„Die USA sind immer noch unser größter Verbündeter“, versuchte die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas die Wogen zu glätten. Sie sprach am Samstag am Rande des Doha Forums, einer jährlich stattfindenden diplomatischen Konferenz in Katar.
Die Sichtweisen beider Seiten stimmten nicht immer überein, „aber ich denke, das übergreifende Prinzip ist immer noch da“, fügte Kallas hinzu. „Wir sind die größten Verbündeten und wir sollten zusammenhalten.“ Natürlich gebe es viel Kritik, räumte Kallas ein, und „einen Teil davon halte ich auch für wahr“. So habe Europa die eigene Macht gegenüber Russland beispielsweise unterschätzt. „Wir sollten selbstbewusster sein, das ist sicher.“
Fortsetzung von Vance’ Aussagen in München
Die US-Positionierung zu Europa ist nicht neu – sie setzt fort, was Vizepräsident JD Vance bereits kurz nach Antritt der neuen Regierung im Jänner bei der Sicherheitskonferenz in München gesagt hatte. Bereits damals hatte er Europa scharf kritisiert und dem Kontinent unter anderem Einschränkung der Meinungsfreiheit und Ausgrenzung rechtspopulistischer Parteien, zu denen Donald Trumps MAGA-Bewegung (Make America great again) die Nähe sucht und umgekehrt, vorgeworfen.
USA orten „Unterdrückung“ in Europa
Neue Spitzen aus den USA
Aus den USA rissen die Attacken gegen Europa unterdessen nicht ab. Anlässlich einer Entscheidung der EU, eine Millionenstrafe gegen Elon Musks Onlineplattform X wegen Transparenzmängeln zu verhängen, äußerte sich der Vizeaußenminister der USA, Christopher Landau, erneut kritisch. In einem X-Beitrag beschwerte er sich über die Doppelrolle der Staaten, die sowohl der NATO als auch der EU angehörten.
Hätten diese Staaten ihren „NATO-Hut“ auf, pochten sie auf die Bedeutung der transatlantischen Zusammenarbeit, schrieb Landau. Mit ihrem „EU-Hut“ verfolgten sie gleichzeitig aber politische Agenden, „die oft den Interessen und der Sicherheit der USA völlig zuwiderlaufen“.
Wolschek: „USA wollen sich in Europa einmischen“
Das US-Strategiepapier zur nationalen Sicherheit zeige deutlich, dass die USA vorhaben, sich in die Entwicklungen in Europa einzumischen, so ORF-Korrespondentin Barbara Wolschek. Im Fokus würden die europäische Migrationspolitik, ein mangelnder Einsatz für eine Friedenslösung in der Ukraine und der Vorwurf einer Unterdrückung der Meinungsfreiheit in Europa stehen.
„Politik des zivilisatorischen Selbstmords“
Als Beispiele nannte er unter anderem „Zensur, wirtschaftlichen Selbstmord/Klimafanatismus, offene Grenzen“. Die USA könnten diesen Widerspruch nicht länger ignorieren, schrieb Landau weiter. „Wir können nicht so tun, als wären wir Partner, während diese Nationen zulassen, dass die ungewählte, undemokratische und nicht repräsentative Bürokratie der EU in Brüssel eine Politik des zivilisatorischen Selbstmords verfolgt“, behauptete Landau gleich mehrere Dinge, die in Europa vielfach ganz anders gesehen werden.
Landau hatte in der vergangenen Woche als Vertretung für US-Außenminister Marco Rubio am Treffen der NATO-Außenminister in Brüssel teilgenommen. Ein triftiger Grund für die Absage Rubios wurde nicht genannt. Dass ein US-Außenminister nicht persönlich an einem formellen NATO-Außenministertreffen teilnimmt, ist höchst ungewöhnlich.
Sicherheitsstrategie sieht Demokratieverlust in Europa
Die US-Regierung hatte am Donnerstag ihre neue Sicherheitsstrategie veröffentlicht und darin ein düsteres Bild der Lage in Europa gezeichnet – während sie, wie die „New York Times“ anmerkte, zu Russland praktisch kein Wort verlor.
US-Präsident Trump brandmarkt darin unter anderem die aktuelle politische Landschaft in der EU als Bedrohung für amerikanische Interessen. Beklagt wird außerdem ein angeblicher Verlust der Demokratie und Meinungsfreiheit in Europa. Eine Kurskorrektur sei notwendig, hieß es in dem Dokument.
Kritik zu Meinungsfreiheit scharf zurückgewiesen
Aus europäischen Staaten kam an der neuen Strategie umgehend scharfe Kritik. Der deutsche Außenminister Johann Wadephul sagte zu den kritischen Äußerungen zur Meinungsfreiheit, er glaube „nicht, dass irgendjemand uns dazu Ratschläge geben muss“. Auch die EU-Kommission von Ursula von der Leyen wies die Vorwürfe gegen die EU zurück.
Historisch bedingt – insbesondere durch Faschismus und Nationalsozialismus – gibt es in Europa ein anderes Verständnis von Meinungsfreiheit als in den USA, das etwa bei der Leugnung des Holocaust endet. Dass es in Europa – anders als in Russland oder China – keinerlei Einschränkung der Meinungsfreiheit bezüglich Kritik an Regierungen und politischen Maßnahmen gibt, wird in dem US-Papier dagegen nicht erwähnt.
Umfassende außenpolitische Neuausrichtung
Die US-Regierung hatte am Freitag ihre neue nationale Sicherheitsstrategie veröffentlicht, die eine umfassende außenpolitische Neuausrichtung der Vereinigten Staaten beinhaltet. Zu Europa heißt es darin, dass die US-Regierung den „Widerstand“ gegen den aktuellen politischen Kurs Europas unterstützen will. Zugleich warnt die Trump-Regierung vor einer „zivilisatorischen Auslöschung“ Europas.
Scharfe Kritik an Einwanderungspolitik in EU
Scharfe Kritik wird in dem Papier an der Einwanderungspolitik in Europa geäußert. Zudem prangern die USA eine angebliche „Zensur der freien Meinungsäußerung und die Unterdrückung der politischen Opposition“ in Europa an. Washington äußert überdies Zweifel daran, ob einige europäische Länder wirtschaftlich und militärisch künftig stark genug seien, um „verlässliche Verbündete“ zu sein.
In der neuen US-Sicherheitsstrategie wird festgeschrieben, was Trump mit seiner „America First“-Agenda („Amerika zuerst“) bereits vorgegeben hat: eine stärkere Konzentration auf nationale Interessen und weniger militärisches Engagement weltweit. „Bei allem, was wir tun, stellen wir Amerika an die erste Stelle“, schreibt Trump im Vorwort.