Bielefeld. „Noch mehr Krieg und noch mehr Waffen werden keinen Frieden schaffen“, schallt es über den Rathausplatz, als sich der Demonstrationszug in Bewegung setzt. Gekommen sind nicht nur Schülerinnen und Schüler. Die ältesten Teilnehmer haben die 80 überschritten, einer der jüngsten stampft in Matschhose mit. Der „Schulstreik gegen Wehrpflicht“, zu dem das lose Bündnis „Nein zur Wehrpflicht“ in mehr als 90 Städten bundesweit aufgerufen hatte, mobilisiert in Bielefeld deutlich mehr Menschen als erwartet.
Mit rund 350 Personen hatte man bei der Bielefelder Polizei gerechnet. Es kamen mehr als doppelt so viele. Geschätzt 700 bis 800 größtenteils junge Kritikerinnen und Kritiker der geplanten Wiedereinführung der Wehrpflicht haben sich am Freitagvormittag (5. Dezember) zur gemeinsamen Kundgebung im Herzen der Innenstadt getroffen. Auf den Schildern, die sie in die Höhe halten, steht „Euer Krieg ohne uns“, „Klassenkampf statt Sterben fürs Vaterland“ oder „Lieber Gicht als Wehrpflicht“.
Die meisten sind zwischen 13 und 22 Jahren alt, doch auch sympathisierende Studierende, Vertreter von Linken, Grünen und Die Partei sowie Eltern und Großeltern sind gekommen, um ihrem Ärger Luft zu machen über den Gesetzentwurf „zur Modernisierung des Wehrdienstes“, der am selben Tag zur Abstimmung im Bundestag steht. In einer Online-Petition hatte das organisierende Bündnis linkspolitischer und sozialistischer Jugendorganisationen vorab erklärt: „Wir wollen in einer Welt leben, in der Jugendliche sich frei entfalten können, statt auf andere Menschen schießen zu lernen. Dazu braucht es eine Politik, die auf Frieden, Deeskalation und Abrüstung setzt.“
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Bielefelder Vater: Wehrpflicht mit falscher Message
Mila Brünler (13) vom Helmholtz-Gymnasium demonstiert gemeinsam mit Vater Peter Brünler (40), der die Wehrpflicht für „eine ganz dumme Idee“ hält.
| © Peter Unger
Helmholtz-Schülerin Mila Brünler (13) ist mit ihrem Vater gekommen und hat Angst vor einer Wehrpflicht. „Wenn’s kommt, bitte nur für die Jungs“, sagt sie mit einem Lachen. Auch einen Zivildienst könne sie sich nicht vorstellen. „Nur wenn ich muss.“
Für „eine ganz dumme Idee“ hält auch Vater Peter Brünler (40) die Wehrpflicht, die es in seiner Jugend noch gab. Seine Warnweste macht deutlich, er steht der Linken nahe. „Der verpflichtende Charakter gefällt mir gar nicht“, erklärt er zur Wehrpflicht. „Und auch die Message, die dahinter steckt, ihr seid das eurem Staat schuldig, finde ich falsch. Wir sind dem Staat natürlich etwas schuldig, aber wir begleichen das auch auf viele Weise. Dafür braucht man kein Gewehr in der Hand.“
Man solle selbst entscheiden dürfen, ob man zum Bund gehe oder nicht, findet die Bielefelder Oberstufenschülerin Emily (18). „Bevor so große Not am Mann ist, dass man eine Wehrpflicht einführen muss, hätte viel mehr passieren müssen, deutlich mehr Aufklärungsarbeit und mehr Werbung.“ Außerdem sei sie für Gleichberechtigung, auch bei einer Wehrpflicht. „Es kann nicht sein, dass nur die Männer dran sind, die Frauen aber nicht.“
Verabschiedet: Bundestag beschließt Gesetz für neuen Wehrdienst
Bielefelder Schüler: Wehrpflicht für Frauen noch heikler
Schüler Ben (18) sagt, „ich finde, dass niemand dazu gezwungen werden sollte“. Aber für Frauen sei das Thema Wehrpflicht noch heikler, findet er, weil es viele Fälle von Belästigung innerhalb der Bundeswehr gebe. Und Janne (22) hat ihre drei kleinen Geschwister mitgebracht, „weil ich die Vorstellung furchtbar finde, dass meine Geschwister zu etwas gezwungen werden, das sie nicht möchten.“
Angelika Clausen (74) gehört zu den älteren Demoteilnehmerinnen, die gekommen sind, um die Jugend bei ihrem Protest zu unterstützen. Die langjährige Friedensaktivistin und Oma eines Enkelsohns ist froh, dass sich jetzt mehr junge Menschen mit dem Thema Krieg und Frieden auseinandersetzen. Als Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie habe sie früher mit kriegstraumatisierten Patienten gearbeitet. Sie sagt: „Ich bin entschieden gegen Hochrüstung.“
Laura Erkel (25) von den Jungen Linken zählt zum Orgateam der Bielefelder Demo vom Bündnis „Nein zur Wehrpflicht“ und trifft mit ihrer Rede bei vielen einen Nerv.
| © Peter Unger
Bei der Kundgebung um 11 Uhr auf den Stufen am Neuen Rathaus erntet Jungpolitikerin Laura Erkel (25) von den Jungen Linken und aus dem Orgateam des Schulstreiks unterdessen jubelnden Beifall und trifft den Nerv der Menge: „Es sind nicht die jungen Menschen, die versagt haben. Es ist ein Staat, der lieber aufrüstet, als ausbildet. Ein Staat, der Waffen kauft, während Schulbücher fehlen. (…) Eure Zukunft ist nicht die Kaserne. (…) Eure Zukunft liegt in Freundschaft, in Vielfalt und Solidarität, nicht in Befehlsketten. Darum stehen wir heute hier. Darum streiken wir. Darum weigern wir uns. Wir lassen nicht zu, dass man eine Generation erneut in ein System des Gehorsams presst.“
Pro und contra: Junge Bielefelder diskutieren über den neuen Wehrdienst – mit interessantem Ergebnis
Grüne Jugend: Wehrpflicht ist auch Klassenfrage
Ballerspiele verboten, aber dafür direkt zum Ballern geschickt? Schüler Bennett (14) ist der jüngste Redner bei der Kundgebung am Neuen Rathaus.
| © Peter Unger
Dann ist Physikstudent Mika Tiemeier (21) von der Bielefelder Grünen Jugend dran: Das Nein zur Wehrpflicht sei auch ein Aufbegehren gegen ein System, das nicht nur bei der altbekannten Klimakrise die Jungen nicht mitdenke, sondern auch bei Bildung, Psyche und Rente. Jedes vierte Kind unter 18 sei in Deutschland von Sozialleistungen abhängig. Er macht klar, „mit einer Wehrpflicht, wie vor 14 Jahren, ist es Jugendlichen aus ärmeren Verhältnissen so gut wie unmöglich, sie zu verweigern. Es ist ein riesiges Privileg, sich ein soziales Pflichtjahr leisten zu können“.
Jüngster Redner ist Schüler Bennett (14) vom Helmholzt-Gymnasium: „Vor ein paar Jahren wurde noch diskutiert, ob man Jugendliche sogenannte Ballerspiele spielen lassen kann, doch jetzt haben sie kein Problem damit, uns direkt zum Ballern zu schicken“, ruft er. Auf Fahnen wehen Friedenstauben. Dann führt eine Schülergruppe vom Oberstufenkolleg mit ihrem Banner den Protestzug an, der sich bis 13 Uhr und begleitet von zahlreichen Sperrungen durch die Innenstadt schlängelt.
Kurz darauf fällt die Entscheidung in Berlin: Der Bundestag gibt grünes Licht für den neuen Wehrdienst, der schon von 1. Januar 2026 an kommen soll. Für junge Männer gilt dann die Pflicht zur Auskunft und Musterung, der Dienst an der Waffe bleibt aber vorerst noch freiwillig. Für Frauen gilt die neue Wehrpflicht (noch) nicht.
Neues Wehrdienstgesetz: Wie verweigere ich den Dienst?
Straßensperrungen für Demozug durch Bielefeld
Die Polizei sperrte dafür zwischen 10.30 und 13 Uhr folgende Straßen in der Innenstadt:
- Turnerstraße
- Friedrich-Verleger-Straße
- August-Bebel-Straße
- Paulusstraße
- Willy-Brandt-Platz
- Feilenstraße
- Jöllenbecker Straße
- Mindener Straße
- Elsa-Brändström-Straße
- Anfred-Bozi-Straße
- Waldhof
- Am Bach
- Niederwall
- Rathausplatz
Verkehrsteilnehmer müssen in diesem Zeitraum in dem genannten Gebiet mit Behinderungen rechnen.
Mehr zum Thema: Starke Nachfrage nach Beratung zur Kriegsdienstverweigerung in NRW
Gesetzentwurf setzt auf Freiwilligkeit
Der kritisierte Gesetzentwurf zur Wehrpflicht sieht vor, dass alle 18-jährigen Männer und Frauen ab Anfang 2026 einen Fragebogen erhalten, der ihre Motivation und Eignung zum Wehrdienst erfasst. Die Beantwortung soll für Männer verpflichtend und für Frauen freiwillig sein. Für Männer, die ab dem 1. Januar 2008 geboren wurden, soll die Musterung wieder verpflichtend werden. Die Bundesregierung begründet den Änderungsvorschlag mit einer veränderten Bedrohungslage durch den russischen Überfall auf die Ukraine.
Teilnehmenden Schülern drohen nach Demo Fehlstunden
Dass die Demonstration während der Schulzeit stattfindet, erinnert dabei an die Fridays-for-Future-Klimademos: Fehlstunden, die durch die Demo-Teilnahme entstanden sind, werden von den Schulen meist als unentschuldigt gewertet. Minderjährige Schülerinnen und Schüler benötigten das Einverständnis der Eltern.
Nach Angaben des NRW-Schulministeriums kann Unterricht für einzelne Klassen oder Kurse zwar verlegt werden, jedoch ist eine eigenverantwortliche Teilnahme an einem Schülerstreik während der Unterrichtszeit unzulässig, da sie gegen die Schulpflicht verstößt. Schülerinnen und Schüler müssen in diesen Fällen mit unentschuldigten Fehlstunden und disziplinarischen Folgen rechnen.
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Die Lokalgruppe Bielefeld vom Bündnis „Nein zur Wehrpflicht“ ruft in den sozialen Medien dazu auf, dennoch teilzunehmen: „Wenn wir jetzt nicht streiken, sind wir bald alle in der Kaserne. Es sind nur Fehlstunden.“
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