Nach dem Interview nimmt sich Alexander Wüerst noch die Zeit, durch das frisch renovierte Käthe-Kollwitz-Museum zu führen, das 1985 von der Kreissparkasse Köln gegründet wurde und seinen Sitz gleich neben der Sparkassen-Zentrale am Neumarkt hat. Wüerst erweist sich dabei als profunder Kenner des Werks der 1945 gestorbenen Künstlerin. Darauf deuten auch eine Büste der Künstlerin und diverse Käthe-Kollwitz-Bücher in seinem Büro im 5. Stock des Gebäudekomplexes mit denkmalgeschützter Kassenhalle im Erdgeschoss hin.

Welt am Sonntag: Herr Wüerst, in den 50 größten Kreditinstituten Deutschlands sind Sie nach fast 20 Jahren mittlerweile der dienstälteste Vorstandsvorsitzende. Hätten Sie das gedacht, als Sie 1981 als Azubi hier angefangen haben?

Alexander Wüerst: Nein, sicher nicht. Dass ich hier jetzt 44 Jahre tätig bin, ist etwas Besonderes. Allerdings halte ich eine solche Karriere bei den Sparkassen immer noch für möglich. Mein designierter Nachfolger Thomas Pennartz hat ja auch als Auszubildender bei der Kreissparkasse Heinsberg angefangen und es dort gleichfalls zum Vorstandsvorsitzenden geschafft.

WamS: Sie haben hier in Köln als Azubi angefangen, kommen aber ursprünglich aus Niedersachsen.

Wüerst: Ja, gebürtig komme ich aus Nienburg, habe aber von früher Kindheit an in Bonn gelebt, mein Vater war Beamter im Bundesverkehrsministerium. Wenn man so früh hierhergekommen ist, dann übernimmt man auch die rheinische Lebensart. Ich fühle mich schon lange mehr als Rheinländer denn als Niedersachse.

WamS:  Was waren für Sie über die Jahre die größten Herausforderungen?

Wüerst:  Die zwei größten Herausforderungen waren die Digitalisierung und die Niedrigzins- oder auch Negativzinsphase. Die Digitalisierung, weil sie das Bankgeschäft in eine neue Dimension gebracht hat. Als ich anfing, habe ich noch Kontoauszüge einsortiert. Auch das Kassengeschäft ist in dieser Zeit deutlich zurückgegangen. Zur Zeit meiner Ausbildung gab es in unserer großen Kundenhalle am Neumarkt noch 15 Kassen, vorher in den 1950er-Jahren waren es sogar eine Zeit lang 50 Kassen. Aktuell kommen wir mit drei aus.

WamS: Die meisten Kunden kommen ja auch Umfragen zufolge im Durchschnitt nur noch ein- oder zweimal im Jahr zu einem Beratungstermin in die Bank.

Wüerst: Das Bankgeschäft hat sich dramatisch geändert, das war eine große Herausforderung, auch angesichts des zunehmenden Wettbewerbs mit Online-Banken. Wir haben diese Entwicklungen genutzt, um uns gleichfalls digital aufzustellen. So hatte die Kreissparkasse Köln schon sehr früh eine eigene Internetseite. Die Sparkassenorganisation hat heute mit der Sparkassen-App die am besten bewertete und mit fast 20 Millionen Nutzern die weitverbreitetste App dieser Art. Und die Zahl der Nutzerinnen und Nutzer wächst nach wie vor.  

WamS: Sie haben viele Filialen abgebaut. Zu Beginn Ihrer Zeit als Vorstandschef gab es 231 Präsenzfilialen in den vier Kreisen rund um Köln, heute sind es 92. 

Wüerst: Ja, es sind 92 Filialen plus sechs Sparkassen-Busse mit 64 Haltestellen und 75 SB-Stellen. Und mit diesem Angebot können wir unsere Kundschaft sehr gut bedienen. Das sind übrigens genau 231 Präsenzen, die wir mit diesem Angebot in der Region haben. Wir sind also in der Region geblieben und haben dabei unser Angebot den veränderten Bedürfnissen unserer Kundschaft angepasst.

WamS: Man kann ja heute auch online mit dem Berater kommunizieren…

Wüerst: Ja, das ist der Trend, dass unsere Berater perspektivisch ihre Kundinnen und Kunden persönlich sowohl in der Filiale beraten können als auch online über einen Videocall oder im Textchat. Wir haben ein Team Finance erfolgreich erprobt, das auf diese Weise gezielt junge Erwachsene adressiert. Dieses Konzept rollen wir gerade in der gesamten Region aus. Ich glaube, unsere Filiale der Zukunft wird sich durch ein Omnikanal-Angebot auszeichnen.

WamS: Längere Zeit wurden bei der Kreissparkasse jährlich 50 bis 70 Stellen abgebaut, vor allem durch Fluktuation oder Pensionierungen. Wie hat sich das in den letzten Jahren entwickelt? 

Wüerst: Aktuell beschäftigen wir insgesamt rund 3400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir hatten in der Tat zeitweise eine rückläufige Entwicklung beim Personal. Das endete allerdings vor zwei Jahren. Seitdem bauen wir wieder leicht auf, etwa für die Themen rund um die IT als auch bei Spezialisten für aktuelle und künftige aufsichtsrechtliche Anforderungen.

WamS: Spielen Sie damit auf die Bilanzsumme von 30 Milliarden Euro an, die Sie demnächst erreichen dürften?

Wüerst: Ja, es deutet alles darauf hin, dass wir zum Jahresende die 30 Milliarden Euro bei der Bilanzsumme überschreiten werden. Das wiederum bedeutet deutlich ansteigende Anforderungen für uns infolge der Aufsicht durch die Europäische Zentralbank. Allein dafür haben wir in den letzten Jahren 40 Mitarbeiter eingestellt. Wir werden dieses Team auf 60 weiter aufstocken. 

WamS:  Sie sind ja auch als Geschäftsbank aktiv und haben dort wahrscheinlich den Mittelstand im Fokus, von den kleinen bis zu den ganz Großen. Wie laufen diese Geschäfte?   

Wüerst: Die Stimmungslage ist aktuell nicht gut. Neben den gestiegenen Energie- und Arbeitskosten klagen viele Betriebe über zu viel Regulierung und Bürokratie. Das drückt auf die Stimmung. Wir wünschen uns alle eine Aufbruchsstimmung, aber von staatlicher Seite passiert dafür im Moment zu wenig. Entsprechend ist die Nachfrage nach Investitionsdarlehen relativ schwach, aktuell finanzieren wir fast ausschließlich Ersatzinvestitionen. Auch stellen wir einen Anstieg der Insolvenzen fest, wenn auch nur moderat und auf niedrigem Niveau.

WamS: Die gestiegenen Zinsen belasten ja auch das Geschäft der Banken mit Immobilienkrediten. Die Baubranche insgesamt schwächelt, es wird viel zu wenig gebaut in Deutschland und NRW. Wie sehen Sie die aktuelle Lage, und was kostet ein Baukredit denn derzeit?

Wüerst: Sie können heute mit 3,5 bis 4 Prozent finanzieren, das ist in der langfristigen Betrachtung kein hoher Zins. Ich habe Anfang der 90er-Jahre bei der Finanzierung unserer Wohnung in Bonn 7,5 Prozent gezahlt. Ich denke, der Zins ist nicht der entscheidende Aspekt für die derzeitige Flaute am Bau.   

WamS: Sondern?

Wüerst: Der Grund sind die gestiegenen Bau- und Baunebenkosten sowie die langwierigen bürokratischen Prozesse. In Köln benötigt es derzeit im Mittel acht Monate Wartezeit auf eine Baugenehmigung. Da macht kein Handwerker mehr ein verbindliches Angebot für ein Gewerk, das erst in acht bis zehn Monaten aufgenommen wird. Und auch Bauträger sind sehr zurückhaltend, weil es sich einfach nicht mehr so schnell verkauft. Hinzu kommt, dass zu wenige Grundstücke verfügbar sind. Ich verstehe aber auch die Politik nicht.

WamS: Was sollte die denn aus Ihrer Sicht unternehmen?

Wüerst: Weshalb denkt man nicht wieder über eine attraktive Förderung für selbst genutzten Wohnraum nach? Damit ließen sich viele Impulse erzielen – es würde der Baukonjunktur helfen, die Wohnungsnot lindern, und das Eigenheim ist ja auch ein Stück Altersvorsorge. Das würde auch auf eine Rentenreform einzahlen: Wenn Sie in den Ruhestand gehen und Ihre Wohnung ist bereits bezahlt, brauchen Sie zumindest keine Miete zu zahlen.  

WamS: Das Geschäftsjahr 2025 ist das letzte, das Sie hier verantwortet haben. Wie ist es gelaufen, wie sind die Aussichten für 2026?

Wüerst: Wir steuern wie beschrieben auf die 30 Milliarden bei der Bilanzsumme zu. Vom Ergebnis werden wir wohl leicht unter dem Vorjahr liegen, aber es dürfte immer noch das drittbeste Ergebnis in der Geschichte der Kreissparkasse Köln werden. Mit einem solchen Ergebnis können wir unsere Aufgabe als Sparkasse weiter erfüllen, an den Träger ausschütten und unser Eigenkapital ausreichend stärken. Ich bin auch recht zuversichtlich für die nächsten Jahre.

WamS: Sie sind ja als kommunale Sparkasse eine Anstalt öffentlichen Rechts und damit auch der Öffentlichkeit verpflichtet, dazu unterhalten Sie mehrere Stiftungen und sogar ein eigenes Museum.

Wüerst: Das Käthe-Kollwitz-Museum wurde 1985 durch meinen Vor-Vorgänger Hans-Joachim Möhle gegründet. Wir hatten seinerzeit zunächst 60 Zeichnungen erworben, die ansonsten in alle Himmelsrichtungen verstreut worden wären. Es galt die Sammlung für die Region und die Öffentlichkeit zu sichern. Später kamen durch Dauerleihgaben und Ankäufe weitere Zeichnungen, Druckgrafiken und Plastiken dazu. Dies war der Grundstein für das Käthe-Kollwitz-Museum. In den letzten Jahren war unser Museum für eine umfängliche Modernisierung geschlossen. Wir haben diese Zeit genutzt, Ausstellungen vom MoMA in New York über die dänische Staatsgalerie in Kopenhagen bis zum Kunsthaus Zürich mittels Ausleihen zu unterstützen.

WamS: Und die 16 Stiftungen, was machen die?

Wüerst: Wir verfügen insgesamt mittlerweile über ein Stiftungsvermögen von knapp 100 Millionen Euro. Die Stiftungszwecke sind dabei so vielfältig wie auch die Menschen in unserer Region. So unterstützen wir Soziales, Kunst, Kultur, Brauchtum aber auch Sport, Umwelt- und Naturschutz darüber hinaus auch Bildung in der Breite als auch mit der Hochbegabtenstiftung für besonders talentierte Menschen. Die größte Einzelstiftung ist unsere Bildungs-Stiftung gefolgt von der Sozialstiftung. Wir sehen es als Teil unserer Aufgabe an, die Entwicklung unserer Region zu fördern und dabei mitzuwirken diese lebenswert und attraktiv zu gestalten für die Menschen. Hierzu tragen die Stiftungen einen Großteil bei.

WamS: Sie wurden gerade im Kölner Veranstaltungssaal Gürzenich vor mehreren Hundert Gästen offiziell verabschiedet. Geschenke wollten Sie nicht, sondern haben stattdessen für ein Kinderheim in Siegburg gesammelt.

Wüerst: Den Abschied in diesem besonderen Rahmen mit so vielen langjährigen Vertrauten, Geschäftspartnern und Kolleginnen und Kollegen war schon ein besonderer Moment für mich. Die vielen wertschätzenden Worte haben mich sehr berührt. Das Kinderheim „Pauline von Mallinckrodt“ steht stellvertretend für das außerordentliche soziale Engagement in unserer Region. Das Heim gibt Kindern, die in ihrem Leben nicht so gute Startvoraussetzungen hatten, eine sichere Heimat. Durch die großzügigen Spenden der Gäste anlässlich meiner Verabschiedung sind über 60.000 Euro für das Kinderheim zusammengekommen, darüber freue ich mich sehr. Das Geld soll nun in den Bau eines Sportgeländes für das Kinderheim fließen.

WamS: Ihr Nachfolger steht mit Thomas Pennartz fest. Welche Ratschläge würden Sie ihm geben? Er ist gerade 60 Jahre alt geworden, kann also nicht so lange als Vorstandschef agieren wie Sie.…

Wüerst: Wir arbeiten seit anderthalb Jahren zusammen, stehen im Grunde jeden Tag im engen Austausch. Wir kennen uns sehr gut. Thomas Pennartz war zuletzt Geschäftsführer beim Rheinischen Sparkassen- und Giroverband und davor Vorstandsvorsitzender der Kreissparkasse Heinsberg. Er kennt also das Sparkassengeschäft ausgesprochen gut. Ich denke, er ist zu uns gekommen, weil ihm die Philosophie gefällt, für die dieses für Haus steht: Tradition, Innovation und Verantwortung. Ich glaube, er wird die Sparkasse mit neuen Akzenten voranbringen zum Wohle der Region und der Menschen, die hier leben.

WamS: Wie wird sich Ihr persönliches Leben demnächst verändern? Golfspielen ist eher etwas für den Urlaub, haben Sie im Vorgespräch gesagt.

Wüerst: Ich bin dieses Jahr tatsächlich nicht allzu häufig zum Golfspielen gekommen. Da besteht für die Zukunft sicherlich Luft nach oben. Ich werde darüber hinaus viel mehr Zeit haben, wieder Dauersport zu machen, Schwimmen etwa. Früher habe ich viel Handball und Tennis gespielt, das ist ein wenig auf die Knochen gegangen.

WamS: Und bleiben Sie im Ruhestand dem Rheinland treu?

Wüerst: Ich bleibe in Bonn, wo wir schon lange leben, seit Anfang der 90er-Jahre im selben Haus. Da fühlen wir uns wohl. Ich habe zwei Kinder und fünf Enkelkinder, die wohnen alle in der Nähe. Die Eltern freuen sich schon, dass ich sie vielleicht demnächst etwas stärker zeitlich unterstütze. Aber ich werde auch noch ein paar kulturelle und soziale Themen betreuen, mich noch in einigen Stiftungen engagieren. Und alles Weitere wird sich zeigen.