06. Dezember 2025
Lars Lange

KI-generierte Grafik
14 Jahre nach dem Absturz einer US-Sentinel im Iran stationieren die USA die Lucas-Drohne im Nahen Osten – und setzen dabei auf iranisch inspiriertes Design.
Shahed, Geran und jetzt – Lucas. Es ist eine weite Reise vom Iran nach Russland und jetzt in die USA: Die Vereinigten Staaten haben der iranischen Shahed-Drohne mit ihrer „Lucas“ genannten Kopie ein großes Update verpasst.
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Und die USA bringen sie gegen die Drohnenmacht Iran in Stellung – eine fast tragikomische Wendung in ihrem Bemühen, Anschluss an die neue Realität der Kriegsführung wiederzufinden.
Mit der Task-Force Scorpion Strike ist jetzt die erste operative Einheit mit Lucas-Drohnen im Nahen Osten stationiert. Der genaue Standort ist nicht bekannt.
Als die Kriegsführung die USA überholte
Jahrzehntelang waren die USA der global dominierende Militärapparat, mit der Fähigkeit, in jeden Winkel der Welt Macht zu projizieren. Das ist natürlich immer noch der Fall. Doch die Fähigkeiten der USA beruhen in Teilen auf Technologien einer militärisch vergangenen Zeit.
Erst der Krieg um Bergkarabach 2020 ließ das Potenzial von Drohnen erahnen, und der Ukraine-Krieg, der im Februar 2022 von Russland losgetreten wurde, kann als Durchbruch der Drohnenwaffe angesehen werden.
Drohnen, die plötzlich ganz anders sind als alles, was den USA in ihrem kleinen Drohnenarsenal zur Verfügung stand: Winzige, wendige FPV-Drohnen, die zunehmend Aufgaben der Infanterie übernehmen, kleine Aufklärungsdrohnen, Flugzeugmodellen gleich, oder Drohnen, die eine beträchtliche Menge Sprengstoff über kontinentale Entfernungen transportieren können, und in einem speziellen Fall 50 oder 90 Kilogramm.
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Von der Geran-Fabrik zur Abrams-Krise: Wie sie die Rüstungsordnung verändern
Und das ist die Geran-2, eine Weiterentwicklung der iranischen Shahed-Drohne, die jetzt zu Hunderten jeden Tag die kritische Infrastruktur der Ukraine trifft, Kraftwerke, Umspannwerke, Freileitungen, die Eisenbahn oder Brücken. Es ist eine mächtige Waffe, eine, die auf die Dauer das Kräfteverhältnis zugunsten Russlands verschieben könnte.
Die russische Militärführung hält die Waffe offenbar für so bedeutsam, dass sie ihr die höchste Priorität zugestanden hat: In Alabuga in Tatarstan ist die, wie einige behaupten, größte Rüstungsfabrik der Welt entstanden, und jeden Monat werden dort geschätzt über 6.000 der Marschflugkörper-ähnlichen Drohnen gebaut.
Das steht für einen substanziellen Umbruch in der russischen Rüstungsindustrie, denn das angeblich größte Panzerwerk der Welt, Uralvagonzavod, verkündete vor einem Monat noch eine umfangreiche Personalreduzierung.
Denn Panzer gehören zu der Klasse von Waffen, die durch die neue Kriegsführung, bei der Drohnen eine zentrale Rolle spielen, nicht mehr in einem größeren Umfang benötigt werden: Drohnen statt Panzer, das ist die neue Realität in der Ukraine.
Das hat man nun offenbar auch in den USA erkannt. Zwar scheint man noch an einer Modernisierung des M1-Abrams-Panzers festzuhalten, doch zurzeit bleiben größere Panzerbestellungen des US-Militärs aus, anders als etwa in Europa.
Die Kopie einer iranischen Drohne
Die Vereinigten Staaten versuchen fieberhaft, den verlorenen Boden zurückzugewinnen – und tun das auf eine Weise, die noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wäre, nämlich durch das Kopieren einer iranischen Drohne, namentlich der berüchtigten, weil effizienten und effektiven Shahed-136.
Die Ironie: Fast auf den Tag genau vor 14 Jahren, am 5. Dezember 2011, stürzte eine US-Drohne auf iranischem Staatsgebiet ab, eine RQ-170 Sentinel, vermutlich durch die Einwirkung elektronischer Kriegsführung, und fiel nahezu unbeschädigt in iranische Hand.
Dieser Zwischenfall gab der iranischen Drohnenentwicklung einen Schub, weil er Zugriff auf US-amerikanische Ingenieursleistung gewährte, und führte in der Folge unter anderem zu zwei iranischen Drohnendesigns, die auf der RQ-170 beruhten, der Shahed 171 und der Shahed Saegheh.
Das iranische Drohnenprogramm ist allerdings weit älter, die Anfänge lassen sich bis zum Golfkrieg zurückverfolgen. Die iranische Luftwaffe war nach der Revolution geschwächt, Ersatzteile fehlten. Also wich man auf unbemannte Systeme aus.
Ab Mitte der 1980er-Jahre war etwa die Mohajer-1 im Einsatz, wenig später die Ababil-1. Diese Drohnen waren primitiv, aber der Iran war damit einer der ersten Staaten weltweit, die Drohnen systematisch im Krieg nutzten.
Technische Spezifikationen und Systemvergleich
Die Lucas genannte Shahed-Kopie präsentiert sich als kompakte Deltaflügler-Konstruktion mit einer Gesamtlänge von etwa drei Metern und einer Spannweite von rund 2,4 Metern.
Die von SpektreWorks entwickelte Drohne kann wie die Geran durch verschiedene Startmechanismen eingesetzt werden, darunter Katapulte, raketengestützte Starts sowie mobile Boden- und Fahrzeugsysteme.
Der Stückpreis liegt bei etwa 35.000 US-Dollar. Das Pentagon macht keine konkreten Angaben zu Reichweite, Nutzlast oder Geschwindigkeit der operationalisierten Variante, die Ähnlichkeiten mit der russischen Shahed/Geran implizieren aber ähnliche Spezifikationen.
Die iranische Shahed-136, die als direkte Vorlage für Lucas diente, zeigt folgende Leistungsparameter: Das System wiegt 200 Kilogramm, misst 3,5 Meter in der Länge und hat eine Spannweite von 2,5 Metern.
Der mit einem 50-PS-Verbrennungsmotor ausgestattete iranische Entwurf erreicht eine Höchstgeschwindigkeit von rund 185 Stundenkilometern und verfügt über eine maximale Reichweite von ungefähr 2.000 Kilometern bei einem 50-Kilogramm-Gefechtskopf.
Die iranische Version wurde ursprünglich für Angriffe auf statische Ziele konzipiert, wobei die Zieldaten vor dem Start programmiert werden. Iran und Russland haben im Laufe der Jahre zusätzliche Versionen mit alternativen Lenksystemen sowie eine strahlgetriebene Ableitung entwickelt.
Varianten und Netzwerkfähigkeiten
Das US-amerikanische Lucas-System existiert in mindestens zwei Konfigurationen. Die Basisvariante entspricht der klassischen Kamikaze-Drohne für statische Ziele, während die erweiterte Version über ein Kamerasystem und eine Starlink-Anbindung verfügt.
Diese Satellitenverbindung ermöglicht die dynamische Kontrolle nach dem Start über große Entfernungen und befähigt die Drohnen auch zum Angriff auf bewegliche Ziele. Das Konzept basiert auf einer hierarchischen Netzwerkarchitektur.
Wenige teure Hub-Drohnen mit Satellitenlink fungieren als Kommandozentralen, während einfachere Kampf-Drohnen sich per Sichtverbindung mit diesen Hub-Drohnen verbinden. Die Echtzeit-Überwachung durch menschliche Operatoren ermöglicht koordinierte Schwarmtaktiken.
Russland verfolgt mit seinen Geran-Varianten einen fundamental anderen Ansatz. Moskau setzt auf chinesische Mesh-Modems im 1300-1500 MHz-Band, die etwa 7.000 Dollar kosten und Verbindungen über hundert Kilometer ermöglichen.
Jedes Modem fungiert gleichzeitig als Relaisstation: Die Drohnen bilden ein Kettennetzwerk (Mesh), in dem Datenpakete automatisch umgeleitet werden, wenn ein Knotenpunkt ausfällt. Selbst wenn achtzig Prozent der Drohnen abgeschossen werden, bleibt das Netzwerk operational.
Das System bietet ausreichend Bandbreite für hochauflösendes Video und FPV-Steuerung. Russland nutzt verschiedene Rückkanäle: Bodenrelais, die von Ortskräften auf Balkonen oder Dächern installiert und parasitär ins ukrainische Internet eingespeist werden, oder reine Luftketten aus Relais-Drohnen für vollständige Unabhängigkeit. Auch das ukrainische Mobilfunknetzwerk könnte über dann verbaute SIM-Karten genutzt werden.
Schwachstellen der beiden Systeme
Die beiden Systeme offenbaren unterschiedliche Verwundbarkeiten. Das amerikanische Lucas-System bietet durch seine Satellitenverbindung globale Reichweite und funktioniert in jeder Flughöhe.
Der entscheidende Schwachpunkt liegt jedoch in der hierarchischen Architektur: Die Hub-Drohnen erzeugen charakteristische Funksignaturen, die durch elektronische Aufklärung detektiert werden können. Ein Gegner mit fortgeschrittenen Fähigkeiten könnte diese Hub-Drohnen gezielt mit Langstrecken-Luftabwehrraketen jagen.
Der Verlust einer Hub-Drohne würde alle verbundenen Kampf-Drohnen ihrer Vernetzung berauben und das Schwarmverhalten zusammenbrechen lassen.
Das russische Mesh-System weist, soweit bekannt, keinen solchen „single point of failure“ auf. Die dezentrale Architektur kennt keine priorisierten Zieldrohnen, jede Einheit ist gleichwertig. Die Selbstheilungsfähigkeit bedeutet, dass auch massive Verluste die Funktionsfähigkeit nicht beeinträchtigen.
Allerdings erkauft sich Russland diese Resilienz mit anderen Nachteilen: Bodenrelais schränken Angriffe in großer Höhe ein, doch Russland kann stattdessen Relais-Drohnen einsetzen, die eine Luftkette zurück ins eigene Territorium bilden.
Das System bleibt anfällig für elektronische Kriegsführung, wenn die Signatur der Mesh-Modems erkannt ist. Gegen einen Gegner wie Iran bietet das amerikanische System klare Vorteile, gegen hochentwickelte Gegner mit fortgeschrittener elektronischer Kriegsführung könnte hingegen die russische Lösung operativ robuster sein.
Ausblick auf die Brückentechnologien
Beide Ansätze – die hierarchische Satellitenvernetzung der USA und das dezentrale Mesh-Netzwerk Russlands – können als Brückentechnologien betrachtet werden.
Die nächste Entwicklungsstufe dürfte vollautonome KI-gesteuerte Schwärme sein, die ohne permanente Datenverbindung operieren und eigenständig Ziele identifizieren, priorisieren und angreifen können.
Erste Ansätze dieser Technologie sind bereits in der Erprobung. Sobald diese technische Reife erreicht, würden sowohl die Verwundbarkeit der amerikanischen Hub-Drohnen als auch die Störanfälligkeit der russischen Mesh-Modems irrelevant. Der Wettlauf um diese Fähigkeit ist bereits im Gang.