13. Dezember 2025

Connor Echols

Ein Mann winkt von einem Balkon

Syriens langjähriger Machthaber Baschar al-Assad im Jahr 2005

(Bild: John Wreford/Shutterstock.com)

Ein Jahr nach dem Sturz des syrischen Regimes erklärt Neil Partrick, wie eine 50-jährige Dynastie in wenigen Wochen zusammenbrach. Ein Gastbeitrag.

Anfang November des vergangenen Jahres hatte das Assad-Regime noch viel, worauf es sich freuen konnte. Syriens Präsident Baschar al-Assad hatte gerade an einem panislamischen Gipfel in Saudi-Arabien teilgenommen – ein wichtiger Schritt auf seinem Weg zurück in die internationale Gemeinschaft. Nach dem Treffen sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der jahrelang versucht hatte, Assad zu stürzen, gegenüber Reportern, er hoffe, sich bald mit dem syrischen Staatschef zu treffen und „die türkisch-syrischen Beziehungen wieder auf Kurs zu bringen“.

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Weniger als einen Monat später floh Assad in einem russischen Flugzeug aus dem Land, während von der Türkei unterstützte Oppositionskräfte ihren finalen Vorstoß auf Damaskus begannen. Die meisten Beobachter waren überrumpelt.

Der langjährige Nahost-Analyst Neil Partrick hingegen nicht. In seinem neuen Buch „State Failure in the Middle East“ beschreibt er, dass das scheinbar erstarkte Assad-Regime zu diesem Zeitpunkt nur noch ein ausgehöhlter Staatsapparat war, gestützt von ausländischen Unterstützern. Als diese sich zurückzogen, blieb Assad wenig anderes übrig, als zu fliehen.

Anlässlich des ersten Jahrestags des Sturzes Assads sprach Responsible Statecraft mit Partrick, um besser zu verstehen, wie eine 50-jährige Dynastie in wenigen Wochen kollabieren konnte. Das Gespräch wurde aus Gründen der Länge und Klarheit bearbeitet.

▶ Was übersahen so viele externe Beobachter hinsichtlich der Schwäche des Assad-Regimes vor dessen Zusammenbruch?

Neil Partrick

Neil Partrick

(Bild: Autor)

Partrick: Die Art und Weise, wie das Regime überlebte, war äußerst prekär. Obwohl dies bekannt war, wurde nicht ausreichend berücksichtigt, wie brüchig sowohl das Regime als auch der Staat wirklich waren.

Dazu gehörte, dass die verbliebenen staatlichen Streitkräfte Syriens weitgehend als Familienbesitz geführt wurden – ebenso sehr auf kriminelle Aktivitäten ausgerichtet wie auf die Verteidigung des Landes. Wahrscheinlich sogar eher auf Ersteres als auf Letzteres. Hinzu kam die zunehmende Abhängigkeit von halbstaatlichen Milizen, die ebenfalls in Kriminalität und Sicherheitsaufgaben verwickelt waren. Ebenso spielte die Abhängigkeit von benachbarten Milizen, vor allem der Hisbollah aus dem Libanon, sowie die Unterstützung durch den Iran und Russland eine Rolle.

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Berücksichtigt man all dies und das fortbestehende türkische Interesse, ein alternatives Regime zu fördern, dann ergibt sich eine äußerst unsichere Situation: Baschar ist zwar im Amt, aber nicht wirklich an der Macht und abhängig von einem immer engeren Netzwerk an Verbündeten. Im Nachhinein ist man immer klüger. Ich selbst habe nicht vorhergesagt, dass es so schnell kollabieren würde. Aber äußerst brüchig war es schon vorher.

Langsamer Staatszerfall

▶ Können Sie mehr über diese nichtstaatlichen Milizen sagen, die langsam die Rolle der Armee in Syrien übernahmen?

Partrick: Das war ein langer Prozess während der Jahre des Bürgerkriegs ab 2011, als das Regime am verwundbarsten war. Bereits existierende Milizen wurden neu formiert, darunter die sogenannten „Shabiha“. Das sind lokale Gruppen, die schon vor dem Bürgerkrieg stark mit kriminellen Aktivitäten und Regimepatronage verbunden waren. Sie wurden dann zu Verteidigern lokaler Gebiete gegen die – wie manche sagen würden – ursprünglich wirklich demokratischen Oppositionskräfte, die 2011 entstanden, aber später von stärker militanten, islamistischen Dschihadisten aus dem Ausland vereinnahmt wurden.

In vieler Hinsicht war die nationale Integrität des Staates schon viele Jahre vor dem faktischen Kollaps ausgelagert – in Form dieser halbstaatlichen, teils unabhängigen Sicherheitsnetzwerke, die in Kriminalität und lokale Milizaktivitäten involviert waren. Einige von ihnen waren mit ausländischen Akteuren verbunden, sei es dem Iran oder anderen. Wie mir jedoch gesagt wurde – und dieses Zitat nutze ich im Buch – waren es die lokalen Leute, die ihre Gegend am verlässlichsten verteidigen konnten. Der nationale Esprit de Corps war also schon sehr schwach, bevor der Staat zusammenbrach.

Heikles Gleichgewicht

▶ Sie erwähnten, dass Syrien von verschiedenen ausländischen Einflüssen durchzogen war. Ein Punkt, der im Buch heraussticht, ist die Aussage des ehemaligen syrischen Botschafters, Assad habe während des Gaza-Krieges versucht zu taktieren und möglicherweise sogar die iranische Präsenz in Syrien zu reduzieren. Können Sie das erläutern?

Partrick: Es gab Elemente der traditionellen Assad-Politik, die sein Vater weit geschickter beherrschte, nämlich das Balancieren zwischen internen Kräften und widersprüchlichen externen Akteuren. Doch Baschar, der Sohn, war weniger geschickt und weniger staatsmännisch. Er nutzte sehr unterschiedliche und widersprüchliche Akteure, um sein Regime zu stützen – vor allem russische und iranische Kräfte, die kooperierten, aber unterschiedliche Agenden hatten.

Für den Iran ging es um nationales Überleben und regionale Einflussnahme. Für Russland war es eine komplizierte Mischung verschiedener Gründe, aber weniger existenziell. Und dann war da noch die Türkei, die weiterhin Teile Nordsyriens besetzte und teilweise mit Russland bei Grenzfragen zusammenarbeitete, während der Iran seinen Einfluss auf ein viel breiteres Gebiet ausdehnte – durch eigene Kräfte sowie durch die libanesische Hisbollah und schiitische Gruppen aus der Region.

Es war ein äußerst heikles Gleichgewicht. Nach dem Ausbruch des regionalen Krieges im Oktober 2023 hofften die Hisbollah und der Iran, dass Syrien Teil dieses Konflikts werden würde. Einige Teile seines Territoriums waren davon betroffen, doch die syrische Führung wollte sich nicht hineinziehen lassen und sah darin eine Gelegenheit, den USA über die Golfstaaten Signale zu senden – nach dem Motto: „Ich verhalte mich verantwortungsvoll. Ich versuche, mein Land aus diesem sich ausweitenden regionalen Krieg herauszuhalten.“

Es war der heikle Versuch, das familiengeführte Regime zu erhalten – und er scheiterte. Assad glaubte, er könne all diese Elemente gleichzeitig bedienen, denn er glaubte, sie bräuchten ihn. Gleichzeitig versuchte er, mit dem Iran im Reinen zu bleiben, während er Druck auf die iranische Präsenz ausübte, um den Westen zu beschwichtigen oder anzulocken – eine nahezu unmögliche Balance. Und letztlich wurde sie ihm zum Verhängnis.

▶ Sie erwähnten, dass auch Israel eine Rolle spielte. Können Sie das ausführen?

Partrick: Im Verlauf des Bürgerkriegs seit 2011 gab es Anzeichen dafür, dass sich Israel von seiner bisherigen stillschweigenden Akzeptanz des Assad-Regimes als Stabilitätsfaktor entfernte und stattdessen einschätzte, dass das Regime schwächer wurde und man nach Alternativen im Land suchen sollte. Als die Brüchigkeit in einen möglichen Kollaps umzuschlagen begann, passte Israel seine Position an.

Israel führte bereits zuvor regelmäßig Angriffe in Syrien durch, primär jedoch gegen iranisch verbundene Ziele. Im Vorfeld der Ereignisse von November 2024 waren sie auch eher bereit, syrische Ziele direkt zu treffen. Ich glaube nicht, dass Israel das Regime stürzen wollte, aber es intensivierte seine Militärschläge – auch gegen syrische Einrichtungen. Natürlich zog die Hisbollah daraufhin ihre Kräfte in den Libanon zurück, der selbst unter israelischem Beschuss stand.

Israel war einer der Akteure, die eine entscheidende Rolle spielten. Ob jedoch jemand dachte, der Sturz des Regimes könne so leicht gelingen, oder ob Israel tatsächlich entschlossen war, ihn herbeizuführen, vermag ich nicht zu beurteilen.

Putin zu Assad: „So wird das nicht funktionieren“

▶ Ein weiterer einflussreicher ausländischer Akteur war Russland. Sie schreiben, dass die Invasion Russlands in die Ukraine und der folgende Krieg zum Sturz des Assad-Regimes beitrugen. Können Sie das erklären?

Partrick: Russland war entscheidend – vor allem durch seine Luftwaffe, die verheerende Angriffe gegen syrische Oppositionskräfte flog. Der Einsatz ausländischer Luftmacht baut zwar keinen stabilen Staat auf, kann einen Anführer aber eine Zeit lang im Amt halten. Das war überlebenswichtig für Assads Regime.

Doch dann wurde es zum Problem: Russlands Fähigkeit, eine Schlüsselrolle in Syrien aufrechtzuerhalten, schwand, da seine Verpflichtungen in der Ukraine mit der eskalierenden Besatzung zunahmen. Moskau reduzierte seine Präsenz im Süden und teilweise im restlichen Land. Diese Reduktion trug zur zunehmenden Instabilität bei. Letztlich waren weder Russland noch der Iran bereit, ihre verbleibenden militärischen Kapazitäten wirklich einzusetzen.

Mehrere Quellen berichteten mir, dass die russische Führung – insbesondere Putin – zu Assad sagte: „So wird das nicht funktionieren.“ Russland spielte schließlich eine wichtige Rolle bei seiner Flucht und der mehrerer anderer Regierungsmitglieder.

Assad, der seine Macht wahnhaft fast mit Syrien selbst gleichsetzte, war nicht einmal bereit, die Macht mit wichtigen Familienmitgliedern – insbesondere seinem Bruder – zu teilen. Auch das war ein entscheidender Faktor. Letztlich entschieden sowohl der Iran als auch Russland, dass es diesen Aufwand nicht mehr wert war. Und in diesem Kontext sahen die Türken eine günstige Gelegenheit.

▶ Ein Jahr nach Assads Sturz: In welchem Maß ist es Präsident Ahmad al-Sharaa gelungen, staatliche Kapazität wiederherzustellen und die Schwächen des alten Regimes zu überwinden?

Partrick: Wir haben jetzt eine Situation mit größerer staatlicher Kapazität als beim Zusammenbruch, denn in vieler Hinsicht brach auch der Staat selbst zusammen. Die letzten Reste nationaler Integrität und Kapazität waren ohnehin extrem schwach und lösten sich vollständig auf.

Heute gibt es einen Präsidenten und Reste der alten Streitkräfte, die ihm loyal gegenüberstehen. Das schafft ein Mindestmaß an staatlicher Handlungsfähigkeit. In vielerlei Hinsicht wurde jedoch das Milizsystem, das Bashar nutzte, im heutigen Syrien reproduziert – nur mit anderen Personen an der Spitze. Die staatlichen Kräfte sind nicht vollständig funktionsfähig. Stattdessen gibt es eine Vielzahl mächtiger halbstaatlicher Milizen, die dem Staat nur locker verpflichtet sind.

In diesem Umfeld operiert Präsident al-Sharaa. Er verfügt noch nicht über das sprichwörtliche Gewaltmonopol in klarer, integrierter Form. Er ist ein schwacher Anführer und abhängig von einer losen Koalition aus Milizen und Resten der alten Streitkräfte, um die Grenzen so gut es geht zu sichern.

Connor Echols ist Reporter für Responsible Statecraft und war zuvor Managing Editor des NonZero-Newsletters.

Neil Partrick ist ein unabhängiger Nahost-Analyst, Berater und Autor mit Doktor in Internationalen Beziehungen (London School of Economics and Political Science). Seit Ende der 1990er Jahre arbeitete er u.a. für das Royal United Services Institute, die Economist Intelligence Unit und als Dozent in den VAE und Großbritannien. Seit 2009 ist er freiberuflich tätig und veröffentlicht Analysen, Bücher und Artikel zu Politik, Sicherheit und Staatlichkeit im Mittleren Osten.

Dieser Text erschien zuerst bei unserem Partnerportal Responsible Statecraft auf Englisch.