
AUDIO: Bildschöne Bücher: „Winterland. The Colors of Snow“ (4 Min)
Stand: 19.12.2025 11:14 Uhr
Der französische Fotograf Christophe Jacrot hat für seinen Bildband „Winterland. The Colors of Snow“ Gegenden besucht, in denen Schnee im Winter noch immer normal ist.
Streifen von Schnee, verwischt, frostig, schräg nach unten peitschend in eisigen Windböen an irgendeiner Ecke der Stadt: ein bekannter Anblick. Wohl jede deutsche Stadt hat so einen steinernen Platz, an dem die schwarze Fassade irgendeines Bankgebäudes, einer Versicherung oder vielleicht der Stadtwerke starr emporragt. Kalt allein schon diese brutale Raster-Architektur. Kalt die Stahlbügel der verlassenen Fahrradständer vor dem gläsernen Haupteingang. Doch immerhin: Dieser Baum vor dem Gebäude mit seinen blattlosen, kahlen Zweigen und immer feineren Verästelungen ist von filigraner Schönheit!
Christophe Jacrot hat sich bei dieser Aufnahme aus Toronto von der Wucht der winterlichen Böen nicht irritieren lassen. Er nutzt die geraden Linien: Diagonal der Schneefall, vertikal das Hochhaus, der leere schneeweiße Vorplatz bildet die Horizontale. Und der Stadtbaum in der Bildmitte verkörpert den letzten Rest ungebändigter, freier Natur.
Die findet sich vielfach auf seinen Bildern aus abgelegenen alpinen Provinzen Frankreichs. Eine schneebedeckte Weide, wie Schraffuren schauen feinste schwarze Grasspitzen aus dem Weiß, auf dem zwei Pferde ausgelassen herumtoben; auch sie schneeflockenumhüllt, voller Leben und frei.
Auf der Suche nach „visuellen Emotionen“
Die matt-weiße Buchseite 5, noch vor diesen ersten Fotografien, fällt beim Blättern zunächst gar nicht auf. Doch dann markiert ein meerblaues Blatt Papier auf Seite 41 ein neues Kapitel. Und tatsächlich: Das folgende Bild zeigt, wie hinter dem schneebedeckten, felsigen weiß-schwarzen Strand auf Island hellblaue Gischt an der Steilküste nagt. Die zotteligen Schafe auf den Färöer Inseln, denen weiße Eisklumpen in der Wolle hängen, stehen zur Abendstunde in bläulichem Schnee. Und die Moschee im sibirischen Norilsk – die nördlichste der Welt – erstrahlt vor den trist graubraunen sowjetischen Plattenbauten in reinem Babyblau.
Spätestens nach dem grünen Trennblatt auf Seite 73 hat jeder Betrachter verstanden, welche Ordnung hier herrscht: Schnee und Eis liegen, Flocken und Winterstürme wehen überall im Buch. Aber stets ist etwas Farbe zu entdecken: die hellgrüne Trauerweide am Ufer der Seine mitten im verschneiten Paris. Die dunkelgrünen Wogen am windgepeitschten Strand von Etretat. Oder das grün gestrichene Holzhäuschen, einladend am Ende der vereisten Straße auf Kanadas Magdaleneninseln.
„Im Gegensatz zur Dokumentarfotografie arbeite ich vorwiegend malerisch, also mit Farben, Materie, und ich bin immer auf der Suche nach visuellen Emotionen“, erklärt Christophe Jacrot seine Methodik. „Ich arbeite nicht mit Tricks. Keine Filter, keine großen Retuschen. Eine gut gewählte Perspektive am Fuße einer riesigen Schneewehe beispielsweise, das ist oft schon alles.“

Ein Bildband für alle, die Regen und Schneestürme am liebsten aus warmer und trockener Perspektive des Bildbetrachters erleben möchten.
Wärmendes Licht in eisiger Nacht
„Krippenmomente“ nennt Christian Malessas Nachwort all die Aufnahmen Jacrots, in denen ein Haus in kalter Landschaft das Auge bannt: Warmes goldbraunes Licht aus einem Fenster irgendwo in der Ferne, sei es in Chicago oder New York oder im Örtchen Tasiilaq auf Grönland. Rot kann eine Ampel an einer Straßenecke in Boston blinken und den aus einem reifüberzogenen Gully aufsteigenden Dampf einfärben. Violett schimmert dort unter den Lichterketten in den Bäumen der verschneite Fußweg, auf dem Hund und Herrchen ihre Abendrunde drehen.
Das Nachwort bringt es auf den Punkt: „Die Welt des französischen Fotografen Christophe Jacrot erwacht zum Leben, wenn sich alle anderen aus ihr zurückziehen. In Landschaften unter schwerer Schneedecke, im Frost erstarrter Wälder findet er seine Geschichten. Geschichten vom Licht im Dunkel, von der Stille in der Weite, von Leere und Verheißung, von den Farben des Winters.“

Winterland. The Colors of Snow
von Christophe Jacrot
- Seitenzahl:
- 208 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Verlag:
- teNeues
- Preis:
- 65 €