Die Bilder der finnischen Malerin Helene Schjerfbeck sind eine stille Sensation. Außerhalb von Nordeuropa kennen sie jedoch nur wenige. Eine große Schau im Metropolitan Museum in New York dürfte das nun ändern

Während die finnische Malerin Helene Schjerfbeck (1862–1946) in Nordeuropa längst gefeiert wird, blieb sie in den USA bislang eher unbekannt. Das dürfte sich nun ändern, denn mit ihrer ersten Retrospektive im Metropolitan Museum of Art rückt Schjerfbeck endlich ins Zentrum der amerikanischen Aufmerksamkeit. 

Kaum ein Jahr nach der großen Paula-Modersohn-Becker-Schau in der Neuen Galerie und parallel zur Gabriele-Münter-Ausstellung im benachbarten Guggenheim-Museum erweist sich Schjerfbeck als eine wichtige Pionierin der Moderne; eine, die aus der Kunstgeschichte nicht wegzudenken sein sollte. Zugleich zeigt sich, dass Anerkennung auf der einen Seite des Atlantiks nicht automatisch Resonanz auf der anderen bedeutet, insbesondere, wenn es um Künstlerinnen geht. Doch die Ausstellung von Hilma af Klint im Guggenheim Museum 2019 markiert in diesem Zusammenhang eine Zäsur. Die schwedische Malerin, die ihre abstrakten Formen von übersinnlichen Wesen eingeflüstert bekam, brach damals alle Besucherrekorde. Seither widmen sich immer mehr US-Museen der Wiederentdeckung historischer weiblicher Positionen.

Unter dem treffenden Titel „Seeing Silence“ begegnen dem New Yorker Publikum nun rund 60 Bilder von Helene Schjerfbeck, darunter zahlreiche Leihgaben aus der Finnischen Nationalgalerie, dem Ateneum in Helsinki. Im Robert-Lehman-Flügel, bewusst etwas abseits vom Trubel des Museums gelegen, ist Schjerfbecks Werk von einer spürbaren Stille umgeben. Man steigt eine Treppe hinab und nähert sich ihrer Kunst behutsam, taucht in sie ein. Doch was genau erzeugt diese Ruhe?

Konzentriert auf Individuen

Es sind vor allem die feinen, gedämpften Farbabstufungen, die keine harten Übergänge zulassen und Inhalte gleichsam destillieren. Schjerfbeck konzentriert sich auf Individuen, auf wenige Gegenstände und auf unerwartete Stillleben, etwa eine geheimnisvolle Lichtquelle hinter einer verschlossenen Tür oder im Garten zum Trocknen ausgelegte Wäsche. Es geht vor allem um atmosphärische Nuancierungen, wodurch ihr Werk als Vorbote von Richard Diebenkorn oder Giorgio Morandi erscheint.

Chronologisch angelegt, folgt die Ausstellung Schjerfbecks Weg von ihrer Ausbildung in Paris, welche nach dem Studium an der Finnish Art Society School of Drawing in Helsinki begann, bis zu ihren letzten Lebensjahren in Schweden. Sie dokumentiert ihre künstlerische Entwicklung von traditionellen, realistischen Motiven hin zu einer zunehmend reduzierten, klaren Bildsprache. 

Immer wieder spielen dabei autobiografische Themen eine Rolle. So zum Beispiel in „Die Genesende“ (1888), einem eindrucksvollen Gemälde, das im Pariser Salon gezeigt und kurz darauf von der Finnischen Kunstgesellschaft erworben wurde. Das Motiv des sich erholenden Kindes, zu dem Schjerfbeck mehrfach zurückkehrte, beruht auf selbst Erlebtem. Nach einem schweren Treppensturz im Alter von nur vier Jahren konnte sie längere Zeit nicht zur Schule gehen und behielt zeitlebens ein Hinken. Gerade aus dieser zurückgezogenen Lebenssituation entwickelte die Künstlerin zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine zunehmend abstrahierende Bildsprache.

Pflege und Malen hängen zusammen

1894 hatte die Finnische Kunstgesellschaft sie nach Wien und Florenz entsandt, wo sie Werke von Holbein, Velázquez, Fra Angelico, Fra Filippo Lippi und Giorgione kopierte. Sie begann an der Zeichenschule der Finnish Art Society zu unterrichten, musste diese Tätigkeit jedoch bereits 1901 krankheitsbedingt aufgeben. 1902 zog sie schließlich nach Hyvinkää, einer kleinen Eisenbahnstadt nördlich von Helsinki, um dort ihre alternde Mutter zu pflegen. 

Obwohl diese dem Talent ihrer Tochter nur wenig Begeisterung entgegenbrachte, nutzte Schjerfbeck sie wiederholt als Modell. Dazu kamen wenige andere Menschen aus ihrem Umfeld. Sie begann zu experimentieren, wie zum Beispiel im Gemälde „Fragment“ (1904), dessen Oberfläche durch das wiederholte Auftragen und Abkratzen von Farbschichten an abgenutzte Fresken erinnert. Es scheint, als spielte oder schälte sie ihre Subjekte frei. 

Formen, Farben und auch die Hintergründe, vor denen sie ihre Figuren platzierte, begannen sich zu vereinfachen. Ob die Abgeschiedenheit der ländlichen Umgebung ihre reduzierte, hochkonzentrierte Malerei erst ermöglichte, lässt sich nur vermuten. Die innere Ruhe und die fast verblasst wirkenden Farben scheinen jedenfalls wie von langen Wintern geprägt. Diese Atmosphäre spiegelt sich nicht nur in ihren Landschaften und Stillleben, sondern auch in der konsequenten Hinwendung zum eigenen Bild.

Blick auf sich selbst

Da Schjerfbeck zurückgezogen und bescheiden lebte und über keine professionellen Modelle verfügte, mag ihr Fokus auf Selbstporträts auch praktische Gründe gehabt haben. Zugleich stellt sich die Frage, ob diese Vielzahl an Bildern nicht ebenso eine Form der Selbstvergewisserung war, ein Nachweis der eigenen Existenz inmitten von Isolation.

Sicher ist, dass Schjerfbeck ab Mitte 40 einige ihrer berührendsten Werke schuf, darunter dutzende Selbstporträts. Nirgends zeigt sich ihr Blick auf das Wesentliche so eindringlich wie hier, wo sie ihr Altern in Etappen festhielt, parallel zu einem persönlichen Prozess seelischer Reifung. 

Im Unterschied zu den Porträts anderer, bei denen sie die Dargestellten bat, den Blick abzuwenden, um sich ganz auf das Zusammenspiel von Form, Licht und Raum zu konzentrieren, sind die Selbstbildnisse psychologisch aufgeladen. Ihr Blick richtet sich sowohl auf sich selbst als auch auf die Betrachtenden.

Unerbittliche Bilder des Alters

Die Ausstellung endet mit drei eindringlichen Gemälden aus dem Jahr 1945, die nur wenige Monate vor Schjerfbecks Tod entstanden. Sie war bereits über 80 Jahre alt – und diese Bilder wirken weniger analytisch als schonungslos. Ihre Augen und ihr Mund werden zu schwarzen Höhlen, die Nase ist nur angedeutet. 

Ebenso unerbittlich ist die Behandlung der Leinwand, auf der Reibspuren und Kratzer des Palettenmessers die Oberfläche bestimmen; so, als hätte sich in diesem Lebensabschnitt ihre ganze Wut auf Vergangenes oder die Vergänglichkeit selbst entladen. Im Vergleich zu ihren früheren Arbeiten wirken diese emotionalen Explosionen ungewöhnlich, und doch sind sie Ausdruck derselben Stärke, die ihr fast asketisch konzentriertes Lebenswerk erforderte. Die Retrospektive erreicht dabei zweierlei: Sie verankert ihr Werk überzeugend im Kanon der Moderne und hinterlässt einen cliffhanger, indem sie eine Künstlerin sichtbar macht, deren Tiefen noch zu ergründen sein werden.