Die Kommission teilte mit, von den US-Behörden Klarstellungen erbeten zu haben. Falls erforderlich, werde man „schnell und entschieden“ reagieren, „um unsere Regulierungsautonomie gegen ungerechtfertigte Maßnahmen zu verteidigen“, so die Stellungnahme, ohne konkret zu werden. Denkbar sind Einschränkungen bei der Zusammenarbeit oder wirtschaftliche Gegenmaßnahmen.
Weiter hieß es: „Unsere digitalen Regeln sorgen für einen sicheren und fairen Wettbewerb für alle Unternehmen und werden ohne Diskriminierung angewendet.“ Die Meinungsfreiheit gehöre zu den grundlegenden Rechten in Europa und sei ein Wert, den man mit den USA und anderen Demokratien teile. Binnenmarktkommissar Stephane Sejourne erklärte: „Keine Sanktion wird die Souveränität der europäischen Völker zum Schweigen bringen.“
USA sehen Zensur von Onlineplattformen
Am Dienstag (Ortszeit) hatte US-Außenminister Marco Rubio erklärt, dass die US-Regierung Visasperren für „radikale Aktivisten“ und Vertreter von „instrumentalisierten“ Nichtregierungsorganisationen verhängt. Den Betroffenen wird vorgeworfen, an der Zensur von US-Onlineplattformen beteiligt gewesen zu sein.
Die Betroffenen hätten „organisierte“ Anstrengungen unternommen, so Rubio, um die Plattformen zu zwingen, von ihnen abgelehnte US-Standpunkte zu zensieren, Einnahmequellen zu entziehen und sie zu unterdrücken. Unter US-Präsident Donald Trump werde die US-Regierung „exterritoriale Zensur“ nicht länger tolerieren und Einreiseverbote gegen „führende Persönlichkeiten des globalen Zensurindustriekomplexes“ einführen. Man sei bereit, die Liste zu erweitern.
Neuer Stresstest für Beziehungen EU – USA
Die Maßnahme ist Teil einer Kampagne der US-Regierung gegen den Digital Services Act (DSA) der EU. Washington wirft der EU vor, damit die freie Meinungsäußerung zu unterdrücken und US-Technologiefirmen zusätzliche Kosten aufzuerlegen. Die Sperren folgen auf die jüngste Veröffentlichung der Nationalen Sicherheitsstrategie der US-Regierung. Darin wird behauptet, europäische Politiker würden die freie Meinungsäußerung zensieren und damit die „zivilisatorische Auslöschung“ des eigenen Kontinents zu riskieren.
Ex-EU-Kommissar unter Betroffenen
Der prominenteste Betroffene ist der frühere französische Manager Breton, der von 2019 bis 2024 EU-Binnenmarktkommissar war und als Architekt des DSA gilt. Zudem sind Imran Ahmed, der britische Chef des in den USA ansässigen Center for Countering Digital Hate (CCDH), sowie die Gründerinnen der deutschen Organisation HateAid, Anna-Lena von Hodenberg und Josephine Ballon, betroffen. Die fünfte Person ist Clare Melford, Mitbegründerin des Global Disinformation Index (GDI). Die Organisationen setzen sich gegen Hass und Desinformation im Internet ein.
Breton verglich die Sanktionen mit der „Hexenjagd“ auf vermeintliche Kommunisten zu Zeiten der McCarthy-Ära in den USA. Auf der Plattform X schrieb er: „An unsere amerikanischen Freunde: Die Zensur findet nicht dort statt, wo ihr sie wähnt.“ Er und die französische Regierung erinnerten daran, dass der DSA vom EU-Parlament und allen EU-Mitgliedsstaaten mit großer demokratischer Mehrheit beschlossen worden sei, damit im Netz kein rechtsfreier Raum entstehe.
„Völker Europas sind frei und souverän“
Das Gesetz finde in den USA auch gar keine Anwendung, sagte Frankreichs Außenminister Jean-Noel Barrot. „Die Völker Europas sind frei und souverän und lassen sich von anderen keine Regeln für ihren digitalen Raum aufzwingen“, so Barrot auf X. Deshalb verurteile Frankreichs Regierung die Sanktionen. „Diese Maßnahmen kommen Einschüchterung und Zwang gleich, die darauf abzielen, die europäische digitale Souveränität zu unterwandern“, schrieb Macron auf X.
Kritik kam auch vom deutschen Außenminister Johann Wadephul und der deutschen Justizministerin Stefanie Hubig: Die Einreiseverbote für die Geschäftsführerinnen von HateAid seien nicht akzeptabel. HateAid unterstütze Betroffene, aber die Organisation selbst verbiete keine Meinungsäußerungen, so Hubig. Sie leiste einen wichtigen Beitrag dazu, dass Persönlichkeitsrechte im digitalen Raum geschützt werden. „Wer das als Zensur bezeichnet, stellt unser rechtsstaatliches System falsch dar“, fügte sie hinzu.
„Akt der Repression“
Von Hodenberg und Ballon erklärten in einer Stellungnahme, die Sperren seien ein Versuch, die Durchsetzung europäischen Rechts bei in Europa tätigen US-Konzernen zu behindern. „Wir sind nicht überrascht. Es ist ein Akt der Repression einer Regierung, die zunehmend Rechtsstaatlichkeit missachtet und versucht, ihre Kritiker mit aller Härte zum Schweigen zu bringen.“
HateAid werde seine Arbeit als Beratungsstelle mit aller Kraft fortsetzen. „Wir solidarisieren uns mit allen weiteren Betroffenen und allen, die nun ähnliche Maßnahmen befürchten müssen.“ Die Organisation bietet Menschen, die im Internet bedroht oder angegriffen werden, psychologische und rechtliche Unterstützung an. Im Oktober wurde von Hodenberg für ihre Arbeit mit dem deutschen Bundesverdienstorden ausgezeichnet.
EU-Strafe gegen Musk als Auslöser?
Hintergrund des nunmehrigen Schritts ist wohl auch eine Entscheidung der EU-Kommission, wonach die Plattform X des Milliardärs Elon Musk wegen Transparenzmängeln eine Strafe von 120 Mio. Euro zahlen muss. Die Entscheidung löste heftige Reaktionen in Washington aus. Rubio kündigte danach an, die Tage der Onlinezensur für US-Bürger und -Bürgerinnen seien vorbei.
Neue Strafe läutet letzte Runde ein
Musk hatte das CCDH vergangenes Jahr als „kriminelle Organisation“ bezeichnet. Das CCDH hatte die von ihm verbreitete Behauptung, Trump solle durch Betrug bei der US-Präsidentenwahl um den Sieg gebracht worden sein, als Desinformation eingestuft. Der Brite Ahmed lebt CCDH zufolge in Washington, ihm soll nun die Abschiebung drohen.
Im Falle des Global Desinformation Index hatte Musk die Schließung der Organisation gefordert, die unter anderem vor den Risiken generativer künstlicher Intelligenz warnt – ein wichtiges Geschäftsfeld des Tech-Milliardärs. Die Organisation entlarvte auch Verschwörungsmythen rund um das Attentat auf Trump im Juli 2024. Die UNO-Kulturorganisation (UNESCO) stuft den GDI als „neutral, unabhängig und transparent“ ein.
Ein Sprecher des GDI kritisierte das Vorgehen der USA als unmoralisch, ungesetzlich und unamerikanisch. Es handle sich um einen autoritären Angriff auf die freie Meinungsäußerung. Melford hatte 2024 erklärt, sie habe den GDI mit dem Ziel mitgegründet, das Geschäftsmodell von schädlichen Onlineinhalten zu durchbrechen.