Bei der Parlamentswahl im Vereinigten Königreich fährt die Labour-Partei eine überwältigende Mehrheit ein. Die Konservativen erleiden dramatische Verluste, Parteichef Rishi Sunak tritt zurück. Neuer Premierminister ist Keir Starmer. Daten und Infografiken zur Wahl im Überblick.

Politischer Erdrutsch im Vereinigten Königreich: Bei den vorgezogenen Wahlen am 4. Juli zur Neubesetzung des britischen Unterhauses haben sich großflächige Machtverschiebung ergeben. Die bisher oppositionelle Labour-Partei errang einen überwältigenden Wahlsieg.

Labour-Chef Keir Starmer löst Tory-Chef Rishi Sunak als Premierminister in der Londoner Downing Street ab. „Wir haben es geschafft!“, rif Starmer am Wahlabend jubelnden Anhängern zu. „Der Wechsel beginnt.“ Das britische Staatsoberhaupt, König Charles III., ernannte Starmer bereits am Tag nach der Wahl zum Premierminister und beauftragte ihn formell mit der Bildung einer neuen Regierung.

UKUnterhauswahl 2024

geografisch schematisch

Sunaks Konservative müssen nach 14 Jahren an der Macht herbe Verluste verkraften. Nach Auszählung fast aller Stimmen kommt Labour künftig auf 412 der insgesamt 650 Sitze im britischen Unterhaus. Damit sitzen künftig 211 mehr Labour-Abgeordnete im Parlament als bisher. Die Schwelle zur Mehrheit liegt bei 326 Sitzen.

Großbritanniens künftiger Premierminister Starmer kommt damit im Unterhaus ohne Koalitionspartner aus. Die gesicherte Mehrheit reicht aus, um auf komfortabler Grundlage eine stabile Regierung zu bilden.

„Heute schlagen wir das nächste Kapitel auf“, erklärte Starmer am Wahlabend vor jubelnden Anhängern. „Wir beginnen mit der Arbeit des Wandels, mit der Mission der nationalen Erneuerung und dem Wiederaufbau unseres Landes.“

Hinweis: Die Infografiken zur Unterhaus-Wahl 2024 werden laufend aktualisiert.

Die Konservativen werden künftig voraussichtlich nur noch 121 Abgeordnete im britischen Unterhaus stellen. Das sind 250 weniger als bisher. Die Auszählung der Stimmen zog sich die Nacht hindurch bis weit in den Tag nach der Wahl. Mit einem vorläufigen amtlichen Ergebnis aus allen landesweit 650 Wahlkreisen ist erst später im Tagesverlauf zu rechnen.

Die Wahllokale hatten in den vier Landesteilen England, Schottland, Wales und Nordirland am späten Donnerstagabend um 22.00 Uhr (Ortszeit, 23.00 Uhr MESZ) geschlossen. Schon mit den ersten Prognosen auf Basis der Nachwahlbefragungen zeichnete sich schnell ein klarer Wahlausgang ab.

Der amtierende Premier Rishi Sunak gestand die Wahlniederlage seiner Partei noch in der Nacht ein. Parteikollege Mel Stride zeigte sich ebenfalls zerknirscht: „Es ist ein sehr schwieriger Moment für die konservative Partei“, sagte das Kabinettsmitglied. Es wird erwartet, dass Sunak noch am Tag nach der Wahl bei König Charles III. seinen Rücktritt als Regierungschef einreicht.

Insgesamt waren am 4. Juli rund 46,6 Millionen registrierten Wahlberechtigten im Vereinigten Königreich dazu aufgerufen, die Machtbalance im britischen Unterhaus neu zu bestimmen. Auslöser der vorgezogenen Neuwahlen war eine überraschende Entscheidung des bisherigen Premiers Sunam, zugleich Parteichef der konservativen Tories.

Sunak suchte nach dem Kommunalwahl-Debakel Anfang Mai eine Art Befreiungsschlag – und leitete damit letztlich einen fundamentalen Machtwechsel auf den britischen Inseln ein. Um Sunaks Chancen auf eine Wiederwahl stand es bereits im Vorfeld der Wahl denkbar schlecht: In den Umfragen lag die oppositionelle Labour-Partei (Lab) bis zuletzt weit vor den regierenden Tories (Conservatives, Con).

Die rechtspopulistische „Reform UK“-Partei (Ref. UK) erzielte ebenfalls deutliche Zugewinne und geht mit einem prozentualen Stimmanteil von 14,3 Prozent als neue drittstärkste Kraft aus der Wahl hervor. Damit zieht die ehemalige Brexit-Partei mit dem Rechtspopulisten Nigel Farage an der Spitze erstmals mit vier Sitzen ins Unterhaus ein. Die britischen Grünen gewannen im Vergleich zu 2019 drei Sitze hinzu und stellen künftig ebenfalls vier Abgeordnete im Unterhaus.

Die Liberal-Demokraten, die gut 12 Prozent der Stimmen erhielten, werden am Tag nach der Wahl bei 71 Sitzen gesehen. Sie verbuchen damit ebenfalls kräftige Zugewinne.

Labour-Chef Keir Starmer gab sich nach seinem Wahlsieg bescheiden: „Sie haben gewählt. Jetzt ist es an der Zeit, dass wir liefern“, richtete er sich am Morgen nach der Wahl an seine Unterstützern. „An alle, die bei dieser Wahl für die Labour-Partei Wahlkampf gemacht haben, an alle, die für uns gestimmt und ihr Vertrauen in unsere gewandelte Labour-Partei gesetzt haben: Danke“, teilte er in einer ersten Stellungnahme mit.

Im Wahlkampf hatte Starmer unter anderem von einer „Chance für einen Wandel zum Besseren“ gesprochen. Wenn sich die Prognosen erhärten, könnte er bereits in wenigen Tagen als neuer britischer Premierminister die Regierungsgeschäfte übernehmen.

Nach 14 Jahren sei es an der Zeit für einen Wechsel, hatte Starmer im Vorfeld der Wahl für Labour geworben. „Stoppen Sie das Chaos“, hatte er den Briten im Wahlkampf zugerufen, „starten Sie ein neues Kapitel und beginnen Sie mit dem Wiederaufbau.“

Premier Sunak hatte sich dagegen vor allem bemüht, mit weitreichenden Steuersenkungen und einer harten Migrationspolitik um Stimmen zu werben. Zugleich präsentierte er sich als Garant für Sicherheit und wirtschaftliche Stärke.

Für weite Teile der britischen Öffentlichkeit waren die Jahre nach dem Brexit-Referendum von Unsicherheit, der Coronavirus-Pandemie, allgemeiner wirtschaftlicher Stagnation und stark steigenden Lebenshaltungskosten geprägt.

„Jetzt ist der Moment für Großbritannien gekommen“, hatte Sunak Ende Mai bei einer denkwürdigen Ansprache vor seinem Amtssitz in der Downing Street im strömenden Regen erklärt, „seine Zukunft zu wählen und zu entscheiden, ob wir auf den erzielten Fortschritten aufbauen wollen oder ob wir riskieren, ohne Plan und ohne Gewissheit zum Anfang zurückzukehren.“

Für den 44-jährigen Sunak war diese Wahl der erste echte Test auf nationaler Ebene. Im Oktober 2022 war er ohne Urnengang von den Tories zum Parteichef ernannt worden und anschließend zum Premier aufgestiegen. „Ich bin derjenige, der bereit ist, mutige Maßnahmen zu ergreifen“, beteuerte Sunak bei seiner Neuwahl-Ankündigung. „Ich habe einen klaren Plan und so werde ich Ihnen und Ihrer Familie Sicherheit bieten.“

Doch Sunaks Ankündigungen reichten offensichtlich nicht aus, das Ruder noch einmal herumzureißen. „Die Menschen in Großbritannien sehnen einen Wechsel herbei“, meinte der Parteichef der Liberaldemokraten (LibDem), Ed Davey. „Und diese Wahl ist unsere Chance, diesen endlich herbeizuführen.“ Die Umfragen vor der Wahl deuteten bereits auf eine sehr ausgeprägte Wechselstimmung hin.

Überraschend kommt das nicht: Die Liste der Skandale, politischen Pleiten und Verfehlungen der britischen Regierung unter Sunak ist lang. Die konservativen Tories sind im House of Commons, wie das britische Unterhaus offiziell heißt, seit der Labour-Niederlage unter Gordon Brown und dem Wahlsieg von David Cameron im Mai 2010 an der Macht.

Bei den regulär angesetzten Unterhauswahlen 2010 und 2015 konnte Camerons Tory-Lager die Mehrheit noch jeweils verteidigen – und selbst in Brexit-Wirren nach Camerons umstrittenem EU-Referendum und den außerplanmäßigen Neuwahlen im Juni 2017 und im Dezember 2019 konnten sich die Konservativen am Ruder halten.

Die britische Politik kam in dieser Zeit dennoch kaum zur Ruhe: Seit der Abstimmung 2016 über den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU haben die Briten bereits fünf Premierminister aus dem Lager der Konservativen erlebt.

Auf Cameron folgten Theresa May und später Boris Johnson, dann für wenige Wochen Liz Truss, bis schließlich Rishi Sunak als kurzfristig aufgestellter Ersatzkandidat im Herbst 2022 die Regierungsgeschäfte in der Downing Street Nr. 10 von Truss übernahm.

Fünf Premierminister seit 2016

Gründe für den Niedergang der Konservativen in der Wählergunst gibt es nach Einschätzung von Beobachtern viele. Vor allem die zahlreichen Skandale und Affären unter dem früheren Premierminister Johnson hätten das Vertrauen der Menschen in die Tory-Partei zerstört, heißt es. Die Konservativen stellten im Vereinigten Königreich die vergangenen 14 Jahre lang die Regierung.

Johnsons Nachfolgerin Liz Truss war zu kurz im Amt, um einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Und auch Rishi Sunak schien es nicht gelungen zu sein, das Ruder zugunsten der Tories herumzureißen. Bei den Kommunalwahlen im Frühjahr musste Sunak als Parteichef der Konservativen bereits empfindliche Verluste seiner Partei in der Fläche hinnehmen.

Bei den Parlamentswahlen am 4. Juli 2024 standen alle 650 Sitze im britischen Unterhaus zur Wahl. Gewählt wurde im gesamten Vereinigten Königreichs, also in England, Schottland, Wales und Nordirland. Je Wahlkreis gibt es ein Mandat zu gewinnen. Die 650 Mitglieder des Unterhauses repräsentieren jeweils ihren Wahlkreis.

UKUnterhauswahl 2024

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Auf den Landesteil England entfallen laut parlamentarischer Wahlkreiskommission 543 Abgeordnete (vormals: 533), Schottland entsendet künftig 57 (statt bisher 59), aus Wales kommen 32 (vorher 40) und Nordirland steuert weiterhin 18 „Members of Parliament“ bei. Anzahl und Zuschnitt der Wahlkreise – der sogenannten Constituencies – orientieren sich an den Bevölkerungszahlen.

Regulär gewählt für fünf Jahre

Nach britischem Wahlrecht entscheidet vor Ort die relative Mehrheit: Wählerinnen und Wähler haben jeweils nur eine Stimme zu vergeben. Wahlsieger in den 650 Wahlkreisen ist, wer dort die meisten Stimmen erhält. Die „Winner takes it all“-Regelung des Mehrheitswahlrechts begünstigt lokale Kandidaten und größere Parteien. Die lokalen Stimmanteile der unterlegenen Mitbewerber verfallen.

Gewählt wurden die Mitglieder des britischen Unterhauses für eine reguläre Amtsdauer von fünf Jahren. Wahlberechtigte mussten sich vorab ins Wahlregister eintragen lassen. Die Frist dafür endete diesmal am 18. Juni. Anschließend stand es Briten, Schotten, Walisern und Nordiren frei, am Wahltag im Wahllokal oder vorab per Briefwahl abzustimmen.

Abgehalten werden die Wahlen im Vereinigten Königreich traditionell an einem Donnerstag. Die Wahllokale öffneten am 4. Juli planmäßig um 7.00 Uhr (Ortszeit, 8.00 Uhr MESZ). Die Stimmabgabe endete erst am späten Abend um 22.00 Uhr (MESZ: 23.00 Uhr). Unmittelbar danach begann die Auszählung der Stimmen. Erste Teilergebnissen aus einzelnen Wahlkreisen lagen am frühen Morgen vor. Die Auszählung dürfte nach Einschätzung der BBC voraussichtlich am Freitagmorgen abgeschlossen sein.