Felix Blume erklimmt einen Berg. Deutschland braucht ihn. Die Not ist groß. Leise fleht das Klavier. Wohin weht der Wind der Geschichte? Natürlich nach Deutschland. Die schwarz-rot-goldene Fahne flattert stabil, so stabil wie Felix Blume dasteht.

„Hallo, Deutschland“, grüßt der Rapper, der sich bislang Kollegah nannte, von verschneiten Bergeshöhen, „ich wollt’ dir was sagen. Lange her sind die goldene Tage (sic)/ Politiker am Lügen und das Volk ist am Schlafen.“ Blume sieht alles von dort oben, und was er sieht, das sehen auch wir, in eingeblendeten Clips. Er sieht Kriegstreiberei, sieht Flaschensammler, sieht Messerstecher und U-Bahn-Schläger, ein Volk, das hart gearbeitet hat, nun aber bricht alles zusammen, „und die Politiker kippen sich entspannt daheim/ Champagner rein und grinsen wie’n verdammtes Schwein“. Kurze Pause. „Langsam reicht’s, langsam ist genug.“ Wieder Blume. Direkter Blick in die Kamera. „Wär ich Kanzler, würd’ ich für Deutschland kämpfen bis aufs Blut.“

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In der nächsten Einstellung guckt er dann wieder runter von seinem Berg, die Kameradrohne schwirrt von hinten auf ihn zu, filmt seinen durchgedrückten Rücken ab. Über ihm der Horizont, unter ihm das Tal, so steht er da wie Caspar David Friedrichs „Wanderer über dem Nebelberg“, Hochromantik, Überhitzung, Nationalkulturporno. Eichen. Rehe im Abendrot. Stahlblauer Gebirgssee.

Proteinshakes formten diesen Körper, der sich nun endlich einfügt in die Ikonografie des nationalen Widerstands

Es ist der neueste, folgerichtige Aggregatzustand des Künstlers, der seit je über den Wandel des deutschen Mannes und des männlichen Körpers, seine „Bosstransformation“, gerappt hat. In dem Song, der so hieß, 2018 erschienen, powertalkte Kollegah: „Wenn du mit Leidenschaft weitermachst/ Und zeigst, dass du fit bist, erreichst du den Himmel.“ Rapper erzählen gern Geschichten ihres Aufstiegs. Kollegah hingegen erzählt, mit welchen fünf unschlagbaren Tricks andere so stark werden können wie er. Der „Boss“, wie er sich nennt, tat das zeitweise auch in einem dubiosen Coaching-Programm. In dieses „Alpha-Mentoring“ schleuste sich 2019 ein Vice-Reporter ein und berichtete anschließend, wie der Lebensberater-Rapper seine „Alphas“ als „Lauchs“ beschimpfte, als Schwächlinge, wie er Verschwörungstheorien verbreitete und damit offenbar nicht schlecht verdiente. Experten warnten vor einer Guru-Bewegung, vor Täuschung und Gehirnwäsche. Aus den „Alphas“, die Erfolg im Leben und bei den Frauen suchten, wollte Blume eine „Alpha-Armee“ schmieden.

Kino

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In diesem Körperkosmos hat sich soeben offenbar die nationale Erweckung vollzogen. Lastzugmaschinen und Proteinshakes formten Blumes Körper, der sich nun einfügt in das ikonografische Repertoire des nationalen Widerstands, irgendwo zwischen Leni Riefenstahl, der Frakturrune der neuen Ostdeutschen Allgemeinen Zeitung von Verleger Holger Friedrich, dazu eine Prise Facebook der AfD-Freunde Beckum. Aus der romantischen Düsterkeit tritt heilsam die Volkeswollust. „Deutschland“, rappt Blume, sei „ein kerngesundes Land./ Mit seinen Eichen, seinen Linden/ werde ich es immer wiederfinden.“ Erst bei der zweiten Wiederholung der Hook fällt einem auf, dass die Rede von „Linden“ und nicht von „Lenden“ ist. Stets meint man, dass gleich eine blonde Schönheit dem „Boss“ einen Krug Bier servieren wird, den er dann mit seinem Gebirgsmassiv von einem Arm an den Kiefer stemmt – so wie sich rechte KI-Hobbyfotokünstler im Internet die Zukunft Deutschlands vorstellen. Felix Blume hat dieser bisweilen doch eher schlappen, boomerhaften Fantasiewelt etwas hinzuzufügen, nämlich Muskeln, eine militärische Körperhaltung, echte junge Männer, die sich gern von einem visionären, gestählten Boss demütigen und herumkommandieren lassen.

Als die Band Rammstein 2019 über Deutschland sang, ging es um den Golem der maximal vergifteten deutschen Geschichte, es ging um den Horror, der da wieder sein Haupt erhob – um ihm entgegenzuhalten: „Meine Liebe/ Kann ich dir nicht geben!“ Kollegah? Beschwört sich selbst als obersten Germano-Cyborg. Was bleibt zu sagen, außer: Meine Liebe kann ich dir nicht geben.