Es ist ein lokaler Bericht aus einem kleinen Ort an der Grenze, einer von vielen.

Aber genau darin liegt das Problem: Solche «Einzelfälle» summieren sich, quer durch Europa, zu einer tödlichen Statistik, ohne dass es überhaupt ein zentrales, transparentes Register gäbe.

Die simple Frage «Wie viele Menschen sind in der aktuellen Jagdsaison in Europa bereits gestorben?» hat eine unbequeme Antwort:

Niemand weiss es genau.

Es gibt:

  • keine EU-weite Meldepflicht,
  • keine gemeinsame Datenbank,
  • sehr unterschiedliche nationale Definitionen von «Jagdunfall» (zählt nur die Schusswaffe? Nur während offizieller Jagdzeiten?),
  • und viele Vorfälle, die in lokalen Medien auftauchen, aber nie offiziell aggregiert werden.

Trotzdem lässt sich ein Bild zeichnen und dieses Bild ist alles andere als beruhigend.

Frankreich und Italien: zwei Beispiele für ein strukturelles Problem

Frankreich: 100 Unfälle, 11 Tote in nur einer Saison

Frankreich ist eines der wenigen Länder, in denen eine staatliche Behörde die Jagdunfälle systematisch erfasst.

Für die Saison 2024/2025 meldet das Office français de la biodiversité (OFB):

  • 100 Unfälle mit Schusswaffen
  • 11 Tote (allesamt Hobby-Jäger)
  • 16 verletzte Nichtjäger, drei davon schwer
  • 135 «Incidents» ohne Personenschaden – darunter 58 beschossene Häuser, 27 Fahrzeuge und 50 Haustiere.

Das ist die offizielle Bilanz für eine Saison in einem Land. Tierschutzorganisationen sprechen zu Recht von einer «deutlich gestiegenen» Zahl tödlicher Jagdunfälle.

Italien: 62 Unfälle, 14 Tote – laut Jagdverband selbst

In Italien wertet die Universität Urbino seit Jahren landesweit Medienberichte über Jagdunfälle aus. Für die Jagdsaison 2024/2025 kommt die Auswertung auf:

  • 62 Unfälle
  • 14 Todesopfer

Bemerkenswert: Diese Zahlen werden von italienischen Jagdverbänden selbst verbreitet, als Beleg dafür, dass man sich «um Sicherheit bemühe». Für die Opfer ändert das nichts und an der Vollständigkeit gibt es erhebliche Zweifel.

Aktuelle Saison 2025/2026: Ein blutiger Herbst und nur Bruchstücke an Daten

Die laufende Jagdsaison 2025/26 hat in weiten Teilen Europas im September begonnen. Offizielle Gesamtzahlen sind naturgemäss noch nicht veröffentlicht. Doch bereits jetzt ergibt sich aus NGO-Berichten und Medienmeldungen ein alarmierendes Bild.

Italien: Mindestens 7 Tote und 22 Verletzte in wenigen Monaten

Eine italienische Tierschutzorganisation, die Jagdunfälle systematisch dokumentiert, spricht für die ersten rund drei Monate der Saison 2025/26 allein bei Wildschwein-Jagden von:

  • 29 betroffenen Personen,
  • darunter 7 Tote und 22 Verletzte.

Diese Zahlen betreffen nur einen Teil der Jagd (Schwarzwild), nur ein Land und nur einen Ausschnitt der Saison.

Parallel dazu berichten italienische Regionalmedien über weitere tödliche Jagdunfälle:

  • Ein 69-jähriger Jäger wird in der Provinz Pistoia bei einer Wildschweinjagd von «freundlichem Feuer» tödlich getroffen.
  • Ein 80-jähriger Jäger in der Maremma stirbt, nachdem ihn während einer Jagd eine Kugel in die Brust trifft.
  • In mehreren norditalienischen Regionen kommt es zu weiteren tödlichen Schüssen auf Jagdteilnehmer, etwa in Piemont oder Friaul.

Viele dieser Fälle sind sehr wahrscheinlich bereits in den NGO-Zahlen enthalten. Sie zeigen vor allem, wie dicht die Kette der Tragödien ist.

Spanien: Ein Hobby-Jäger erschiesst seinen Begleiter

In Katalonien stirbt im November ein Hobby-Jäger, als sein Begleiter beim Hantieren mit dem Gewehr einen Schuss löst. Polizei und Medien sprechen von einem Jagdunfall und ermitteln wegen fahrlässiger Tötung.

Belgien: Der Fall Harchies

Zurück nach Belgien: In Harchies wird ein Hobby-Jäger bei einer Treibjagd in der Nähe der französischen Grenze tödlich getroffen. Anwohner hören einen Schuss und Schreie; für den Mann kommt jede Hilfe zu spät. Ein weiterer Toter, ein weiterer lokaler Bericht, aber kein Eintrag in einer europäischen Gesamtstatistik.

Irland und andere Länder: ähnliche Meldungen

Auch ausserhalb des Kontinents, aber innerhalb des «europäischen Jagdmodells», häufen sich Berichte: In Irland stirbt etwa ein 21-Jähriger bei der Fuchsjagd durch einen Gewehrschuss.

Und sogar Jagdlobby-Organisationen auf europäischer Ebene räumen ein, dass es immer wieder tödliche Jagdunfälle gibt, auch wenn sie betonen, die Zahlen seien «rückläufig» und man arbeite an «sicheren Bewegungsjagden».

Was lässt sich seriös sagen?

Auf Basis der verfügbaren Daten und Medienberichte lässt sich für die aktuelle Jagdsaison 2025/2026 nur eine vorsichtige Aussage machen:

  • Es gibt kein zentrales, offizielles Register für Jagdunfälle in Europa.
  • Allein in Italien sprechen NGO- und Medienauswertungen von mindestens sieben Toten und über zwanzig Verletzten in den ersten Monaten der Saison.
  • In mehreren weiteren Ländern – etwa Spanien, Belgien und Frankreich – sind in diesem Herbst ebenfalls tödliche Jagdunfälle dokumentiert.

Konservativ formuliert heisst das:

In der laufenden europäischen Jagdsaison 2025/26 sind nachweislich bereits mindestens ein gutes Dutzend Menschen durch Jagdaktivitäten ums Leben gekommen. Die tatsächliche Zahl liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit deutlich darüber.

Zum Vergleich: Allein in Frankreich starben in der abgeschlossenen Saison 2024/25 offiziell 11 Menschen, in Italien im selben Zeitraum 14. Es wäre realitätsfern anzunehmen, dass Europa als Ganzes in der aktuellen Saison plötzlich deutlich unter diesen Grössenordnungen liegt, zumal die Saison noch lange nicht beendet ist. Auch im deutschsprachigen Raum gab es zusätzlich in den vergangenen Jahren immer wieder Fälle, in denen bewaffnete Hobby-Jäger im Endstadium Amok liefen und Unbeteiligte töteten.

Die unsichtbaren Opfer: Nichtjäger, Haustiere, Millionen Wildtiere

Wenn Jagdverbände wie FACE argumentieren, die meisten Opfer seien «nur Jäger», steckt dahinter eine zynische Logik: Als ob Menschenleben weniger zählen, sobald jemand eine Flinte in der Hand hat.

Dabei zeigen die Zahlen:

  • In Frankreich waren in der Saison 2024/25 16 der Verletzten keine Jäger, darunter Spaziergänger und andere «Nutzer» der Landschaft.
  • Die gleiche Saison brachte mindestens 135 schwere «Incidents», bei denen Häuser, Autos und 50 Haustiere beschossen oder getroffen wurden.

Von den eigentlichen Hauptopfern, den wild lebenden Tieren, ganz zu schweigen. Organisationen, die die Hobby-Jagd kritisieren, sprechen von Grössenordnungen im zweistelligen Millionenbereich getöteter Wildtiere pro Jahr, teils 30 bis 40 Millionen getöteten Tieren pro Saison nur in Frankreich; internationale Studien zeigen, dass bei Wölfen rund 60 Prozent der Todesfälle direkt auf legale oder illegale Jagd zurückgehen.

Ein Freizeitvergnügen mit tödlicher Schusswaffe

Die Hobby-Jagd wird von ihren Lobbyorganisationen gerne als «kulturelles Erbe» und «Naturverbundenheit» verkauft. In der Praxis bedeutet sie:

  • Menschen mit scharfen Waffen in Wäldern und Feldern, oft in unmittelbarer Nähe zu Dörfern, Wanderwegen, Reit- und Fahrradstrecken;
  • eine Mischung aus Adrenalin, Gruppendruck, unklaren Schussfeldern und teilweise mangelnder Ausbildung;
  • und ein System, in dem Unfälle routinemässig als «tragische Einzelfälle» abgebucht werden.

Gleichzeitig blockieren Jagdverbände in mehreren Ländern strengere Regeln, etwa Jagdverbote an Sonn- und Feiertagen oder Pufferzonen um Wohnhäuser, obwohl Verbände von Jagdopfern und Tierschutzorganisationen seit Jahren genau das fordern.

Die tödliche Normalität der «Hobby-Jagd»

Der Tod des Hobby-Jägers in Harchies ist kein Ausnahmefall, sondern Symptom einer Normalität, die man in Europa erstaunlich bereitwillig hinnimmt:

  • Freizeitjäger laufen mit Waffen durch öffentliche Landschaften.
  • Menschen – Hobby-Jäger wie Nichtjäger – sterben oder werden schwer verletzt.
  • Haustiere und Wildtiere werden «versehentlich» getroffen.
  • Häuser und Autos werden durch Kugeln beschädigt.
  • Und trotzdem gibt es nicht einmal eine europäische Pflicht, diese Vorfälle sauber zu erfassen.

Solange die Hobby-Jagd als Privileg einer lauten Minderheit behandelt wird, statt als Sicherheits- und Tierschutzproblem, werden Meldungen wie aus Harchies, der Toskana oder Katalonien einfach weiterlaufen.

Wir wissen nicht genau, wie viele Menschen in Europa in der aktuellen Jagdsaison bereits durch die Hobby-Jagd gestorben sind, aber die besten verfügbaren Daten deuten darauf hin, dass es auch in diesem Jahr wieder Dutzende sein werden. Und die meisten dieser Todesfälle wären vermeidbar, wenn Politik und Gesellschaft den Mut hätten, die Hobby-Jagd radikal zu begrenzen oder abzuschaffen.