Berlin – Eines hat er genug: Krisen am Hals. Friedrich Merz (70, CDU) ringt mit der Chaos-SPD, seiner aufmüpfigen Unionsfraktion, einer abschmierenden Wirtschaft, den USA, Russland und all den Weltkonflikten. Und er selbst performt auch nicht sonderlich: Nur 21 Prozent der Deutschen sind mit der schwarz-roten Koalition zufrieden, nur 23 Prozent sind es mit ihm, dem Kanzler.
Zeit für Fragen also: Merz stellte sich am Abend bei der ARD in der „Arena“ ausschließlich Zuschauerfragen. Moderiert von „Hart aber fair“-Mann Louis Klammroth (36) und TV-Allzweckwaffe Jessy Wellmer (46).
Und Überraschung: Es ist nicht sonderlich erkenntnisreich – aber kurzweilig. Und das liegt an einem Kanzler in Plauderlaune. Merz geht ein auf Argumente, Ängste, Vorwürfe. Nimmt die an und kontert, wenn nötig. Er steckt im Stoff.
Merz stellt sich den Fragen der Bürger
Gleich zu Beginn: Der Kanzler mauert. Arno Schämbs, Weinbauer aus Worms, fragt auf den Punkt: „Sie haben vor zwei Jahren Olaf Scholz mit einem Klempner der Macht verglichen, mit welchem Handwerker würden Sie sich vergleichen?“ Merz: „Mit einem Maurer, einem Gärtner.“ Schiebt dann nach: „Mit einem Notfallsanitäter.“ Und erklärt: „Wir müssen wesentliche Teile des Hauses neu bauen.“
Ab da geht es eine knappe Fragestunde einmal durchs Land (die Fragesteller) und durch die Themen: Wehrpflicht, Russland, Regierungs(un)lust, Migration, Glaube, Gastronomie, Israel, Rente, Stadtbild, Ärztemangel, Zweiklassenmedizin, Katastrophenschutz, ländliche Regionen, Bürokratie und Baurecht …
Merz widersteht – auch bei populären Themen (Migration/Abschiebung) den einfachen Punkten. Wägt ab. Und erklärt.
Aber etwas Eigenwerbung darf es dann doch sein: SEIN Innenminister habe gerade in Brüssel einen Durchbruch beim Thema Asyl in der EU geschafft, SEIN Außenminister verhandle gerade über Seltene Erden in Peking … Merz: „Es geht voran, Stück für Stück.“
Merz reagiert auf Stadtbild-Kritik einer jungen Frau
Als eine junge Frau mit Migrationshintergrund ihn auf die Stadtbild-Debatte anspricht und über ihre Ängste redet, sagt Merz: „Ich möchte das Gegenteil von dem erreichen, was Sie empfinden.“ Er räumt ein, er hätte sich „etwas früher“ präzisieren müssen, „wie ich das gemeint habe“. Merz: „Das würde ich heute anders machen.“ In der Sache aber, macht er klar, habe er nichts zurückzunehmen.
Hatten wenig einzugreifen, moderierten die Bürger an den Kanzler ran: Jessy Wellmer (46) und Louis Klammroth (36)
Foto: ARD
Es ist phasenweise ein anderer Merz, als man ihn sonst kennt
Die Kälte: weg. Der – auch größenbedingte – Eindruck der Schnöseligkeit: nicht da. Fast bürgernah. Auf Augenhöhe lächelnd. Krise? Hier hat er sie nicht, der Krisen-Kanzler.
Als eine Ärztin von einem Kind berichtet, das zur Schielambulanz muss, aber einen Termin erst für „Ende 2026“ bekommen habe, als Selbstzahler aber in der nächsten Woche, ist Merz deutlich: „Alle in die gesetzliche Krankenversicherung – das löst das Problem nicht, die Zahl der Arztbesuche ist zu hoch.“ Die Zahl hat er auch parat: „Es gibt eine Milliarde Arztbesuche pro Jahr. Wir haben das zweitteuerste Gesundheitssystem der Welt – aber nicht das beste.“ Das Merz-Rezept an diesem Abend: Einfühlen – und trotzdem den Punkt machen.
Ein Kanzler, der aus Fehlern lernt
Und er ist auch schlauer geworden – aus Schaden: Als er nach dem Katastrophenschutz im Land gefragt wird, weist er zunächst darauf hin, dass wir „viel, viel besser“ dastehen als andere Länder. Sagt dann aber selbst angesichts der Milliarden-Schulden-Investitionen: „Da werden die Bäume auch nicht in den Himmel wachsen.“ So klingt ein gebrannter Kanzler, der im Wahlkampf zu viel versprochen und danach verdammt viel gebrochen hat.
Die Erkenntnis des Abends: „Es gibt nicht den einen Knopf, den wir drücken können.“ Der gilt für den fragenden Norddeutschland-Arzt, der gilt auch für den antwortenden Kanzler.
Fast alle, die den Kanzler fragen, fragen auch nach dem Staat, der Dinge regeln müsse. Fast allen geht es auch um Geld vom Staat. Bis ein „Rainer Schröder aus Mecklenburg-Vorpommern“ kommt.
Der fordert vom Kanzler: „Mehr Mut, Sie können uns ruhig etwas zumuten!“