Reist eine Frau mit einem Hasen. Noch dazu einem, der das geflügelte Wort „Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts“ genüsslich umdreht: Dieser Hase weiß alles. Er weiß um die großen Fragen und die kleinen Ausweichmanöver seiner Reisegefährtin, die in „Hasenprosa“ unverkennbar auch autofiktional mit der Autorin Maren Kames zusammenfällt.
Wo hat Kames, die Autorin der „Hasenprosa“, diesen Hasen her? Aus ihrem Kopf. Aber weil der Kopf dieser 1984 geborenen Mixed-Media-Autorin auch voller Lektüren, Filmen und Pop ist und ihre Texte vor Referenzen stets nur so wimmeln, schaut da, unverkennbar, auch der Komödienklassiker „Mein Freund Harvey“ hervor, der auf der Bühne und im Film seit den Vierzigerjahren erfolgreich ist.
Vielleicht ist deshalb Marlon Otte, Regieassistent am Schauspiel Frankfurt, auf die Idee gekommen, für sein hauseigenes Regiedebüt Kames’ höchst ungewöhnliches Prosawerk in eine Bühnenfassung zu verwandeln. So reist nun Nina Wolf sehr zart und schalkhaft durch eine Landschaft übergroßer Bauklötze (Bühne Marco Pinheiro), die Bezug nimmt auf ein Zitat aus dem Text. Doch entpuppen sich die Klötze, mit denen die Ich-Erzählerin spielt, sehr spät als die Bausteine ihrer Familiengeschichte. Bis es an dieses Ziel kommt, muss gereist werden, in den Marianengraben der Erinnerung, zumal der unbewussten.
Im Marianengraben der Erinnerung
Dafür ist ein Hase, ob sichtbar oder unsichtbar, selbstredend der beste Reisegefährte. Sebastian Reiß mit riesigen Ohren und kleinem Puschel am Popo, den er genüsslich einmal vorführt, ist wie Wolf schon da, wenn das Publikum die in 70 Minuten immer stickiger werdende Box des Schauspiels betritt. Frühlingsfrische hingegen verbreiten die starken Sätze über Wiesen und Löwenmäulchen, die Kames in ihren Text montiert hat, und ausgesprochen frisch sind die zum Teil in völligen Nonsens driftenden Behauptungen des allwissenden Hasen, der genüsslich seine Möhre mümmelt. Überhaupt regiert Komik, auch da, wo man ahnt, dass diese Bewusstseinsreise einer noch jungen Frau mit einer depressiven Lebensphase zusammenhängen dürfte.
„Hasenprosa“, erschienen bei Suhrkamp, stand 2024 auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises, Kames hatte mit ihrem Debüt „Halb Taube, halb Pfau“, einem zwischen Prosa und Lyrik schillernden Text mit viel Weißraum, QR-Codes zu Sounds und einer eigenen Internetseite, 2016 viel Aufmerksamkeit erregt, vor ihren ersten Buchveröffentlichungen war sie mit literarisch-musikalischen Performances hervorgetreten. Die hybriden Formen, die auch „Hasenprosa“ auszeichnen, müssen, bis auf die popkulturellen Anspielungen und die niedlich-komischen Tücken der Objekte, die sich auf der Bühne befinden, notwendigerweise wegfallen.
Und durch die Spielfassung tritt, sosehr man auch die kühnen Assoziationssprünge der Autorin noch merkt, etwas Bemühtes hervor. So wirken die lächelnd vorgetragenen Blumen-, Frucht- und Dornenstücke aus dem Leben der hier unbenamten weiblichen Figur sehr selbstbezogen, auch die heutzutage viel zitierte Unsichtbarkeit älterer und alter Frauen wirkt eher wie abgehakt und stört mehr, wo es interessant wird in der Beschreibung der Vorfahren.
So gerät bisweilen etwas aufdringlich Nabelschauhaftes in den Vordergrund, was nicht sein müsste, wenn die noch junge Frau über „Oma“ und „Ma“ redet. Dabei scheint doch auf, dass dahinter mehr stecken kann als die Erforschung der eigenen Wesenszüge auf Grundlage der Herkunft: ein Erkenntnisinteresse an der eigenen Familiengeschichte und womöglich dadurch auch an den Untiefen der Gesellschaft. Das merkt man vor allem immer dann, wenn die Tauchgänge in die Vergangenheit Bonmots und Beobachtungen hervorzaubern, die über die Figur auf der Bühne und im Text hinausweisen.
Das, was Maren Kames’ hybriden Roman interessant und schillernd macht, das Assoziative, auch Bildungssatte, diese ganze muntere Mixtur, die Lyrik und Prosa und Songs zusammenzimmert, scheint nur momentweise auf. Es kann im Grunde auch gar nicht anders sein, denn all das, was diese abenteuerliche Erinnerungsfahrt ausmacht, kann ein Hasendarsteller, auch wenn er das so phantastisch macht wie Sebastian Reiß, nicht ausgleichen.
„Hasenprosa“, Schauspiel Frankfurt, nächste Vorstellung am 21. Dezember