Gäbe es keine Damen, dann würde „Die Zauberflöte“ keine drei Stunden dauern. Weil der Prinz entweder gleich von der Schlange gefressen würde oder nie das titelgebende Instrument bekäme. Pünktlich zum Nikolaustag an diesem Samstag (und natürlich rund um Weihnachten) wird Mozarts Singspielklassiker wieder am Gärtnerplatztheater zu erleben sein. Und wird Ann-Katrin Naidu eine der drei Damen sein, wie schon so oft.

Die drei Damen,  Dienerinnen der Königin der Nacht, retten den Prinzen Tamino vor einer Riesenschlange. Später schenken sie ihm ein Bildnis der Tochter der Königin, Pamina. Eine Paraderolle für Ann-Katrin Naidu (rechts) in der „Zauberflöte“ am Gärtnerplatz.Die drei Damen,  Dienerinnen der Königin der Nacht, retten den Prinzen Tamino vor einer Riesenschlange. Später schenken sie ihm ein Bildnis der Tochter der Königin, Pamina. Eine Paraderolle für Ann-Katrin Naidu (rechts) in der „Zauberflöte“ am Gärtnerplatz. (Foto: Markus Tordik)

Im kommenden Jahr kann die Mezzosopranistin ihr dreißigjähriges Jubiläum am Haus feiern; die laufende Inszenierung des Intendanten Josef E. Köpplinger ist bereits ihre dritte. Nur eine hat sie verpasst, als gefragte Gastsolistin andernorts auf Tournee.

Seit 2019 ist Naidu Bayerische Kammersängerin, unkündbar ab dem vierzehnten Dienstjahr, wie üblich, aber in Zeiten klammer Budgets nur noch von wenigen erreicht. Mehr als achtzig Rollen hat sie in dieser Zeit gesungen. Darunter in ihrer ersten Spielzeit 1996/97 nicht nur eine der Mozartschen Damen, sondern gleich auch die begehrte Partie der Carmen, unter dem ebenfalls neuen Chefdirigenten David Stahl. Und später in einer weiteren Produktion unter dem genialischen Griechen Constantinos Carydis.

Endlich mal die Wut rauslassen: Ann-Katrin Naidu als Carmen 2004, eine Rolle, die sie besonders liebt.Endlich mal die Wut rauslassen: Ann-Katrin Naidu als Carmen 2004, eine Rolle, die sie besonders liebt. (Foto: Ida Zenna)

Sie habe sich immer besonders auf den letzten Akt von Bizets Oper gefreut, sagt Naidu im Gespräch mit der SZ. Es habe „etwas Therapeutisches, so viel Wut rauslassen zu können.“ Dabei sei sie „privat sehr kontrolliert.“ Überhaupt gehören die Produktionen mit Stahl, der 2010 unerwartet früh starb, im Rückblick zu ihren liebsten, ob als Santuzza in der „Cavalleria rusticana“ oder als Anita im Musical „West Side Story“.

Ein breiteres Repertoire als Naidu dürfte in der Geschichte des Hauses kaum jemand abgedeckt haben: Fast alles, was ein Mezzosopran mit lyrischen Konturen singen kann, natürlich auch die in diesem Fach obligatorischen Hosenrollen.

Einige Rollen sind ihr dennoch in besonderer Erinnerung geblieben, die „Jungfrau von Orléans“ bei Tschaikowsky oder „Die Csárdásfürstin“ oder Charlotte in „Werther“, aber auch „Die Schöne und das Biest“ von Philip Glass in der Regie der Choreografin Rosamund Gilmore. Weil sie dort ihr tänzerisches Talent einbringen konnte, das sie in vielen Ballettstunden entwickelt hatte.

„Ein Gentleman alter Schule“, das sagt Ann-Katrin Naidu (rechts) über Loriot, in dessen 1997er Fassung von Flotows „Martha“ sie immer wieder gesungen hat.„Ein Gentleman alter Schule“, das sagt Ann-Katrin Naidu (rechts) über Loriot, in dessen 1997er Fassung von Flotows „Martha“ sie immer wieder gesungen hat. (Foto: Christian POGO Zach)

Und dann waren da natürlich auch noch die Zusammenarbeit mit August Everding in dessen letzter Inszenierung, dem „Capriccio“ von Richard Strauss, und die mit Loriot in der legendären, jahrelang gespielten „Martha“ von Flotow. Als „unglaublich charmant“ hat sie ihn in Erinnerung, „ein Gentleman alter Schule“, aber „wie alle großen Komiker absolut präzis“.

Daneben gastierte Naidu immer an noch größeren Häusern, an der Mailänder Scala, in Florenz, Valencia, Seattle und in neun Produktionen an der Bayerischen Staatsoper. Ein reiches Sängerinnenleben, „mehr, als ich erwartet habe“. Hätte sie sich zu einem Leben ausschließlich mit Gastengagements entschlossen, dann wäre möglicherweise eine noch größere Karriere im dramatischeren Fach möglich gewesen. Aber Naidu, die Kontrollierte, wollte Stabilität, vor allem für ihre Tochter, deren Großeltern väterlicherseits in München lebten. Mutter und Sängerin zugleich zu sein, bleibe „die größte Herausforderung in diesem Beruf“, auch in der Gegenwart noch immer kaum lösbar.

Die nächste Generation: Naidus Tochter Alma, hier bei einem Konzert in Starnberg, ist eine talentierte Jazz-Sängerin.Die nächste Generation: Naidus Tochter Alma, hier bei einem Konzert in Starnberg, ist eine talentierte Jazz-Sängerin. (Foto: Arlet Ulfers)

Ann-Katrin Naidu scheint sie nicht schlecht gelöst zu haben. Ihre Tochter Alma ist ebenfalls als Sängerin erfolgreich, im Jazz, nicht in der Klassik. Als selbstbewusster erlebt die Mutter die jüngere Generation, im Sinne verstärkter Selbstreflexion, die auch neue Selbstoptimierungszwänge mit sich bringe. Und nicht mehr unbedingt kompatibel mit der „Zauberflöte“, an der Naidu mit Blick auf Besucher unter 25 manches heute kritisch sieht.

Dennoch hat sie das Stück auf sämtlichen Karrierewegen begleitet. Als sie noch an der Musikhochschule ihrer Heimatstadt Stuttgart studierte, sang sie einen der Knaben, die damals häufig noch mit Damen besetzt wurden, die zweite Dame dann erstmals bei den Schlossfestspielen Stuttgart in einer Inszenierung von Christof Loy, inzwischen die etwas tiefer gelegene dritte. Einer „ihrer“ Knaben am Gärtnerplatz war Ludwig Mittelhammer, der heute dort Papageno verkörpert. Bei seiner Rückkehr als festes Ensemblemitglied brachte ihr der Bariton das Programmheft von damals mit.

„Wir haben richtig gute Leute“, sagt Naidu über das gegenwärtige Ensemble. Dass inzwischen Jüngere die großen Rollen singen, damit möchte sie nicht hadern. In Sachen Alter sind die darstellenden Künste gnadenlos, das war nie anders. Naidu erinnert sich an eine Begegnung am Nationaltheater Mannheim, wo sie vor ihrer Zeit am Gärtnerplatz zum Ensemble gehörte. Eine ältere Kollegin, die oft den Komponisten in Straussens „Ariadne auf Naxos“ gesungen hatte, schenkte ihr den eigenen Klavierauszug: „Du bist dran.“ So, nahm sie sich damals vor, wollte sie es selbst einmal machen, wenn es so weit ist.

Ihre Erfahrung reicht inzwischen auch Naidu an die junge Generation weiter. Im neu gegründeten Opernstudio am Gärtnerplatz ist sie für Beratung und Koordination zuständig, der noch jüngeren „Gärtnerplatz Jugend“ gibt sie Stimmbildung. Daneben besucht sie Schulen im Rahmen der Künstlerinitiative „Rhapsody in School“, aber bald auch wieder mit der Gärtnerplatzproduktion „Der kleine Prinz“. In der Kammeroper nach der berühmten Erzählung von Antoine de Saint-Exupéry verkörpert Naidu sämtliche Rollen, außer dem Prinzen selbst: den König wie die Rose, den Fuchs wie die Klapperschlange. So, wie sie ihr Leben lang alles Mögliche war. Aber immer eine Dame.