Mit einer neuen Methode erstellte Aufnahme von Zerstörungen (orange markiert) in der ukrainischen Stadt Mariupol nach der Belagerung durch die russische Armee 2022.

Stand: 19.12.2025 12:45 Uhr

Wissenschaftler haben eine einfache und günstige Methode entwickelt, um die Zerstörung von Gebäuden in Kriegs- oder Katastrophengebieten zu erfassen. So ist nicht nur ein schneller Überblick für Hilfslieferungen möglich.

Durch die Nutzung von frei verfügbaren Sentinel-1-Radarsatellitenbildern der Europäischen Weltraumorganisation ESA können zerstörte Gebäude identifiziert werden, ohne dass teure Bilder kommerzieller Anbieter erforderlich sind. Jeder der Sentinel-1-Satelliten überfliegt alle zwölf Tage denselben Ort und erfasst ihn mit einem speziellen Radarsystem, das Bilder mit einer Auflösung von 5 bis 100 Metern ermöglicht.

Radartechnologie funktioniert unabhängig vom Wetter

Im Gegensatz zu bisher genutzten, höher aufgelösten, optischen Satellitenbildern, die durch Wolken und Dunkelheit beeinträchtigt werden können, arbeitet Radar unabhängig von Wetter- und Lichtverhältnissen. Dies macht es besonders geeignet für eine langzeitige Überwachung von Konflikt- oder Katastrophengebieten.

Die Aufnahmen werden bei der neuen Methode technisch aufbereitet, sodass eine Auflösung von 10×10 Metern möglich ist, berichtet der an der Entwicklung beteiligte Datenwissenschaftler Daniel Racek von der Universität der Bundeswehr in München: „Wir können für jegliche Gebäude in der Region überprüfen, ob das zurückgeworfene Radarsignal plötzlich ungewöhnliche Veränderungen zeigt zu einem bestimmten Zeitpunkt, was dann natürlich in Kriegsgebieten in den meisten Fällen ein Hinweis auf Gebäudebeschädigung beziehungsweise Zerstörung ist, wie zum Beispiel das Einstürzen von einem Dach.“

Mit statistischen Methoden Ursache von Zerstörung berechnen

Zudem zeigen statistische Berechnungen, mit welcher Wahrscheinlichkeit die Zerstörung durch das vermutete Ereignis eingetreten ist. Also, ob das Haus durch einen Bombentreffer zerstört wurde oder durch ein davon unabhängiges Ereignis, beispielsweise durch einen geplanten Abriss. 

Dokumentation von im Krieg zerstörten Gebäuden

Die genutzten Bilder der Sentinel-1-Satelliten der ESA sind zudem kostenlos. Andere Dokumentationsverfahren nutzen Satellitenbilder kommerzieller Anbieter. Mit ihren optischen Kameras erreichen die zwar eine höhere Auflösung, teilweise unter einen Meter. Die Kosten für eine Langzeit-Bilderreihe, wie sie die Wissenschaftler in ihren Beispieldemonstrationen verwendet haben, können dann aber mehr als 500.000 Euro betragen.

Zerstörungen sichtbar machen

Die Forscher demonstrieren ihre Methode anhand dreier Fälle: bei der Beiruter Hafenexplosion von 2020, der Belagerung von Mariupol in der Ukraine im Jahr 2022 und dem Gaza-Konflikt 2023-2024.

In Beirut identifizierte der Algorithmus 361 Gebäude als zerstört, das sind über 5% aller Gebäude Beiruts. Für Mariupol schätzen die Wissenschaftler, dass durch die Bombardements 2.437 Gebäude komplett zerstört wurden, was etwa 22% aller Gebäude im dortigen Bezirk entspricht. Für Gaza zeigte die Analyse, dass 10,7% aller Häuser zerstört wurden – allerdings lief die Bildauswertung nur bis zum 28. März 2024, bemerkt Daniel Racek: „Danach ist noch deutlich mehr zerstört worden. Dort wo die Truppen vorgerückt sind, sehen wir in nahezu allen Fällen besonders viel Zerstörung.“ 

Planung für Hilfsmaßnahmen

Der an der Entwicklung der Methode beteiligte Politikwissenschaftler Paul Thurner von der Ludwig-Maximilians-Universität München erklärt: „Bei solchen Einsätzen muss man sich sehr kurzfristig über die Gesamtlage orientieren, um planvoll Hilfsmaßnahmen einzuleiten.“

Während bei anderen Verfahren Satellitenbilder aufwändig von Fachleuten per Augenschein untersucht und ausgewertet werden müssen, läuft die neue Methode automatisch und sei somit weniger fehleranfällig. Und sie bietet damit schnell zugängliche Informationen über das Ausmaß von Zerstörungen, auch in Katastrophengebieten.

Informationen für Konfliktforschung

Die Methode, die Radarbilder der Sentinel-1-Satelliten der ESA auszuwerten, liefert auch der Wissenschaft ein günstiges und effizientes Überwachungstool, so Thurner: „Moderne Friedens- und Konfliktforschung bedarf dieser hochmodernen Verfahren“, sagt Thurner. Dies ist entscheidend, um die Prozesse und Dynamiken vor Ort zu erfassen und zu beschreiben. Sonst haben wir ja überhaupt kein Bild von dort.“

Zukunftsaussichten der Technik

Die Forscher sehen großes Potenzial für ihre Methode, um die Überwachung und Dokumentation von Kriegszerstörungen weltweit zu verbessern. Die Technologie könnte auch als Beleg für Reparationsforderungen sowie für die Planung und Kontrolle eines Wiederaufbaus genutzt werden. Die Weltbank schätzt die Schäden beispielsweise in der Ukraine bis zum Februar 2025 auf 500 Milliarden Euro, was die Bedeutung der Methode unterstreiche, so Paul Thurner.

Satellitenbilder, die betroffen machen

Ein Bild von der Zerstörung durch Krieg zu bekommen, ist ihm aber auch ganz persönlich wichtig. Als Konfliktforscher arbeite man hauptsächlich mit großen Datenmengen, die dann quantitativ analysiert werden, „aber hierdurch“, so Thurner, „wird das Leid, das in Kriegen passiert, unmittelbar erfahrbar. Das macht einen schon sehr, sehr betroffen.“