet. Der Grüne hat den bestens vernetzten Filmemacher zu Beginn seiner Kandidatur in sein Team geholt, um ihm zu helfen, der Republik „den Menschen Robert“ näherzubringen. Die sogenannten „Küchentisch-Gespräche“, auf die Habeck in seinem Online-Wahlkampf setzte, waren Jessens Idee. Damit fiel auch ihr Scheitern in seine Verantwortung.
Selbstkritik wird im Keim erstickt
Kann man ob dieser Gemengelage mehr erwarten als ein filmisches Entschuldigungsschreiben an den eigenen Kumpel? Womöglich nicht. Jessen gibt sich auch wenig Mühe, einen anderen Anschein zu erwecken. Dennoch liefert „Jetzt. Wohin“ erstaunlich wenige der angepriesenen „Blicke hinter die Kulissen“. Zumal für einen Film, der laut Vertriebsangaben rund 270.000 Euro öffentliche Fördergelder verschlungen hat.
Stattdessen arbeitet sich Jessen an einer einzigen Frage ab: Wer ist schuld an Habecks Scheitern?
Wer sich eineinhalb Stunden sparen möchte: nicht die Grünen, nicht Habeck selbst, nicht der Wahlkampf. Stattdessen lautet das Fazit in etwa: Alles Idioten, außer Robert. Denn der steht für Jessen für „das Gute“. Das unterschreibt auch Habecks früherer Philosophie-Lehrer, der zu Protokoll geben darf, dieser sei schon zu Schulzeiten „wahrhaftig“ gewesen.
Bezeichnenderweise ist es Habeck selbst, der als einer der wenigen Protagonisten so etwas wie eine schonungslose Analyse liefert: „Das Thema des Wahlkampfes war Migration und Sicherheit“, konstatiert er an einer Stelle. „Alle zehn Tage“, so Habeck weiter, „haben Menschen, die hierher geflohen sind, Menschen umgebracht.“ Das habe den Wahlkampf dominiert, er selbst habe dagegen mit Klimaschutz nicht ankommen können.
Blick zurück: Habeck ist einer der wenigen kritischen Protagonisten des Films.
© Florida Film/Pandora Film
Doch wie ein eifriger Feuerwehrmann erstickt Jessen jeden Funken von Selbstkritik im Keim, indem er jemanden aus einem überwiegend Habeck-freundlichen Kommentatoren-Pool das Gegenteil sagen lässt. „Die Medien“ hätten den Wahlkampf mit dem Fokus auf die Migration „verzwergt“, sagt einer. Und attestiert ihnen gleich noch ein „Versagen“. Eine andere verweist auf die „Erzählung“ rund um die innere Sicherheit.
Ein halbes Jahr im Amt Wer profitiert von der stolpernden Bundesregierung?
Dazwischen: Aufnahmen von rechtsextremen Aktivisten, die etwas von „Remigration“ grölen, die in direkten Zusammenhang mit Friedrich Merz gestellt werden, der für seinen Migrationsplan mit der AfD abstimmen will. Gegen so viel Böses ist Habeck, der – so der Film an anderer Stelle – „unermüdlich konstruktive Lösungen“ angeboten habe, natürlich machtlos.
Das sogenannte Heizungsgesetz? Habeck räumt zwar „fehlende Vorbereitung“ ein, doch Jessen wittert eine Verschwörung: Die „Bild“-Zeitung, die den Gesetzentwurf mit allen Mitteln skandalisiert hatte, gehöre ja dem Vermögensverwalter KKR, unkt er zu rasanten Schaubildern. Dieser sei ein Großinvestor in fossile Energien, spende an die FDP, habe wiederum Verbindungen zu US-Großinvestoren. Dazu läuft bedrohliche Musik.
Die Liste der Schuldigen ist lang
Überhaupt ist die Liste der Schuldigen lang: Markus Lanz, der in seiner Sendung zu vehement fragt, die – O-Ton Habeck – „Wurstpolitiker“ Markus Söder, Jens Spahn und Merz, die ihn im Wahlkampf zu einer Art Luzifer im Norwegerpulli stilisiert haben – und seine Vorschläge nun teils im Wortlaut umsetzen. Die Medien, die unfair gewesen seien, die Union, die „Abstiegsängste in Wählerstimmen“ habe ummünzen wollen. Und irgendwie auch die Wähler, die das alles partout nicht erkennen wollten.
So ist „Jetzt. Wohin“ vor allem eins: ein unfreiwilliger Einblick in die Mechanismen der grünen Selbstwahrnehmung und die daraus folgenden Probleme. Denn die Analysen über Kampagnen, Verleumdungen und Sachzwänge mögen für sich genommen nicht grundfalsch sein. Doch reicht es ob der politischen Realität im Land nicht, sich selbst für die Guten zu halten. Und darauf zu warten, dass die Menschen das endlich erkennen.
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Will die Partei mittelfristig wieder zu alter Stärke finden, muss sie ein Dilemma lösen, das Jan Gorkow, Sänger der Punkband „Feine Sahne Fischfilet“ gegen Ende des Filmes unverblümt aufwirft: „Robert Habeck hätte machen können, was er will“, sagt er. „Die Leute hassen die Grünen zutiefst.“
Warum das so sei, will Jessen wissen. Gorkow antwortet sofort: Die Partei sei für „die Leute die Speerspitze der Moralapostel“.