Bis vor wenigen Jahren hatten die USA und die europäischen Mächte eng zusammengearbeitet, um Russland einzukreisen und Osteuropa sowie große Teile der ehemaligen Sowjetunion unter ihre Kontrolle zu bringen.
Zwischen 1999 und 2004 hatte die NATO sämtliche früheren Mitglieder des Warschauer Pakts sowie die ehemaligen baltischen Sowjetrepubliken geschluckt. Es folgten die Nachfolgestaaten Jugoslawiens sowie „Partnerschaften“ mit den Ex‑Sowjetrepubliken Georgien, Moldau, Armenien, Aserbaidschan und Kasachstan. 2014 organisierten die USA und Europa gemeinsam einen Putsch in Kiew, um die Ukraine unter ihren Einfluss zu bringen, und provozierten damit den gegenwärtigen Krieg.
Unterhändler Steven Witkoff und Kirill Dmitrijew in Moskau, April 2025 [Photo by kremlin.ru / CC BY 4.0]
Doch nun verschiebt sich die Achse der Auseinandersetzung. Die Rivalität zwischen den USA und Europa tritt zunehmend in den Vordergrund. Die Räuber streiten sich um die Beute. Trumps Bemühen, über die Köpfe der Europäer und der Ukraine hinweg einen Deal mit Putin abzuschließen, stößt in den europäischen Hauptstädten auf erbitterte Ablehnung.
„Nun bezahlen die Europäer den Preis dafür, dass sie in den vergangenen Jahren nicht in militärische Fähigkeiten investiert haben,“ erklärt Claudia Major vom German Marshall Fund, eine maßgebliche Stimme der europäischen Außenpolitik. „Die Europäer sitzen nicht mit am Tisch, weil sie – um Trump zu zitieren – keine Karten in der Hand haben.“
Die Europäer unternehmen alles, um Trumps Ukrainepläne zu sabotieren. Bisher mit gewissem Erfolg. Das fünfstündige Treffen zwischen Trumps Emissär Steve Witkoff und Putin, das am Dienstag in Moskau stattfand, brachte kein Ergebnis. Die Europäer hatten Witkoffs ursprünglichen 28-Punkte-Plan in zähen Verhandlungen soweit verändert, dass er für Moskau nicht akzeptabel ist.
Doch ihnen fehlen, in Majors Worten, „die Karten“, um den Krieg ohne US-Unterstützung weiterzuführen. Die USA fahren die Finanzierung der Ukraine zurück und lassen gelieferte Waffen von Europa bezahlen. Das Selenskyj-Regime, auf das sich die Europäer stützen, versinkt im Sumpf eines Korruptionsskandals und ist aufgrund der wachsenden Opposition gegen den Krieg zunehmend unfähig, das erforderliche Kanonenfutter zu rekrutieren.
General Freuding, der neue Chef des deutschen Heeres, der vorher für die Koordination der Ukrainehilfen zuständig war, beklagte sich in The Atlantic, dass die Kommunikation mit den amerikanischen Militärs völlig abgebrochen sei. Früher habe er sie „Tag und Nacht“ kontaktieren können. „Du hast einen Feind, der an deine Tür klopft und gleichzeitig verlierst du einen guten Freund,“ sagte er. Mit dem Feind meinte er Russland und mit dem Freund die USA.
Auch das unbegründete Fernblieben von US-Außenminister Marco Rubio vom gestrigen, lange geplanten NATO-Treffen in Brüssel ist Ausdruck der wachsenden Spannungen zwischen Europa und den USA. Im Bemühen, die Ukraine militärisch zu stärken und die USA zu besänftigen, beschlossen die Außenminister dort, die Waffenhilfe an die Ukraine aufzustocken und monatlich mindestens für eine Milliarde US-Dollar Rüstungsgüter aus US-Produktion für die Ukraine zu kaufen.
Der transatlantische Konflikt hat sich vor allem mit der zweiten Präsidentschaft Donald Trumps verschärft. Trump und viele Republikaner halten die Konfrontation mit Russland seit langem für den falschen Krieg und wollen die amerikanische Militärmacht noch stärker als bisher gegen China ausrichten.
Doch die Spannungen in der NATO haben noch grundlegendere Ursachen. Das Bündnis zwischen den USA und Europa, den beiden größten imperialistischen Machtblöcken, war stets eine historische Anomalie. Erst schweißte sie der Kalte Krieg gegen die Sowjetunion zusammen, nach deren Auflösung war es die gemeinsame Expansion nach Osteuropa.
Nun sprengen die globale Krise des Kapitalismus und der damit einhergehende erbitterte Kampf um Rohstoffe, Märkte und Profite das Bündnis zwischen den beiden größten imperialistischen Machtblöcken, die zusammen für 45 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung aufkommen. Trumps Strafzölle gegen die EU sind ein anderer Ausdruck dieser Entwicklung.
Der amerikanische Geostratege Zbigniew Brzezinski hatte bereits vor 30 Jahren in seinem Bestseller „Die einzige Weltmacht: Amerikas Strategie der Vorherrschaft“ erklärt, der Erhalt der amerikanischen Weltherrschaft hänge davon ab, in Europa und Asien keine wirtschaftlich ebenbürtige Macht aufkommen zu lassen. Damit waren nicht nur China und Japan, sondern auch Deutschland und die Europäische Union gemeint.
Mit seinem Ukraineplan hat Trump den Mythos zerstört, es sei in diesem Krieg jemals um Freiheit, Demokratie, Völkerrecht oder andere hehre Werte gegangen. Er verknüpft ein Ende des Kriegs derart offen mit wirtschaftlicher Erpressung und den Geschäftsinteressen seines eigenen Familienclans, dass man selbst in der an Korruption reichen Geschichte des Kapitalismus nur schwer einen vergleichbaren Präzedezfall findet.
Trump geht es nicht um Frieden. Selbst wenn der Krieg in der Ukraine eingestellt würde, wäre das nur der Auftakt zu einer neuen Runde im gewaltsamen Kampf um die imperialistische Neuaufteilung der Welt. Venezuela befindet sich bereits im Visier des US-Militärs, und China wird systematisch umzingelt.
Das Wall Street Journal, das Trumps Ukrainekurs aus rechter Sicht kritisiert, hat unter dem Titel „Make Money Not War: Trump’s Real Plan for Peace in Ukraine“ einen ausführlichen Artikel über die profitablen Pläne veröffentlicht, die Trumps Geschäftsfreund und Chefunterhändler Steve Witkoff und sein russischer Gegenpart Kirill Dmitrijew seit Monaten diskutieren. Auch Trumps Schwiegersohn Jared Kushner, der schon als „Friedensunterhändler“ im Nahen Osten Milliarden für seine Firmen absahnte, ist mit von der Partie.
Die Pläne reichen von der gemeinsamen Förderung von Gas, Öl und seltenen Erden in der Arktis über die Nutzung von 300 Milliarden Dollar eingefrorener russischer Zentralbankgelder für US-russische Investitionsprojekte, die Rückkehr von ExxonMobil und anderer US-Konzerne nach Russland bis zur Wiederinbetriebnahme der beschädigten Ostseepipeline Nord Stream und deren Verkauf an den Trump-nahen Investor Stephen P. Lynch.
David North
30 Jahre Krieg: Amerikas Griff nach der Weltherrschaft 1990–2020
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Deutschland, das erst auf den Bezug von preisgünstigem russischem Erdgas verzichtete, nachdem die Pipeline von Saboteuren gesprengt worden war, könnte dann wieder russisches Erdgas kaufen – mit einem kräftigen Aufschlag an einen US-Zwischenhändler. Kein Wunder, dass europäische Interessenvertreter toben. Sie tun das nur deshalb nicht lauter, weil sie „keine Karten in der Hand haben“ und Trump nicht zusätzlich reizen wollen.
Der angestrebte Deal wirft auch ein Licht auf den Klassencharakter des Regimes von Putin. Der Interessenvertreter der russischen Oligarchen, die ihren Reichtum der Plünderung des gesellschaftlichen Eigentums der Sowjetunion verdanken, sitzt auf einem sozialen Pulverfass und kann sich nur durch verzweifelte Manöver an der Macht halten. Seine Anbiederung an Trump, den Gangster und Möchtegern-Diktator im Weißen Haus, gleicht einem Pakt mit dem Teufel, der unweigerlich auf Russland zurückfallen wird.
Putins Chefunterhändler Kirill Dmitrijew ist der Prototyp des skrupellosen Oligarchen, der Geld aus Krieg und Konflikten schlägt und bei Bedarf die Seiten wechselt. Der 1975 in Kiew geborene Investmentbanker ist dem russischen Präsidenten durch eine enge Familien-Freundschaft mit Putins Tochter Katerina Tichonowa persönlich verbunden.
Dmitrijew war als Schüler in die USA gegangen, hatte in Stanford und Harvard Ökonomie studiert und anschließend für Goldman Sachs und McKinsey gearbeitet. 2000 kehrte er nach Russland zurück und arbeitete lange für den ukrainischen Oligarchen Wiktor Pintschuk, den zweitreichsten Mann des Landes, der zum wichtigsten Geldgeber der antirussischen Orangen Revolution und der Maidan-Bewegung wurde. Pintschuk unterhielt auch enge Beziehungen zum Oligarchen Ihor Kolomojskyj, dem Förderer des derzeitigen Präsidenten Selenskyj. Seinen jetzigen Posten als Leiter des staatlichen russischen Anlagefonds RDIF verdankte Dmitrijew 2011 der Empfehlung Pintschuks.
Die Europäer sehen sich von Trump geprellt und sind deshalb wütend auf ihn. Sie haben 178 Milliarden Euro in den Ukrainekrieg investiert, um das Land zu kontrollieren und Russland zu unterwerfen. Und nun drohen sie, leer auszugehen und einem gestärkten Russland gegenüberzustehen.
Der bekannte Wirtschaftsjournalist Wolfgang Münchau sieht sich „am Vorabend der demütigendsten Niederlage des modernen Europas“. Er spottet über die hilflosen Europäer, die „glauben, dass sie ihr Wohlergehen und ihren Einfluss durch Regulierung, Verfahren, Rechtsstaatlichkeit und internationale Institutionen sichern können“. Die Europäer träumten „von einer Welt, in der niemand strategisch handelt,” schreibt er. „Wie kein US-Präsident vor ihm deckt Trump die Selbsttäuschungen Europas, seinen Mangel an strategischem Denken und Handeln auf. Deshalb hassen ihn die Europäer so sehr. Und das völlig vergeblich.“
Ähnliche Gedanken hört und liest man überall in Europas herrschenden Kreisen: „Man muss es machen wie Trump. Weg mit Wohlfahrtstaat, Regeln, Rechtstaatlichkeit und internationalen Institutionen. Man muss strategisch denken und handeln – also Krieg führen!“ Die europäischen Regierungen rüsten auf, verdoppeln und verdreifachen die Militärausgaben und laden die Kosten auf die Arbeiterklasse ab. Damit entziehen sie auch jedem sozialen Kompromiss die Grundlage und setzen heftige Klassenkämpfe auf die Tagesordnung.
Hier liegt die Antwort auf Krieg und Diktatur. Nur eine unabhängige Bewegung der internationalen Arbeiterklasse, die gegen den Kapitalismus und für den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft kämpft, kann das Abgleiten in eine gesellschaftliche Katastrophe verhindern.