Laut dem ranghöchsten Militäroffizier des Bündnisses erwägt die Nato eine aggressivere Reaktion auf russische Cyberangriffe, Sabotageakte und Luftraumverletzungen. Admiral Giuseppe Cavo Dragone sagte der Financial Times (FT), das westliche Militärbündnis prüfe eine verstärkte Reaktion auf die hybride Kriegsführung Moskaus.

„Wir analysieren alle Möglichkeiten. Im Cyberbereich agieren wir eher reaktiv. Wir denken darüber nach, aggressiver oder proaktiver statt reaktiv vorzugehen“, so Dragone, Vorsitzender des Nato-Militärausschusses. Konkret kann dies offenbar auch Erstschlag beinhalten, um Russland abzuschrecken. Dragone sagte der FT, ein „Präventivschlag“ könne als „Verteidigungsmaßnahme“ betrachtet werden, fügte aber hinzu: „Er liegt weiter außerhalb unserer üblichen Denk- und Verhaltensweise.“

Der Vorsitzende des Nato-Militärausschusses sagte, die entscheidende Herausforderung bestehe darin, künftige Aggressionen abzuschrecken. „Wie Abschreckung erreicht wird – durch Vergeltung, durch Präventivschläge – das müssen wir eingehend analysieren, denn der Druck darauf könnte in Zukunft noch zunehmen“, sagte Dragone. Und weiter: „Eine aggressivere Vorgehensweise als die unseres Gegenübers könnte eine Option sein.“ Es sei aber rechtlich unklar, wie das am besten geschehen könnte. Auch „die Frage, wer dafür zuständig ist“, sei nicht geklärt.

Dragone räumte ein, dass die Nato und ihre Mitglieder „aufgrund von Ethik, Recht und Zuständigkeit deutlich mehr Einschränkungen unterliegen als unser Gegenüber. Das ist ein Problem. Ich will nicht sagen, dass wir im Nachteil sind, aber es ist eine schwierigere Position als die unseres Gegenübers.“

Das russische Außenministerium erklärte in einer Stellungnahme laut FT, Dragones Äußerungen seien ein „äußerst unverantwortlicher Schritt“ gewesen und deuteten auf die „Bereitschaft der Nato hin, die Eskalation fortzusetzen“.

Michail Scheremet, Abgeordneter der Staatsduma für die Krim und Mitglied des Sicherheits- und Antikorruptionsausschusses, sagte der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass: „Manchmal zeigt die Nato-Führung eine primitive, aggressive Denkweise, die gleichermaßen erschreckend wie gefährlich ist. Ihre leichtsinnigen, selbstsicheren Äußerungen bedrohen nicht nur die eigene Bevölkerung, sondern auch die globale Stabilität. Ein Präventivschlag der Nato käme einem Selbstzerstörungsakt gleich – ein Akt mit potenziell katastrophalen Folgen.“

Der russische Botschafter in Belgien, Denis Gonchar, der Nato vor, Ängste zu schüren, indem sie angebliche Kreml-Pläne für Angriffe auf Mitgliedstaaten übertreibe. Er behauptete, die Rhetorik der Nato ziele darauf ab, die eigene Bevölkerung einzuschüchtern, und das Bündnis bereite sich aktiv auf einen groß angelegten Konflikt mit Russland vor.

Die Tatsache, dass sich auf den Vorstoß des Nato-Generals eher subalterne russische Offizielle zu Wort gemeldet haben, deutet darauf hin, dass der Kreml den Aussagen keine besondere Bedeutung beizumessen scheint.