
Der AfD-Fraktionsvorstand hat ein Ordnungsverfahren gegen Rüdiger Lucassen beschlossen, den Leiter des Arbeitskreises Verteidigung. Der Grund: Er hat in einer Bundestagsrede Björn Höcke scharf kritisiert.
Torben Braga ist unzufrieden. Manche sagen sogar: emotional. Braga, 34 Jahre alt, Bundestagsabgeordneter aus Thüringen und Vertrauter von Björn Höcke, wollte unbedingt über Rüdiger Lucassen diskutieren. Zweimal geht er während der AfD-Fraktionssitzung ans Mikrofon, wirbt dafür, dass Lucassens Kritik am thüringischen Landesvorsitzenden Höcke unbedingt nachbesprochen wird.
Fraktionskollegen von Braga, darunter Steffen Kotré aus Brandenburg, Stefan Möller aus Thüringen oder Udo Hemmelgarn aus Nordrhein-Westfalen hatten den Antrag gestellt darüber zu diskutieren, was geschehen soll, wenn Fraktionskollegen andere Parteikollegen in der Öffentlichkeit persönlich angreifen.
Doch dieser Antrag wird mit großer Mehrheit abgewiesen – auch auf Drängen von Fraktionschefin Weidel. Man solle doch der Presse so kurz vor Weihnachten kein Futter geben, sagt Weidel, so schildern es Teilnehmer.
Ordnungsverfahren gegen Rüdiger Lucassen?
Stattdessen will der Fraktionsvorstand nun Ordnungsmaßnahmen gegen den altgedienten Verteidigungspolitiker Lucassen auf den Weg bringen. Das Schreiben liegt dem ARD-Hauptstadtstudio vor. Darin wird die Bundestagsrede von Lucassen vom 5. Dezember 2025 kritisiert, wenn auch etwas umständlich. Lucassen habe „eine aktuell intensiv geführte innerfraktionelle Debatte in einer Plenarrede zur öffentlichen Kritik der auch innerfraktionell vertretenen Gegenposition gemacht und damit absehbar erhebliche negative Presse ausgelöst“.
Gemeint ist damit folgendes: Lucassen hatte in seiner Rede die Position des Thüringer AfD-Landesvorsitzenden Höcke zur Wehrpflicht scharf angegriffen. Höcke habe gesagt, so Lucassen, „dass Deutschland es nicht mehr wert sei, dafür zu kämpfen“.
Lucassen hat offenkundig eine komplett andere Sichtweise. Er betonte mit Verweis auf die Kämpferinnen und Kämpfer der Befreiungskriege im 19. Jahrhundert: „Sie wären diesem Befund niemals gefolgt.“
Höcke hatte unter anderem gefordert, bevor „auch nur ein einziger junger Mensch in diesem Land zwangsweise wieder in Uniform“ antreten solle, müsse „dieser Staat endlich wieder ein Staat für die Deutschen werden“. Er fragte außerdem, ob junge Männer „Dragqueen-Auftritte im Kindergarten, mit Betonmauern gesicherte Lichterfeste, die früher mal Weihnachtsmärkte hießen, die Massenzuwanderung oder den Schuldstolz“ verteidigen sollten.
Streit steht für etwas Größeres
Die Auseinandersetzung ist die Verlängerung eines Streits in der AfD um die Wehrpflicht. Eigentlich fordert die Partei die Wiedereinführung der Wehrpflicht seit Jahren. Das steht auch im Grundsatzprogramm. Landesverteidigung, das ist für die AfD gerade im Westen Ausdruck von Patriotismus.
Doch in den Ostverbänden gibt es Widerspruch, besonders angesichts der anstehenden Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern im September 2026. Hier fürchtet man sich davor, die Wählerinnen und Wähler vor den Kopf zu stoßen und die aktuell hohen Umfragewerte für die AfD in den beiden Ländern zu gefährden. Man will Friedenspartei sein und schürt die Angst, die Bundesregierung wolle Wehrpflichtige in die Ukraine schicken, um dem Land zu helfen, sich gegen den Angreifer Russland zu verteidigen.
Die Ostverbände haben sich vorerst durchgesetzt. Man hat sich auf die Formel geeinigt, man sei zwar generell für die Wehrpflicht, aber gerade jetzt nicht.
Lucassen mit Kritik nicht isoliert
Inhaltlich hat Rüdiger Lucassen durchaus einige AfDler auf seiner Seite. Hört man sich in der Fraktion um, dann stören diese AfD-Abgeordneten sich an einer destruktiven Grundhaltung, die häufiger aus dem Ostverbänden zu hören sei, an der generellen Verächtlichmachung des Staates und seinen Institutionen.
Immer wieder wird auch die Frage gestellt, wie es denn mit einer solchen Haltung möglich sein solle, eine Koalition zu bilden. Ein Zitat will man aber nicht geben. Kritisiert wird allerdings schon, dass Lucassen mit einer Rede im Bundestag eine so öffentliche Form der Kritik gewählt habe.
Generell ist zu beobachten, dass die Höcke-Vertrauten nach mehr Einfluss in der Bundestagsfraktion streben. So gab es in der Sitzung des Arbeitskreises Außen überraschend einen Gegenkandidaten, gegen den schon vorgeschlagenen baden-württembergischen AfD-Abgeordneten Malte Kaufmann. In einer Abstimmung konnte sich Kaufmann dann durchsetzen – gegen Robert Teske, einen weiteren Höcke-Vertrauten.
Thüringen „kann mit der Entscheidung leben“
Torben Braga schien mit der Entscheidung, den Antrag auf Diskussion abzusetzen, unzufrieden zu sein. Von seinem thüringischen Fraktionskollegen Stefan Möller kommen am Abend aber zurückhaltendere Töne. Die Absetzung sei ja erfolgt, so Möller, nachdem der Fraktionsvorstand verdeutlicht habe, dass er die Kritik an Lucassens Rede teile und sich der Sache annehme. „Die Angelegenheit ist damit in den Händen des zuständigen Gremiums gut aufgehoben, ich kann daher mit der Entscheidung leben, dass heute keine inhaltliche Debatte stattfand.“
Welche Konsequenzen wird es für Lucassen geben?
Die kritische Bundestagsrede wird vermutlich Folgen für Lucassen haben, auch wenn noch unklar ist, welcher Art diese Folgen genau sein werden. Lucassen darf sich zunächst zu den Vorwürfen äußern. In dem Schreiben des Fraktionsvorstands heißt es, ihm werde die Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben – bis Freitag, den 19. Dezember. Danach werde der Vorstand entscheiden, „ob und gegebenenfalls in welcher Form“ er eine Ordnungsmaßnahme verhänge.
Das könnte eine Rüge sein. Oder aber ein Redeverbot für einige Monate. Was Rüdiger Lucassen dazu sagt, ist unklar. Bei der Fraktionssitzung war er nicht anwesend. Eher ungewöhnlich für ihn. Aus seinem Büro heißt es, aktuell wolle er sich nicht zum Vorgang äußern.

