Barbara Traub, Vorstandssprecherin der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs, beim Chanukka-Fest auf dem Schlossplatz in Stuttgart. Foto: Lichtgut/Julian Rettig
Die jüdische Gemeinde feiert trotz des Terrorakts in Sydney das Lichterfest auf dem Schlossplatz in Stuttgart – und will „der Dunkelheit noch viel mehr Licht entgegensetzen“.
Viele Menschen sind gekommen, um beim jüdischen Lichterfest Chanukka am Dienstagabend auf dem Schlossplatz in Stuttgart dabei zu sein – viele aus Solidarität mit der jüdischen Gemeinde, wie der evangelische Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl, Stadtdekan Sören Schwesig, Landtagspräsidentin Muhterem Aras, Kultusministerin Theresa Schopper, Schulbürgermeisterin Isabel Fezer, Polizeipräsident Markus Eisenbraun, der Koordinator des Rats der Religionen, Deniz Kiral, und Gemeinderäte. Viele Menschen auch ohne besondere Funktion. Es sind um die 200.
Seit 20 Jahren werden in Stuttgart Chanukka-Lichter öffentlich entzündet
Barbara Traub, Vorstandssprecherin der Israelitischen Religionsgemeinschaft (IRGW), sieht das als Zeichen der Ermutigung in einer Zeit, in sich die Stimmung vielfach gegen jüdische Gemeinden wendet. Nachdem Ortsrabbiner Yehuda Puschkin und Landesbischof Gohl demonstrativ gemeinsam drei Lichter an dem großen Leuchter, der Menora, vor dem Neuen Schloss entzündet und Kantor Nathan Goldmann gesungen hat, tritt Traub ans Rednerpult und spricht unerschrocken von Freiheit, Hoffnung, Mut, Verständigung und Toleranz. „In den vergangen 20 Jahren, in denen in Stuttgart die Chanukka-Lichter feierlich entzündet wurden, standen wir oft beisammen und schöpften gemeinsam neuen Mut“, sagt sie und zählt auf: „Wir schöpften neuen Mut nach den rechtspopulistischen Wahlerfolgen, nach dem Terroranschlag auf die Synagoge in Halle 2019, nach dem Krieg Russlands gegen die Ukraine und nach dem Überfall der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 und den Zeiten des Krieges.“
Dieses Jahr hätte das Chanukka-Fest seit langem wieder ein unbeschwertes Fest sein können, sagt sie: „Doch dann erreichten uns die Nachrichten aus Sydney.“ Umso tiefer sei die Trauer angesichts der sinnlosen Morde an Menschen am Bondi Beach, wo Jüdinnen und Juden zusammengekommen seien, „um mit Freunden ein Fest der Toleranz zu feiern und ein Licht der Hoffnung zu entzünden“.
Rabbiner Yehuda Pushkin beim Entzünden der Lichter. Foto: Lichtgut/Julian Rettig
Was macht diese Terror-Erfahrung mit der jüdischen Gemeinde? Traub zitiert den Rabbiner Jonathan Sachs: „Glaube hat mit Mut zu tun.“ Diese Überzeugung ziehe sich wie ein roter Faden durch die jüdische Geschichte. Aus dem Schatten, die das Blutbad von Sydney über Chanukka lege, könne man deshalb nur eine Schlussfolgerung ziehen: „Der Dunkelheit entschlossen noch viel mehr Licht entgegenzusetzen“, betont sie. Traub bekräftigt ihren Dank an Stadt, Land und Polizei für ihr entschiedenes Eintreten gegen Hass und Hetze und appelliert an die Versammlung: „Treten wir für eine Welt ein, die es verdient, jeden Tag ein bisschen heller und besser zu werden.“ Dafür stehe Chanukka.
Auch Rabbiner Pushkin geht mit der Frage um „wie können wir angesichts des Schmerzes, des Verlustes und der Wut überhaupt feiern?“ Seine Antwort: Man könne diese Gefühle nicht ausschalten, „wir tragen sie vielmehr mit in die Freude hinein“. Freude sei keine Reihe positiver Umstände, „sondern eine bewusste Wahl“. In den Worten von Traub: „Je tiefer das Dunkel um uns herum, desto heller sollen die Lichter erstrahlen. Das ist der Kern des Wunders von Chanukka.“
Auch eine Frau aus Australien nimmt teil
Das Chanukka-Fest erinnert an das „Lichtwunder“ vor 2189 Jahren im Tempel von Jerusalem vor dem Hintergrund des Kampfes gegen die Seleukiden, die sechs Jahrzehnte über das damalige Israel herrschten. Zuletzt war nur noch ein Krug geweihten Olivenöls übrig, um die Menora im Tempel zu erleuchten. Dieses Öl brannte der Erzählung nach auf wundersame Weise acht Tage lang, bis neues geweihtes Öl vorhanden war. Am Chanukka-Fest werden deshalb nacheinander an acht Tagen Lichter entzündet – bis einschließlich kommenden Sonntag. Jeden Abend ein Licht mehr. Traditionell werden an Chanukka Sufganjot, in Öl ausgebackenes Hefegebäck, und Wein gereicht – am Dienstagabend auch auf dem Schlossplatz. Die Teilnehmer bedienen sich interessiert.
Unter ihnen ist auch Martina Zadov aus Adelaide in Australien. Ihre Großeltern hatten einst am Marktplatz bei Tritschler gewohnt, ehe sie auswanderten. Sie selbst ist in Gärtringen geboren und zog dann ebenfalls nach Australien. Gerade ist sie zu Besuch in Stuttgart.
Von dem Terrorangriff in ihrer Heimat hat die 60-Jährige in aus den Nachrichten erfahren. „Schrecklich“, sagt sie und verfolgt nun das Lichteranzünden auf dem Schlossplatz, wo Kultusministerin Theresa Schopper, die Grüße von Ministerpräsident Winfried Kretschmann überbringt und versichert: „Die Landesregierung wird entschieden verhindern, dass sich das Gift des Antisemitismus weiter ausbreitet.“ Man werde alles daran setzen, dass jüdische Bürger keinen Anfeindungen ausgesetzt seien und in Sicherheit leben könnten.