„I mean … honestly?!“, ruft Kiara mit hochgezogener Augenbraue, während Alexa, eine ihrer Freundinnen, gerade erzählt, wie ihr Ex-Freund sie enttäuscht hat. Kiara wird heute 31 – und gefeiert. Sie trägt ein Top, hinter dem die Nippel ihrer kleinen runden Brüste durchscheinen. In ihrem Gesichtsausdruck liegt gespielte Ungläubigkeit, ein „wie kann er nur“ entwischt ihren Lippen, das in Gesprächen zwischen Frauen aber meist nicht so ernst gemeint ist. Eher als eine Solidaritätsgeste und nicht als echte Verwunderung.

Insgeheim weiß man natürlich schon, dass er kann, und dass er vermutlich auch getan und am Ende irgendeine Erklärung gefunden hat, warum und wie sein Verhalten irgendwie doch okay war. „Männer eben“, sagen sich die Frauen dann, ohne es explizit ausdrücken zu müssen. Ich weigere mich jedoch immer ein wenig, in diesen Klagechor einzustimmen. Männer können nämlich auch anders. Auch wenn mich manche Geschichten immer wieder an dieser Überzeugung zweifeln lassen.

Willkommen in Berlin – und einer anderen Lebensrealität

„I mean, he can’t be for real, guck dich mal an“ – doch der Hinweis auf Alexas Attraktivität hilft nicht weiter. Die Schönheit ihrer Partnerinnen hat Männer noch nie davon abgehalten, sich danebenzubenehmen, ob das nun Fremdgehen oder irgendeine andere Verfehlung bedeutet. Schönheit ist eben kein Schutzschild, das lehren schon Mythen aus der Antike. Während ich mich frage, ob nicht gerade das permanente Durchanalysieren von Chats, Timings und Tonfällen auch Teil des Problems sein könnte, weil es dem Fehlverhalten zu viel Aufmerksamkeit schenkt, nehme ich einen Schluck von meinem Drink und schaue mich um.

Wir sind mit einigen Girls zum Geburtstag von Kiara in der Torte, einer Bar, die sich in einem ehemaligen Tortenversandhaus gleich an der S-Bahnhaltestelle Sonnenallee befindet. Heute sind die Wände mit Putz versehen, die Kellner tragen ausgefranste Kleidung und grungige Tattoos.

Es gibt Buttermilk Margaritas, Earl Grey Sours und ziemlich viel Gossip. Ich bin umgeben von Mesh-Oberteilen mit Pelzbesatz, Balenciaga-Taschen, kleinen Brillen mit Chromrahmen, Steinchen auf Zähnen und Nägeln, ausgefransten Jeans in schlammigen Farben, Rüschen und bodenlangen Kapuzenkleidern. Große silberne Ohrringe zieren die Gesichter und große Augen wandern so ganz nebenbei aufmerksam durch den Raum, vielleicht kennt man ja jemanden.

Neben mir sitzt Mimi, die gerade aus Frankfurt zu Besuch ist. Sie trägt blaue Jeans, dunkelbrauner Parka, flache Schuhe und sieht aus wie eine Millennial-Mama aus einer mittelgroßen deutschen Stadt, die zwischen ihrem Job, Verpflichtungen und einem strukturierten Alltag nicht mehr dazu kommt, sich einen guten Look rauszusuchen – auch wenn sie noch gar nicht Mutter ist und neben einem sogar für sie uninspirierenden Marketing-Job gar nicht so beschäftigt ist. Neben meinen Berliner Freundinnen wirkt sie wie aus einer anderen Lebensrealität oder zumindest aus einer anderen Zeit. Dabei macht Mimi von Ausgehen über Daten bis hin zu Gel-Nägeln all die Dinge, die auch meine Berliner Freundinnen gerne tun.

„Und meine Güte, ist Berlin arm … und dreckig“

Später am Wochenende, am Sonntag im Taxi auf dem Weg ins Berghain, sagt Mimi über den Abend: „Weißt du, ich verstehe das nicht ganz. Alle Leute hier sprechen Denglisch. In wirklich jeder einzelnen Phrase, in jedem einzelnen Satz scheint mindestens ein englisches Wort zu fallen.“ Sie meint nicht das spielerische, bewusste Code-Switching, sondern das reflexhafte, unbemerkte Dazwischenwerfen von „literally“, „random“, „honestly“, als würde Deutsch allein nicht mehr ausreichen, um Gefühle, Situationen oder sich selbst zu beschreiben. Sie zählt auf, fast schon amüsiert: „Kinda, lowkey“, „makes sense“, „vibe“, „to be fair“ – hört ihr das überhaupt noch?

Mimi hat recht. Ich höre das gar nicht mehr. Hintergrundrauschen, Teil der Berliner Sinneseindrücke, wie der elende Gestank in der U8 oder die „zu verschenkenden“ Klamottenberge am Straßenrand. Vielleicht ist es Gewohnheit, vielleicht Abstumpfung. Vielleicht auch ein Schutzmechanismus. Denn Denglisch erlaubt Distanz. Es macht Aussagen weicher, weniger verbindlich. Man sagt nicht mehr: Ich bin unsicher, sondern: „I’m not sure.“ Man sagt nicht: „Das verletzt mich“, sondern: „That was kind of weird.“

Die härteste Tür der Welt: Wenn man Pech hat, stand man für das Berghain stundenlang an – und bleibt draußen.

Die härteste Tür der Welt: Wenn man Pech hat, stand man für das Berghain stundenlang an – und bleibt draußen.Imago/Roland Owsnitzki

„I’m manifesting getting in“, höre ich jemanden sagen, als ich an der Schlange von Berlins meistbesprochenem Club vorbeilaufe. Wie fast immer wirken die Wartenden angespannt und betont entspannt gleichzeitig. „Der Vibe ist wohl richtig intense da drin“, sagt jemand anderes, und ich lächle Mimi an. Als wir drin sind, verliert sich Sprachkritik und Berlin-Analyse im Bass und in der Bewegung. Sprache ist hier nebensächlich.

Später, auf dem Rückweg, formuliert Mimi ihr Berlin-Resümee: „Die Distanzen, all das ist mir einfach zu weit weg voneinander. Und meine Güte, ist Berlin arm … und dreckig. Überall liegt Müll auf der Straße. Aber die Häuser sind schön. Und die Menschen hier, die interessiert wirklich gar nix, die laufen rum, wie sie wollen. Das gibt es nicht in Frankfurt. Aber das Denglisch auch nicht, und da bin ich eigentlich ganz froh drum.“ Fast will ich antworten: „Feel you, Mimi!“, aber dann sage ich: „Gute Beobachtung.“

Vielleicht ist das Berliner Denglisch genau das: eine Sprache für eine Stadt, die sich zwischen Freiheit und Verweigerung nicht festlegen will. „I mean“ als Daueranfang eines Gedankens, der nicht dazu verpflichtet ist, zu Ende geführt zu werden.