Als Carlos Schönig (24) und Felix Manthey (25) ihre erste Geschäftsidee festhalten, sitzen sie nicht in einem Coworking-Space mit Laptops, sondern in einer verrauchten Billardkneipe. Bier auf dem Tisch, ein Bierzettel als Notizblock. Darauf: ein paar Schlagworte wie „E-Commerce“ und „Affiliate Marketing“, große Pläne, wenig Gewissheit. Schönig ist damals 17, Manthey 18. „Wir wollten einfach loslegen“, sagt Schönig heute. „Uns war früh klar: Wir wollen etwas Großes machen im Leben.“
Gesagt, getan. Es folgen lange Arbeitstage und kurze Nächte. Die beiden jungen Gründer aus Stuttgart arbeiten sich mit Fleiß und Ehrgeiz nach oben. Heute – mit Mitte 20 – stehen sie vor ihrer bislang größten Aufgabe: Sie wollen mit ihrer in Stuttgart gegründeten Firma Globalist die Traditionsmarke Gerry Weber im Netz neu aufstellen. Dafür gehen sie viel Risiko ein: Der Weg dorthin war alles andere als geradlinig.
Kennengelernt haben sich die beiden in der Schule in Crailsheim. Der Kontakt reißt zeitweise ab, mit 17 finden sie wieder zusammen. Statt lange zu überlegen, probieren sie aus. Sie importieren Produkte, bauen erste Online-Shops, verkaufen unter anderem sogenannte Bento-Boxen – japanische Brotdosen. Nach dem ersten Jahr ist ein Großteil des Startkapitals weg. Erfahrung gewonnen, Geld verloren.
Zwei Unternehmer aus Stuttgart wollen Gerry Weber im Netz neu aufstellen
Sie machen trotzdem weiter. Die beiden wechseln ins Dienstleistungsgeschäft, konzentrieren sich auf Online-Marketing, Werbung und den Aufbau von Shops für andere Unternehmen. Daraus entsteht die Agentur Globalist. Schritt für Schritt wächst das Unternehmen, gewinnt Kunden über die Region hinaus, arbeitet für große Budgets auf Plattformen wie Google und Meta. „Wir haben einfach sehr viel gearbeitet“, sagt Schönig. „Nicht unbedingt smarter als andere – aber konstant.“
Hat sich mit sich mit Fleiß und Ehrgeiz nach oben gearbeitet: Carlos Schönig Foto: Globalist
Neben dem Firmenaufbau zieht Carlos Schönig sein Maschinenbaustudium durch. Aber wenn die Kundschaft ruft, muss er auch mal spontan den Hörsaal verlassen. Die Professoren zeigen Verständnis für den ambitionierten Jungunternehmer. Vorlesungssaal und wachsende Firma vereinbaren: „Das war schon fordernd“, sagt Schönig im Rückblick. „Mitarbeiter führen und gleichzeitig Prüfungen schreiben – das macht man nicht nebenbei.“
Gründer loben den Standort: „Stuttgart ist mehr Sein als Schein“
Beide Gründer kommen aus dem Raum Crailsheim – doch sie wählen die Landeshauptstadt bewusst als Firmensitz. „Stuttgart ist mehr Sein als Schein, mehr Substanz als Show“, findet Schönig. Auch die schwäbische Mentalität passe. Die Nähe zu Industrie, Familienunternehmen und Mittelstand habe geprägt. „Anpacken, langfristig denken – das passt zu uns“, sagt er.
Globalist bleibt nicht nur Agentur, sondern wird strategischer Partner und Investor. Die Idee: Marken übernehmen oder begleiten, die im digitalen Geschäft Nachholbedarf haben. „Wir bringen alles mit, was es braucht, um im E-Commerce schnell voranzukommen“, erklärt Schönig. Technik, Marketing, Logistik, Finanzplanung – gebündelt an einem Ort.
Gründer bekommen Frust früherer Kunden von Gerry Weber zu spüren
So kommt es zur Zusammenarbeit mit der spanischen Victrix-Gruppe. Sie hat die Marke Gerry Weber aus der Insolvenz gekauft – nicht das Unternehmen, nicht die Filialen. Die Geschäfte sind geschlossen, das frühere Unternehmen abgewickelt. Übrig ist der Name, die Bekanntheit, die Geschichte. Genau darin sehen Schönig und Manthey ihre Chance.
Felix Manthey will das Vertrauen der Gerry-Weber-Kundschaft zurückgewinnen. Foto: Globalist
Seit Anfang November ist der neue Online-Shop für Deutschland, Österreich und die Schweiz live – gesteuert aus Stuttgart. Gerry Weber ist zunächst eine reine Online-Marke. „Manche Kundinnen haben mit Gerry Weber in einem schlechten Licht abgeschlossen“, sagt Schönig. Insolvenz, verlorene Gutscheine, Unsicherheit. „Unsere erste Aufgabe ist es, wieder eine Vertrauensbrücke zu bauen.“
Unternehmer-Duo aus Stuttgart will Vertrauen bei Kunden von Gerry Weber neu aufbauen
Die Fragen seien oft ganz grundlegend: Kommt meine Ware? Funktioniert die Retoure? Ist das seriös? Vertrauen entstehe nicht durch große Versprechen, sondern durch Service, Kulanz und Zuverlässigkeit. „Wir reichen den Kundinnen die Hand“, sagt Manthey. Die Reaktionen seien bislang gemischt, aber überwiegend positiv. Viele frühere Kundinnen meldeten sich erleichtert zurück.
Im Zuge des Verkaufs wurden alle „ Gerry Weber“-Shops geschlossen. Foto: imago/Wolfgang Maria Weber
Parallel arbeite Victrix mit ehemaligen Gerry-Weber-Designern an neuen Kollektionen. Schnitte und Qualität sollen bleiben, der Auftritt moderner werden – behutsam, ohne Bruch. Neue Kundinnen sollen über neue Produkte kommen, nicht über Nostalgie.
Von Stuttgart aus: Gelingt das Online-Comeback von Gerry Weber?
Wirtschaftlich sei es noch früh für große Aussagen. Aber die Richtung stimme. „Es läuft gut an“, sagt Firmengründer Schönig. Ob das Online-Comeback von Gerry Weber dauerhaft gelingt, ist offen. Der Modehandel steht unter Druck, der Neustart einer Marke ist kein Selbstläufer. Dass Mode nicht nur digital funktioniert, weiß Co-Gründer Manthey auch – aus eigener Erfahrung. Seine Eltern betreiben bis heute zwei klassische Bekleidungsgeschäfte. „Der stationäre Handel wird nicht verschwinden“, sagt er. Aber er verändere sich – und müsse heute anders gedacht werden.