Fotomontage: Kapitän Marco Friedl von Werder Bremen (v.l.) neben Nicolai Remberg und Miro Muheim vom HSV

AUDIO: Werder Bremen nur Mittelmaß: Viele Chancen, wenig Effizienz (3 Min)

Stand: 07.12.2025 07:51 Uhr

Nach mehr als sieben Jahren kommt es heute wieder zum Nordderby zwischen dem HSV und dem SV Werder in der höchsten deutschen Spielklasse. Die Bremer zeigen sich in dieser Bundesliga-Saison deutlich gereift und sind Favorit. Doch der HSV kann dagegenhalten, sagt der Daten-Check.

von Florian Neuhauss

Wie schnell es im Fußball mitunter gehen kann, haben die beiden Nordrivalen gerade am eigenen Leib erfahren müssen. Werder führte am vergangenen Wochenende in der Bundesliga bis in die Nachspielzeit mit 1:0 gegen den 1. FC Köln – und kassierte noch das 1:1. Den HSV erwischte es im DFB-Pokal: Bakery Jatta schoss den HSV in der Verlängerung in Führung, aber Kiel glich kurz vor Ultimo noch aus und warf den Erstligisten im Elfmeterschießen aus dem Wettbewerb.

Sekunden, die darüber entschieden haben, das sowohl die Bremer als auch die Hamburger angefressen ins Nordderby gehen. HSV-Coach Merlin Polzin, der am Wochenende noch den Last-Minute-Sieg gegen den VfB Stuttgart bejubelt hatte, sprach von „großer Enttäuschung – wir müssen das einfach cleverer zu Ende spielen“. Werder-Trainer Horst Steffen hatte sich schon am Wochenende „sehr geärgert“.

Hamburgs Miro Muheim (l.) und Bremens Leonardo Bittencourt

Nach mehr als sieben Jahren treffen der HSV und Bremen heute wieder in der höchsten deutschen Spielklasse aufeinander. Für beide Teams geht es auch ums Prestige.

Momentaufnahme und Zufall? System!

Mitnichten ist all das nur ein großer Zufall. Die Datenanalyse von Global Soccer Network (GSN) zeigt ein klares Muster: Demnach braucht Werder „Struktur und Kontrolle“, um erfolgreich zu sein. Beim HSV wiederum ist es genau andersherum. Laut GSN steigen die Hamburger Siegchancen, je „intensiver und zweikampfbetonter“ das Spiel wird; am besten sollte es sogar „chaotisch“ werden.

HSV kann bis auf einen Punkt an Werder heranrücken

Die jüngsten Bundesliga-Spiele haben die beiden Nordrivalen auch tabellarisch wieder dichter zusammengebracht. Und mit einem Sieg im Derby könnte der HSV nun bis auf einen Punkt an Werder heranrücken.

Eine Fußballtabelle vor eine Fußballmotiv

Ergebnisse, Tabellenstände und die Spieltage im Überblick.

Für die Hamburger geht es als Aufsteiger in dieser Saison nur um eines – den Klassenerhalt. Die Bremer möchten unter dem neuen Trainer hingegen wieder raus aus dem Mittelmaß. Nach ihrer Bundesliga-Rückkehr belegten sie die Plätze 13, neun und acht. Mit den Unentschieden in Mainz (1:1) und jetzt gegen Köln ist den Grün-Weißen allerdings ein bisschen Tempo abhanden gekommen.

Werder: Viel Aufwand, (zu) wenig Ertrag

„Wir hätten mehr Tore machen können“, sagte Steffen nach dem 1:1 gegen Köln – und meinte eigentlich „müssen“. Sowohl bei den Torschüssen als auch bei den „Expected goals“ (xG) lagen die Norddeutschen klar vor den Rheinländern. Aber: Auch diese Statistik ist nicht losgelöst von der gesamten Saison zu betrachten.

„Expected goals“ sind „zu erwartende Tore“ und werden anhand eines Datenmodells berechnet, in das eine Vielzahl von Faktoren einfließt – unter anderem von wo auf dem Platz der Abschluss erfolgte, wie der Winkel zum Tor war und wie viele Gegenspieler noch zwischen Ball und Tor standen. Jede Torchance erhält dabei einen Wert zwischen 0 und 1, um die Wahrscheinlichkeit zu bestimmen, mit der der Ball von diesem Punkt aus im Tor landet. „Expected goals“-Werte sind so aussagekräftiger als die normale Torschuss-Statistik, die alle Abschlüsse gleich behandelt. GSN hat zur Berechnung mehr als 3 Millionen Tore ausgewertet.

Werder gibt im Schnitt zwar 17,58 Schüsse pro Spiel ab – und hat damit den viertbesten Wert der Liga. Der Durchschnitt liegt bei 13,72 Schüssen. Bei 1,46 xG pro Partie (Platz zehn/Durchschnitt 1,57), einer Erfolgsquote von 7,60 Prozent (13/9,82) und 26 Prozent bei den Schüssen, die tatsächlich aufs Tor gehen (13/30,44), ist Werder aber eben weiter Mittelmaß.

Die Zahlen zur Offensive zeigen aber auch noch ein zentrales Element der Fußball-Idee von Horst Steffen: Der Anteil der Bremer Tore nach strukturierten Angriffen liegt mit 63 Prozent so hoch wie bei keinem anderen Team der Bundesliga. Der Durchschnittswert beträgt gerade einmal 48,20 Prozent.

Hoher Anspruch, aber noch zu viele Fehler

Werder spielt Fußball mit dem klaren Anspruch, das Spiel aktiv zu gestalten und nicht abzuwarten, was der Gegner macht. Steffen setzt auf hohe spielerische Qualität, besonders durch die Mitte – die allerdings im ersten Jahr unter dem neuen Trainer, der in der vergangenen Saison um ein Haar Fußballzwerg Elversberg in die Bundesliga geführt hätte, noch an ihre Grenzen stößt.

Aufgrund offensiver Schwächen, aber auch Problemen in der Defensive. Im Schnitt leisten sich die Bremer gut 50 Ballverluste im eigenen Drittel des Spielfeldes (Platz 17/Durchschnitt 38 Prozent). Besonders alarmierend sind die fast acht gefährlichen Ballverluste pro 90 Minuten (18/5,21). Und so kommen Werders Gegner zu 1,73 Expected goals pro Spiel (15/1,54).

Die Datenanalysten sehen bei Bremen einen klaren Schritt nach vorne. „Werder hat unter Horst Steffen ein klar erkennbares taktisches Profil entwickelt.“ Die reale Tabelle (Platz neun/16 Punkte) zeigt das Team allerdings genauso im Tabellenmittelfeld wie das Tableau nach „Expected points“ (Platz neun/15,7 Punkte).

Ausgangslage vor dem Nordderby vollkommen offen

Nach diesem Ranking ist der HSV mit seinen 15,20 „Expected points“ und Rang elf (real zwölf Punkt und Platz 13) leicht unter seinen Möglichkeiten geblieben. Dass es aber überhaupt so gut läuft, haben die Hamburger nicht etwa dem feinen Fußball, sondern ihrem intensiven Spiel zu verdanken.

„Hamburg braucht ein Derby mit vielen zweiten Bällen, vielen unklaren Spielsituationen, vielen Eins-gegen-Eins-Duelle und hohem Tempo.“

Aus der GSN-Datenanalyse

Der HSV gewinnt im Schnitt 92,67 Zweikämpfe pro Spiel, Werder nur 82,08. Mit dieser Physis – sowohl am Boden als auch in der Luft – könnten die Hausherren auch Bremen knacken. „Wenn Hamburg nach Ballgewinnen schnell und direkt nach vorne spielt, ergeben sich Situationen, in denen Werder noch nicht gestaffelt ist“, heißt es in der GSN-Datenanalyse. Der HSV habe „die individuelle Qualität“, um die Gäste dann zu überlaufen.

So ist die Ausgangslage vor dem Nordderby tatsächlich vollkommen offen: Die einen wollen weg Mittelmaß, die anderen würden gern wieder dazugehören – und sind dafür zu allem bereit. Und wie unberechenbar Bundesliga-Spiele sein können, haben sowohl Werder als auch der HSV gerade erst am vergangenen Spieltag erlebt.

Werder-Kapitän Marco Friedl nach dem 1:1 gegen Köln

Der SVW zeigt gegen Köln einen über weite Strecken guten Auftritt, lässt aber zu viele Gelegenheiten aus. Das Remis ist ein kleiner Dämpfer vor dem Nordderby beim HSV.

Jubel bei Giorgi Gocholeishvili, Guilherme Ramos und Torschütze Fabio Vieira (v.l.) vom HSV

Die Hamburger ringen den Europa-League-Teilnehmer durch einen Treffer in der Nachspielzeit nieder und beenden ihre Sieglos-Serie.

Symbolbild Fußball-Daten

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