In den internationalen Statistiken zu den Themen Organspende und Organtransplantation liegt Japan auf den hintersten Plätzen. Die Wartezeit schwerkranker Patienten auf ein Spenderorgan beträgt oftmals Jahre, und nicht wenige, deren Leben durch eine Transplantation gerettet werden könnte, versterben in der endlosen Zwischenzeit. Diese im internationalen Vergleich schockierend niedrige Spendenbereitschaft ist in mehrerer Hinsicht kulturell begründet – so legt es uns jedenfalls „Yakushima’s Illusion“ dar, der neue Film der japanischen Regisseurin Naomi Kawase („Kirschblüten und rote Bohnen“).
Der ist in europäischer Koproduktion entstanden und schickt daher die französische Ärztin Corry (Vicky Krieps) in eine Klinik für herzkranke Kinder in Kobe, um dort der japanischen Belegschaft die europäische Perspektive auf die Organspende und den Tod zu erklären. (Geht das eigentlich schon als White-Savior-Narrativ durch? Man bilde sich seine eigene Meinung dazu.)
Sein spannendes Thema reicht dem Film nicht aus
In der japanischen Kultur, so wird Corry erklärt, gelte der Hirntod überhaupt nicht als Tod, und das Ende des Lebens werde erst festgestellt, wenn das Herz aufhört zu schlagen – wenn es für eine Transplantation also bereits zu spät sei. Und auf der anderen Seite seien Krankheit und das Angewiesensein auf die Organe Verstorbener zugunsten des eigenen Überlebens gesellschaftlich zutiefst scham- und schuldbesetzt. Wie man es denn für sich in Anspruch nehmen könne, auf Kosten anderer weiterzuleben, mit diesem Vorwurf müssen sich diejenigen, die ein Spenderorgan in sich tragen, immer wieder auseinandersetzen. Ein kultureller Konflikt, der durchaus spannend ist und über den man sich eigentlich gern einen Film anschauen würde. Leider ist „Yakushima’s Illusion“ nicht dieser Film.
Das liegt vor allem daran, dass Naomi Kawase dieses Thema offensichtlich selbst nicht für fesselnd genug hält, um zwei Kinostunden zu tragen. Daher mischt sie ihm allerlei weitere Zutaten bei, die dem Kinoerlebnis aber wenig Interessantes hinzuzufügen haben. Das beginnt schon mit den zugegeben berückend schönen, aber in ihrem Hang zur esoterischen Naturmystik auch einigermaßen kitschigen Aufnahmen aus dem immergrünen Regenwald der japanischen Insel Yakushima.

Ad Vitam Distribution / Cinéfrance Studios
Französin Corry (Vicky Krieps) sieht sich in Japan nicht nur mit leidenden Kindern und kulturellen Unterschieden konfrontiert – sondern bald auch mit einer komplizierten Beziehung.
Dort geht Corry – in einer der Rückblenden des in seiner achronologischen Erzählweise unnötig verkomplizierten Films – wandern und trifft beim Flussbaden den mysteriösen Japaner Jin (Kanichiro Sato). Zurück in Kobe, zieht Jin bei ihr ein und eine durchaus konfliktreiche Beziehung beginnt – bis Jin nach einem Streit spurlos und ohne Nachricht verschwindet. „Jōhatsu“ – Verdampfung – nennen die Japaner dieses Phänomen, das alljährlich zehntausendfach geschieht: Menschen lassen ihr altes Leben ohne ein Wort hinter sich, um irgendwo völlig neu anzufangen. Die radikalste Form des Ghostings.
Zwischen den durchaus berührenden Szenen aus der Klinik – wer hätte nicht die eine oder andere Kinoträne übrig angesichts sterbender Kinder und trauernder Eltern? – erzählt Kawase immer wieder aus dieser von vornherein wenig glaubwürdigen Beziehung. Irgendwann geht es dann auch um Corrys Suche nach dem verschwundenen Geliebten, aber ein Funke springt dabei nie über. Für diese Art von europäischen Gemeinschaftsproduktionen, in denen Protagonist*innen aus unterschiedlichen Ländern in mehreren Sprachen Banalitäten aussprechen und alles irgendwie transkulturell zugeht, gibt es den Begriff „Europudding“ – hier tritt nun zu den produzierenden Ländern Frankreich, Belgien und Luxemburg noch Japan hinzu, und es wäre vielleicht an der Zeit, das Wort „Eurasienpudding“ zu etablieren.
Prätentiöse Banalitäten
Je länger „Yakushima’s Illusion“ dauert, desto raumgreifender wird auch eine gewisse unfreiwillige Komik, die immer dann präsent wird, wenn die oft auch etwas zu einfachen Tränenzieher-Affekte rund um die kardiologische Kinderstation in den Hintergrund treten. Allzu prätentiös und banal kommen die Dinge des Herzens daher, die Kawase hier mit den, nun ja, Dingen des Herzens (in anatomischer Hinsicht) zu verschlingen versucht.
Und wenn zum Ende hin dann noch eine Spannungsepisode um ein lang erwartetes Spenderherz hinzutritt, dessen rechtzeitige Anlieferung durch eine extreme Wetterlage in Gefahr gerät, funktioniert die Countdown-Dramaturgie dieses Handlungsstrangs zwar für sich genommen relativ solide. Ein weiteres Versatzstück in einem auseinanderfallenden Filmganzen, dessen einzelne Erzählfäden nie wirklich zusammenfinden, bleibt aber auch dieser Showdown.
Fazit: Der in europäischer Koproduktion entstandene neue Film der japanischen Regisseurin Naomi Kawase schneidet ein interessantes Thema an, verwässert dieses aber durch so klischeehafte wie banale Nebenhandlungsstränge zu einem Film, der höchstens momenthaft fesselt und nie wirklich zu einem überzeugenden Ganzen findet. Ein gehöriges Maß an Prätention und unfreiwilliger Komik gibt „Yakushima’s Illusion“, für den man den Begriff „Eurasienpudding“ prägen sollte, dann endgültig den Rest.
Wir haben „Yakushima’s Illusion“ im Rahmen des Filmfestivals Around the World in 14 Films 2025 gesehen.