Die EU-Kommission schlägt grundlegende Änderungen in der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln vor. Das geht aus einem Entwurf hervor, den die Webseite Euractiv veröffentlicht hat: Demnach sollen Pflanzenschutzmittel zukünftig eine zeitlich unbeschränkte Zulassung bekommen. Bisher wurde eine Zulassung zunächst für zehn Jahre erteilt und nach erneuter Prüfung gegebenenfalls verlängert. Außerdem sollen Mittel, die sich als schädlich erwiesen haben, künftig noch bis zu drei weitere Jahre genutzt werden dürfen.

Diese und weitere vorgeschlagene Änderungen der bestehenden Regeln alarmieren Umwelt– und Verbraucherschützer sowie Fachleute aus der Wissenschaft. Mehrere offene Briefe zirkulieren bereits, weitere werden zurzeit verfasst. „Als ‚Vereinfachung‘ vermarktet, ist es in Wirklichkeit eine deregulatorische Abkürzung, die Industrieinteressen über Gesundheits- und Umweltschutz stellt“, schreibt das Pestizid-Aktions-Netzwerk Europe (PAN), ein Zusammenschluss hunderter Nichtregierungsorganisationen aus 90 Ländern, in einer Mitteilung. „Wir befürchten, dass Pestizide dereguliert werden sollen, darunter solche, die als besonders problematisch betrachtet werden“, sagte Martin Dermine, Direktor von PAN-Europe, am Dienstag bei einer Pressekonferenz. Der Entwurf stelle einen massiven Rückschritt in der Pestizidregulation um einige Jahrzehnte dar. Besonders problematisch findet er, dass die regelmäßigen Sicherheitsprüfungen von zugelassenen Pestiziden aufgegeben werden könnten: „Das ist eine der Stärken des europäischen Systems“.

Laut dem Vorschlag der Kommission sollen außerdem die Standards gesenkt werden, nach denen Wirkstoffe als risikoarm eingestuft werden können. Weiterhin soll ein EU-weites Zulassungssystem für einige Gruppen von Pflanzenschutzmitteln gelten: Wird ein Pflanzenschutzmittel aus diesen Gruppen in einem Land zugelassen, soll es auch in den anderen EU-Staaten angewendet werden dürfen. Das soll zum Beispiel für solche Mittel gelten, die als „risikoarm“ eingestuft wurden oder einige Arten der Saatgutbehandlung. Auch soll die Pflicht aufgehoben werden, den Einsatz biologischer Pflanzenschutzmittel, sogenannter Biopestizide, zu dokumentieren. Dazu zählen zum Beispiel Mikroorganismen und Pheromone, natürlich vorkommende Substanzen und solche synthetischen Chemikalien, die natürliche Mechanismen nachahmen. Dies und weiteres schlägt die Kommission in der Absicht vor, die Bürokratie rund um den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln abzubauen und Landwirten Alternativen zu chemischen Pestiziden zu eröffnen.

Auch biologische Pestizide sollten umfassend geprüft werden, mahnen Umweltschützer

In einem offenen Brief wenden sich 138 Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und fordern diese auf, an die bestehenden Pestizid-Regelungen nicht aufzuweichen. Grundsätzlich begrüßen sie biologische Pestizide als „positiven Schritt“, sie müssten jedoch mit einer robusten Risikobewertung einhergehen und dürften nicht „zu einer Schwächung der unter der Pestizidverordnung festgelegten Schutzstandards führen.“

In einem weiteren offenen Brief, den Lindsey Hendricks-Franco vom Ecologic Institut in Berlin initiierte, mahnen inzwischen weit mehr als einhundert Forschende an, die regelmäßigen Sicherheitsprüfungen von zugelassenen Pflanzenschutzmitteln nicht zu beenden. Stattdessen solle man sie eher ausweiten. Übergangsfristen für Pflanzenschutzmittel, die sich als schädlich erwiesen haben, sollten verkürzt, nicht verlängert werden. Bei der Zulassung neuer Pflanzenschutzmittel müsse zudem darauf geachtet werden, dass die neuesten Daten zu deren Sicherheit berücksichtigt werden. Außerdem sollten Pestizide vor der Marktzulassung unter realistischeren Bedingungen geprüft werden müssen, damit Gefahren und Risiken frühzeitig erkannt werden können.

Der aktuell zirkulierende Kommissions-Entwurf stamme vom 21. November, betont PAN-Direktor Martin Dermine. Womöglich gebe es längst überarbeitete Versionen, aber dies sei „die bisher verlässlichste Information über den Entwurf“. In der kommenden Woche werde die Kommission ihre Pläne öffentlich machen.