Immer für eine Überraschung gut: Kerstin Ott in der Porsche-Arena Foto: Lichtgut/Max Kovalenko
Die unkonventionelle Schlager-Queen: Kerstin Ott überrascht beim Konzert in der Porsche-Arena in Stuttgart die Fans nicht nur mit dem Besuch eines Stargasts aus Kleinaspach.
Die Überraschung gelingt, am Dienstagabend in der Porsche-Arena. Kerstin Ott, Songwriterin und Schlagersängerin, singt auf ihrer Tournee auch fremde Lieder, singt Stücke von den Ärzten, von Tic Tac Toe, von Howard Carpendale und von Andrea Berg. Manch ein Fan mag es zunächst für einen Scherz halten, als Ott am späteren Abend ankündigt, Andrea Berg werde nun selber singen – aber tatsächlich: Plötzlich steht der Schlagerstar aus Kleinaspach auf der Bühne, singt „Geh doch, wenn du sie liebst“, singt mit Kerstin Ott das Duett „Was auch immer passiert“.
Bekannt wurde Kerstin Ott 2016 mit ihrem Song „Die immer lacht“ – ein Stück, ursprünglich von akustischer Gitarre begleitet, das als Remix durch alle Faschingspartys geisterte, dreimal Platin holte, sich bis heute, nebst einigen anderen Titeln, auf Platz 41 der meistverkauften Singles in Deutschland hält – mit eingängiger Melodie und einem irritierend nachdenklichen Text. Ott, geboren 1982 in Berlin, hatte bis dahin in ihrem Ausbildungsberuf als Malerin und Lackiererin gearbeitet.
Mit Songs wie „Regenbogenfarben“ schlug sie zudem eine Brücke zwischen Schlagergemeinde und LBGTQ+ Community. Am Dienstag setzt sie in der Porsche-Arena ihre „Kisscam“ ein, eine Kamera, die ins Publikum hinaus zoomt und dort Menschen entdeckt, die sich fleißig küssen. Da sieht man durchaus auch Frauen, die Frauen küssen – vor allem aber ganz konventionelle Paare, entdeckt, dass das Publikum von Kerstin Ott 2025 im Grunde ein Schlagerpublikum mit deutlich höherem Altersdurchschnitt ist. Rund 2500 Besucher füllen die abgehängte Porsche-Arena zur Hälfte – ihre Begeisterung für Kerstin Ott, die selbst ganz unkonventionelle Schlagersängerin, ist offenkundig. Von den Sitzen reißt es dieses Publikum aber erst gegen Ende der zweistündigen Show.
Kerstin Otts Bühne besteht aus mehreren Podesten in unterschiedlicher Höhe. Auf ihnen finden die Musiker ihrer Band Platz, zugleich dienen die hellen Quader als Projektionsfläche, lassen Szenen entstehen, die sich unablässig verändern – eine Stadtlandschaft mit erleuchteten Fenstern, wenn Kerstin Ott singt „Nachts sind alle Katzen grau“, ein Karussell, oder digitale Rasternetze, die sich zu drehen scheinen. Und plötzlich leuchtet diese Bühne wie Weihnachten – Kerstin Ott spendet dem Fest und seinen Liedern bissigen Tribut, versieht ihr Stück „Schon wieder diese Scheißmelodie“ mit neuem Text und bringt darin den Refrain von „Last Christmas“ unter.
Die Regenbogenfarben leuchten
Singt Ott nicht von Liebe oder Herzensleid, revoltiert sie gegen Rollenklischees. „Jetzt reiß dich mal zusammen, wir zieh‘n dir was Ordentliches an“, singt sie in ihrem Stück „Mädchen“ von 2022 – das klingt fast so, als könnte es von den Ärzten sein. Drum zieht sich Kerstin Ott ein Hawaiihemd über, sagt: „Ich mach mich mal schön“ und singt „Westerland“, von eben denen. Otts Musiker haben ihre Podeste verlassen, haben sich zur kleinen Rock’n’Roll-Band gewandelt, umstehen die Sängerin, während die Bühne als veritable Kellerbar aufleuchtet, mit einer Gitarre, die an der Wand hängt und einer Jukebox, die darunter steht. Kerstin Ott covert Tic Tac Toe („Ich find dich scheiße“) und covert Matthias Reim. Mit Kontrabass, hämmerndem Piano und Stehschlagzeug klingt „Verdammt ich lieb dich“ eigentlich viel besser, als im Original.
Ins Schlagerfach will Kerstin Ott sich nicht einfügen, und doch scheint sie dort längst ganz angekommen zu sein. Sie trägt ein T-Shirt, auf dem im Superhelden-Logo das Initial ihres Vornamens steht. Sie wirkt in der ersten Hälfte ihres Konzertes noch sehr zurückhaltend, dann zunehmend sicherer und herzlicher. Sie geht durch ihr Publikum, sie feiert ihre größten Hits zuletzt sehr farbenfroh. Nun ist die Stimmung groß in der Porsche-Arena, die Regenbogenfarben leuchten und all ihre Fans jubeln.