Die Pünktlichkeit bei der Münchner S-Bahn ist im zweiten Halbjahr dieses Jahres massiv eingebrochen und erreicht historisch schlechte Werte auf nahezu allen Linien. Im gesamten Netz der Münchner S-Bahn ist Daten der Bayerischen Eisenbahngesellschaft (BEG) zufolge die Zuverlässigkeit seit dem Frühjahr kontinuierlich zurückgegangen und erreicht im Oktober auf einigen Trassen nur noch etwas mehr als 70 Prozent. Ein Jahr zuvor hatte die Pünktlichkeit der Münchner S-Bahn über das gesamte Kalenderjahr betrachtet noch bei 87 Prozent gelegen – einem neuen Negativrekord. Im Jahr 2023 bei etwa 90 Prozent.
Besonders dramatisch mutet der Absturz bei der Pünktlichkeit beim Vergleich der jüngsten Erhebung der BEG aus dem Oktober mit den Daten aus dem Frühjahr dieses Jahres an. Im ersten Halbjahr betrug die Pünktlichkeit der S-Bahn noch 91,2 Prozent, dann begann der stete Abschwung. Im Oktober kamen nur noch etwas mehr als 80 Prozent aller Züge pünktlich an. Schlechter stand die Münchner S-Bahn noch nie da.
Dabei hat die Deutsche Bahn (DB) in diesem Jahr als Betreiberin des Netzes spürbare Verbesserungen versprochen. Etwa durch die Eröffnung des neuen elektrischen Stellwerks am Ostbahnhofs – der laut Bahn modernsten Anlage ihrer Art in ganz Deutschland. Feierlich eröffnet wurde das neue Stellwerk im Juni. Da lag die Pünktlichkeit der S-Bahn nur noch bei 87,9 Prozent.
Eine weitere Maßnahme, um die Stabilität im Netz und insbesondere die Zuverlässigkeit der Stammstrecke zu erhöhen, sollte die Trennung der bisherigen S7 sein: Seit Dezember 2024 fährt die neu geschaffene S5 auf dem Ost-Ast nur noch von Kreuzstraße bis Pasing. Die S7 im Westen verkehrt zwischen Wolfratshausen und dem Hauptbahnhof – ohne Halt an der Hackerbrücke.
Und tatsächlich erreichten beide Linien noch im Frühjahr teils Pünktlichkeitswerte von mehr als 90 Prozent; die S7 im Februar einen Wert von 95,2 Prozent, die S5 im Mai sogar von 96,1 Prozent. Und während sich die Pünktlichkeit auf der S5 über Neuperlach-Süd in den Landkreis München bis in den Oktober bei etwas mehr als 90 Prozent stabilisiert hat, rauschte die Zuverlässigkeitsquote auf der S7 regelrecht ab. Nur noch 74,1 Prozent aller Züge kamen im Oktober pünktlich an.
Schlechter schnitten in diesem Monat die ohnehin als Problemlinien bekannten S4-West (73,2 Prozent) nach Geltendorf und S6-West (73,7 Prozent) nach Tutzing ab. Auch die S4/S6-Ost (77,4 Prozent) nach Zorneding und Ebersberg und die S2-Ost nach Erding (75,1 Prozent) erwiesen sich als äußerst unzuverlässig. Die beiden Flughafen-Linien S1 und S8 kamen im Oktober nur auf eine Pünktlichkeit von etwas mehr als 80 Prozent. Lediglich die S3-Ost nach Holzkirchen erreichte wie die S5 im Oktober noch eine Pünktlichkeitsquote von knapp über 90 Prozent. Eine S-Bahn gilt als verspätet, wenn sie sechs Minuten oder mehr nach der geplanten Zeit am Ziel ankommt.
Ein Sprecher der Deutschen Bahn bestätigt, dass ich die Pünktlichkeit im zweiten Halbjahr tatsächlich verschlechtert hat, verweist aber darauf, dass sie sich im ersten Halbjahr positiv entwickelt und „über dem Niveau der Monate zuvor“ gelegen habe. „Und auch fast durchgehend über dem Vorjahresniveau.“ Er räumt aber ein, dass sich „zunehmende Infrastrukturstörungen“ negativ auswirkten.
Insbesondere die mittlerweile katastrophalen Zustände auf der S7 nach der Trennung vor etwa einem Jahr waren dem verkehrspolitischen Sprecher der Grünen im Bayerischen Landtag, Markus Büchler, Anlass, um in einer schriftlichen Anfrage um Aufklärung zu bitten. Die Antwort aus dem Hause von Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) macht deutlich, wen der Ressortchef für die Probleme verantwortlich macht: die DB-eigene Tochter InfraGo, die für die Bahn-Infrastruktur verantwortlich zeichnet. Diese, so heißt es in dem Antwortschreiben, habe die „infrastrukturellen Beeinträchtigungen“ zu verantworten.
Der Rückgang der Pünktlichkeit speziell auf der S7 sei etwa durch Gleiserneuerungsarbeiten zwischen Donnersbergerbrücke und Siemenswerke entstanden, heißt es aus dem Ministerium. Hinzu kämen an der Trasse zwei sogenannte Langsamfahrstellen bei Icking infolge eines Hangrutsches sowie einer bei Höllriegelskreuth. An beiden Stellen können die Züge lediglich 30 Kilometer pro Stunde fahren und tragen dadurch je eine Minute Verspätung in das S-Bahn-Netz.
Aus Sicht der Deutschen Bahn habe sich die Trennung der S7 vor einem Jahr aber bewährt. Beide Außenäste profitierten von der Maßnahme, heißt es seitens des Konzerns. Im ersten Halbjahr habe die Aufteilung die Pünktlichkeit verbessert, teilt ein Sprecher mit; seit Juni sei diese aber wegen der Infrastrukturstörungen und Langsamfahrstellen zurückgegangen. „Ohne die Aufteilung wäre es auf beiden Linien zu einem deutlichen Rückgang der Pünktlichkeit gekommen“, so die Bahn.
Die S7 als eine der „zehn unpünktlichsten S-Bahn-Linien Deutschlands“
In Pullach, einer Gemeinde entlang der S7, sehen das die politisch Handelnden ganz anders. Der Gemeinderat hat sich mit einem „Brandbrief“ an die Geschäftsführerin der BEG, Bärbel Fuchs, gewandt. Die Situation der S7 habe in den vergangenen Monaten ein Ausmaß erreicht, das für die Bürger, Schulen, die örtliche Wirtschaft und die kommunale Infrastruktur nicht länger tragbar sei, heißt es in dem Schreiben. Die S7 sei mittlerweile eine der „zehn unpünktlichsten S-Bahn-Linien Deutschlands“ – und das System kollabiere.
Und auch die Leistungsfähigkeit des wichtigsten Bahntunnels Münchens nimmt ab. Die Pünktlichkeit in der Stammstrecke lag von März bis April kontinuierlich bei mehr als 90 Prozent, im Oktober kamen nur 80 Prozent aller S-Bahnen pünktlich an.
Das Bayerische Verkehrsministerium bestätigt, was viele Pendler zumindest geahnt hatten: Das neue Stellwerk am Ostbahnhof wird seine Wirkung erst noch entfalten müssen. Insbesondere in den ersten Wochen nach der Inbetriebnahme hätten Anlaufschwierigkeiten die Betriebsqualität im gesamten Münchner S-Bahn-Netz beeinträchtigt, heißt es aus dem Ministerium.
Neubau nach fünf Jahrzehnten
:Mit Hightech soll bei der Münchner S-Bahn alles besser werden – wirklich?
„Wegen einer Stellwerkstörung am Ostbahnhof…“: Pendler kennen diese Durchsage zur Genüge, genau wie das meist folgende Chaos auf der Stammstrecke. Nun hat die Bahn zwei neue elektronische Anlagen in Betrieb genommen, natürlich mit Verspätung.
Auch die Deutsche Bahn bestätigt „Beeinträchtigungen in Zusammenhang mit der Inbetriebnahme des neuen Stellwerks am Ostbahnhof“ sowie der Sendlinger Spange; ebenso hätten Störungen an der Signaltechnik und Langsamfahrstellen die Qualität im Betrieb beeinträchtigt. Insgesamt gibt es laut Bahn 19 solcher Stellen im Münchner S-Bahn-System, an denen die Züge ihre Geschwindigkeit drosseln müssen – hauptsächlich entlang der S2, S4 und S7. Den Trassen mit den im Oktober mitunter schlechtesten Werten bei der Pünktlichkeit.
Und genau wegen der zunehmenden Auswirkungen der Langsamfahrstellen auf die Pünktlichkeit plant die bahneigene Tochter DB Infrago einen „gemeinsamen Kraftakt“ mit der Münchner S-Bahn, kurzfristig sollen mehrere große Baumaßnahmen realisiert werden, teilt die DB mit. Bis Mitte Dezember sollen im Bereich Westkreuz sowie entlang der S1 nach Neufahrn und der S2 nach Petershausen Schwellen und Weichen erneuert werden – teilweise laufen diese Arbeiten bereits.
Der Konzern geht davon aus, „dass sich der S-Bahn-Betrieb dank der zahlreichen Baumaßnahmen ab Ende dieses Jahres stabilisieren wird“. Im November sei die Pünktlichkeit wieder „leicht besser“ gewesen als im Oktober; da der Dezember gerade erst begonnen hat, sei aber für diesen in puncto Pünktlichkeit noch keine Prognose möglich, so die Bahn.
Im Vergleich mit den deutschen Millionenstädten Berlin und Hamburg schneidet die Münchner S-Bahn ohnehin schlecht ab. Die Züge im Betrieb des Hamburger Verkehrsverbundes unterschritten in diesem Jahr laut eigenen Angaben bisher in keinem Monat in Summe die Pünktlichkeitsquote von 90 Prozent. In der Hauptstadt erreichten im September bis auf eine alle S-Bahn-Linien mindestens eine Quote von 90 Prozent.
