Sie ist das unglücklich verliebte Mädchen, das in der Ballade „Wie?“ alles versucht, um einem Typen jeden Wunsch zu erfüllen, der sie überhaupt nicht verdient hat: „Ich zieh mich an für dich, aus für dich, geh für dich, lauf für dich!“ Sie ist aber auch die toughe Frau, die den wilden Dancetrack „Was mir gefällt“ zur Selbstermächtigungshymne werden lässt: „Glaub mir, Girl, du kannst alles schaffеn, was du willst/Dafür brauchst du kein’n Mann, dafür brauchst du nur dich!“
Ayliva: Pippi Langstrumpf und Annika zugleich
Wenn es so etwas gibt, wie das Erfolgsgeheimnis von Ayliva, die am Sonntagabend das erste ihrer drei Konzerte in der Stuttgarter Schleyerhalle gegeben hat, dann könnte es dieser Mix aus Verletzlichkeit und Entschlossenheit, aus Niedlichkeit und Härte sein, den man auch von Nina Chuba kennt. Ständig wechseln sich an diesem Abend die Gefühlslagen, immer werden neue Facetten der Persönlichkeit Aylivas hervorgehoben, die Pippi Langstrumpf und Annika zugleich zu sein scheint.
Die 27-Jährige, die eigentlich Elif Akar heißt, aus Recklinghausen kommt, in ihrem früheren Leben mal Philosophie, Germanistik und Soziale Arbeit studiert (und abgebrochen) hat, ist für die vielen Teenager-Mädchen in der Halle so was wie die beste Freundin, die große Schwester: die schon all das erlebt hat, was sie gerade selbst durchmachen; eine, die sich was traut und allen ihren Fans Mut macht, sich nicht unterkriegen zu lassen. „Ich will euch lachen sehen, ich will euch tanzen sehen, aber wir werden auch zusammen weinen“, sagt sie zu Beginn des Konzerts. Und all das wird an diesem Abend dann auch passieren.
R’n’B trifft Türkpop
Von den putzigen Videoeinspielern, in denen Ayliva zum verträumt-introvertierten Animemädchen wird, von den kreischenden Fans, vom Auftritt Lucas von „The Voice Kids“, von der manchmal etwas kitschigen Bühnendeko, der Vorliebe fürs Pathetische, darf man sich nicht täuschen lassen: Auf der Bühne steht eine sehr erwachsene Musikerin, die nicht zufällig schon vor drei Jahren im Vorprogramm Alisha Keys’ auftreten durfte. Sie wird in Stuttgart von sieben Tänzerinnen und Tänzern vor allem aber von einer großartigen vierköpfigen Band begleitet. Durch Songs wie „Lass mich gehen“ oder „Bei Nacht“ schimmert eine herrlich eigentümliche Melange aus R’n’B. Ayliva meistert souverän düster-rockige Nummern wie „Mörder“, inszeniert auf der Bühne kniend eine Art Duett mit ihrem Gitarristen, stellt in „Überlebt“ an einem mit rosaroten Rosen überzogenen Klavier sitzend die eigene Sensibilität aus, oder gleich zweimal in dem Dancetrack „Nein!“ den Widerspruch feiert.
Selbst als Ayliva während des Akustikteils kurz mal unterbrechen muss, weil ihr die Stimme wegbleibt, reagiert sie verblüffend professionell und bekennt sich ehrlich-unprätentiös zu ihrer Schwäche und arbeitet mit ihrer Heiserkeit anstatt sie zu überspielen. Ursprünglich sollten Aylivas Shows in Stuttgart bereits im Oktober stattfinden. Wegen Überlastung und Stimmproblemen hatte sie die Termine aber auf Dezember verschoben.
Soundtrack der Selbstermächtigung
Das grüne Glitzer-Outfit mit hohen weißen Stiefeln, in dem sie das Publikum am Sonntagabend in der Schleyerhalle mit einem „Stuuuttgart“-Ruf begrüßt, trägt sie auch zwei Stunden später noch, als sie den Zugabenteil mit „Deine Schuld“, ihrem allerersten Songs, der vor rund vier Jahren erschien, eröffnet. Als sie früh am Abend bei „Weißes Haus“ auf eine Leinwand ein großes P malt, hinter dem sich ein Hinweis auf den Nachfolger ihres Albums „In Liebe“ (2024) verbergen soll, der im kommen Jahr erscheint, behauptet sie:. „Vielleicht verkünde ich hier in Stuttgart den Titel meines neuen Albums.“ Doch als die Show kurz vor 22 Uhr zu Ende ist, hat sie das Geheimnis doch für sich behalten. Dafür gibt sie ihrem Publikum aber viel wichtigere Botschaften mit auf dem Heimweg. So sagt sie etwa: „Eine der wichtigsten Sachen im Leben, ist sich selbst vergeben zu können!“ Oder: „Egal was andere sagen, ihr müsst nicht perfekt sein!“ Oder: „Ich hoffe, dass ich euch mitgeben kann, dass ihr immer an euch glaubt!“ Solange Menschen wie Ayliva Vorbilder für junge Menschen sind, muss man sich um die Zukunft keine Sorgen machen.
Ayliva in Stuttgart – Tickets und Termine
Gleich dreimal tritt Ayliva in Stuttgart in der Schleyerhalle. Nach dem Konzert am 21. Dezember stehen noch Konzerte am Montag, 22. Dezember, und am Dienstag, 23. Dezember, auf dem Programm. Beginn ist jeweils um 19:45 Uhr. Für die Konzerte gibt es hier noch Resttickets.