Vier Wochen noch. Dann packt die Europäische Union eines der weitreichendsten Klimaschutzinstrumente in ihrer bisherigen Geschichte aus. Mit erstem Jänner 2026 stellt Brüssel den CO2-Grenzausgleich CBAM, landläufig bekannt als „Klimazoll“, scharf. Eisen, Zement, Stahl, Aluminium, Strom, Dünger und Wasserstoff, der aus weniger umweltfreundlichen Regionen in die EU kommt, wird dann an der Grenze künstlich verteuert. Damit werde man Europas Vorstellung von Klimaschutz in die Welt exportieren und gleichzeitig die eigene Industrie schützen, so die Idee hinter dem einstigen Vorzeigeprojekt der Green-Deal-Kommission. Doch kurz vor Einführung gibt es statt Applaus fast nur noch Kritik – von innen wie von außen. Wirtschaftsforscher fordern ein radikales Umdenken von Brüssel.

Die Gegenwehr der Handelspartner bekamen die Europäer zuletzt am Klimagipfel in Belém zu spüren. Von „grünem Protektionismus“ oder gar „Kolonialismus“ war da die Rede. Indien, China und etliche andere Staaten drängten die EU in die Defensive. Um ein Haar wäre CBAM sogar im Abschlussdokument als Handelsbarriere für die Energiewende gebrandmarkt worden. Dabei gehe es der EU nicht darum, den Handel einzuschränken, betonte Jacob Werksman, Chefverhandler der EU, sondern nur darum, Europas Unternehmen, die mit viel höheren CO2-Kosten kalkulieren müssen als die Konkurrenz, eine faire Chance zu verschaffen. „Man muss sicherstellen, dass offene Märkte nicht die Deindustrialisierung der eigenen Wirtschaft vorantreiben“, sagte Werksman. Doch es herrschen große Zweifel, dass CBAM in seiner heutigen Form daran etwas ändern wird.

„Die Idee ist gut und richtig“, sagt Wifo-Chef Gabriel Felbermayr zur „Presse am Sonntag“. „Aber die Umsetzung, die jetzt droht, ist nicht vielversprechend.“ Wenige Wochen vor seinem offiziellen Start sei der CO2-Grenzausgleich „notwendig, aber noch nicht einsatzbereit“, bestätigt auch Elisabeth Christen, Handelsökonomin am Wifo. Die EU hat zwar in einem ersten Schritt neun von zehn Unternehmen von der CBAM-Pflicht befreit. Das war gut gemeint, doch am eigentlichen Problem ging die Reform schlichtweg vorbei.

Um zu verstehen, warum das so ist, muss man wissen, wie die EU Klimapolitik betreibt: Energieintensive Industriebetriebe und Stromerzeuger bezahlen in Europa aktuell rund 80 Euro für jede Tonne CO2, die sie ausstoßen. Das soll sie antreiben, auf klimafreundlichere Produktionsweisen umzusteigen, birgt aber auch die Gefahr, dass die europäischen Unternehmen von Konkurrenten aus Ländern abgehängt werden, die ihnen keine oder viel geringere CO2-Kosten aufbürden. Um ein Abwandern der solcherart benachteiligten Industrie aus Europa zu verhindern, erhielten die Produzenten bisher ein bestimmtes Kontingent an CO2-Zertifikaten gratis zugeteilt. Mit erstem Jänner soll der Klimazoll diese Schutzfunktion übernehmen und die Gratiszertifikate werden schrittweise zurückgefahren. Für die europäischen Unternehmen bedeutet das in erster Linie stark steigende CO2-Kosten, warnt die deutsche Commerzbank. Den versprochenen Schutz könne Europa nicht liefern.

Ein Grund dafür ist die Begrenzung von CBAM auf wenige Grundstoffe. Der Klimazoll mag europäischen Stahl- und Zementherstellern innerhalb des europäischen Markts helfen. Doch alle nachgelagerten Industrien haben nur Nachteile zu befürchten. Wer etwa in Europa Waschmaschinen oder Kühlschränke bauen will, muss einerseits teureren Stahl zukaufen, genießt aber keinerlei Schutz vor günstigeren Importprodukten aus Asien. Außerhalb des europäischen Marktes greift CBAM ohnedies gar nicht. Für die europäischen Exporteure wirken die hohen CO2-Kosten also auch nach der Einführung des Klimazolls als schwerer Wettbewerbsnachteil. Dass auch der Import von Elektrizität mit einem Klimazoll belegt wird, hält Georg Zachmann vom Brüsseler Thinktank Bruegel für eine komplette Themenverfehlung. Strom würde dadurch nur teurer, die Versorgung instabiler, der behauptete Klimanutzen sei nicht nachweisbar, begründet er die Bruegel-Forderung, Strom vom CBAM-Regime zu befreien.

»Der Klimazoll war eine gute Idee, aber er hält nicht, was er verspricht. Die EU sollte ihn reparieren, bevor es zu spät ist.«

Auch sonst könne sich Europa nicht darauf verlassen, dass sich der Rest der Welt bekehren lasse, um dem Klimazoll zu entgehen, warnen Ökonomen. „Wir wissen, wie fragil die geopolitische Lage ist“, erinnert Christen. Länder wie China, Indien und allen voran die USA hätten keinen Zweifel daran gelassen, dass sie mit entsprechenden Gegenzöllen antworten würden. „Da haben wir dann gar nichts gewonnen“, so Felbermayr.

Die EU-Kommission will das Ruder noch einmal herumreißen und am 10. Dezember neue Reformvorschläge für CBAM vorstellen. Die Wirtschaftsforscher plädieren dafür, trotzdem die Notbremse zu ziehen. „Ich würde mir wünschen, dass die Einführung verschoben wird“, sagt Christen. Bis es Europa geschafft habe, das Instrument so umzubauen, dass es hält, was es verspricht, könnten die Gratiszertifikate weiterlaufen. Früher oder später „braucht die ambitionierte Klimapolitik der EU einen funktionierenden Grenzausgleich, sonst sind die steigenden CO2-Preise für die Industrie in Europa fatal“. In seiner jetzigen Form nützt CBAM aber wenig und birgt die Gefahr, die Deindustrialisierung der EU nur zu beschleunigen.