Der Schwäbische Architekten- und Ingenieurverein hat sich Augsburgs Innenstadt unter dem Gesichtspunkt der „emotionalen Stadt“ angesehen und dazu mehrere Stadtspaziergänge gemeinsam unternommen. Was genau macht die emotionale Bindung eines Bürgers an seine Stadt aus?
BÜ PRECHTER: Dazu möchte ich etwas ausholen. Die Vision der „emotionalen Stadt“ greift die Bedürfnisse des Menschen direkt auf. Sie stellt den Menschen in den Mittelpunkt jeglicher Planung und sagt, es geht nicht nur um Funktionen wie beispielsweise Handel oder Verkehr, sondern um den Menschen selbst mit alledem, was er in seiner Stadt braucht. Das ist zum Beispiel bezogen auf den öffentlichen Raum vielerlei. Der Mensch will einerseits kommunizieren, aber er sucht auch Orte für den Rückzug. Gelingt eine auf den Menschen bezogene Stadtplanung, dann stellen sich bei den Bürgerinnen und Bürgern Zufriedenheit, Akzeptanz und Identifikation ein. Es wird „meine Stadt“ – die Stadt, in der ich mich wohlfühle, die ich mag, für die ich mich selbst im besten Fall engagiere. Das heißt nicht, dass alles perfekt sein muss. Den Partner, die Kinder und Freunde liebt man ja auch mit all den Stärken und Schwächen.
Wie haben Sie Augsburg nun konkret unter die Lupe genommen?
PRECHTER: Eine Gruppe von circa 20 Leuten unseres Vereins ist in diesem Herbst im Wechsel spazieren gegangen und hat sich frequentierte Orte und Plätze in der Innenstadt angesehen. Wir sind alle vom Fach. In einer Gruppe von Kollegen fällt der Blick auf Orte anders aus, weil man sich Zeit nimmt und gemeinsam über die Eindrücke diskutiert. Diese Erkenntnisse haben wir schriftlich zusammengefasst.
Das Container-Grün in der Karolinenstraße fiel Ihnen zum Beispiel unangenehm auf.
PRECHTER: Die Neugestaltung der Karolinenstraße mit den breiteren Gehwegen fiel uns grundsätzlich positiv auf. Aber das Grün in den großen Kübeln ist in unseren Augen nur Dekoration. Besser wären dort richtige Stadtbäume als nachhaltige Lösung. Natürlich wissen wir, dass unter der Erde jede Menge Sparten liegen, aber andere Städte machen es uns vor und legen die Sparten beim Straßenumbau zusammen.
Und jetzt kurz für die Nicht-Architekten: Sie weißen auf die Versorgungsleitungen unter der Straße hin, die Kabel und Kanäle, die oft breit gefächert unter der Oberfläche laufen.
PRECHTER: Ja, man könnte diese Sparten beispielsweise vertikal anordnen. Das macht Mailand. Hiermit gewinnt man neuen wertvollen Wurzelraum für Klimabäume.
Eine Anregung also für Augsburg. Warum haben es die Bäume im Stadtraum so schwierig?
PRECHTER: Zu den schon angesprochenen Ver- und Entsorgungsleitungen unter der Erde kommen noch einige Stressfaktoren wie Versiegelung, Hitze, Tausalz und Vandalismus dazu.
Wo wir bei einem wichtigen Thema der emotionalen Stadt sind – Stichwort Klimaresilienz. Wo herrscht da in Augsburg Verbesserungsbedarf?
PRECHTER: Zum Glück findet sich in Augsburgs Innenstadt relativ viel Straßenbegleitgrün, beispielsweise in der Bahnhofstraße, der Konrad-Adenauer-Allee oder der Gögginger Straße. Mitunter ist dessen Zustand aber schlecht. Parallel zur Diskussion um Neupflanzungen sollten wir deshalb auch über den Erhalt des Stadtgrüns sprechen. Die Bäume in der Stadt, fast alle in der Nachkriegszeit gepflanzt, sind jetzt ca. 70 Jahre alt und schon lange besonderen Stressfaktoren ausgesetzt, beispielsweise wenn der Asphalt von allen Seiten bis fast an die Stämme heranreicht. Das könnte man verbessern, etwa indem auf Gehwegen großflächig Pflaster mit einem hohen Fugenanteil verlegt wird. Es sind also zwei Dinge zu tun: Neues Grün in die Stadt zu bekommen und den Bestand zu erhalten. Gelingt dies, verbessert das nicht nur das Stadtklima, es steigert auch die Aufenthaltsqualität. Wo Schatten ist, hält sich der Mensch lieber auf. An dritter Stelle sollten wir unnötig asphaltierte Flächen entsiegeln, wie beispielsweise an der Jakoberstraße.
Und damit zu Augsburgs Prachtstraße, der Maximilianstraße. Sie schlagen einen radikalen Schnitt vor?
PRECHTER: Die Maximilianstraße hat ein Wahnsinnserscheinungsbild. Sie ist einfach großartig. Aber man darf sie jedoch nicht nur mit heutigen Augen sehen. Früher bestand die Maximilianstraße aus einer Abfolge von Plätzen. Mittig standen unterschiedliche Häuser, die der Straße einen Rhythmus gegeben haben. Heute erkennt man, wie schwierig es ist, mit dieser breiten Straße umzugehen. Wir schlagen vor, den Verkehr rauszunehmen, also auch die Straßenbahnlinie, die ja nur für den Einrückverkehr genutzt wird. Damit böten sich viele Möglichkeiten für die Umgestaltung. Wenn man sich an der Historie orientieren und von der Sichtachse lösen würde, hätten dort Bäume und neue Einzelgebäude Platz. Das würde einen neuen sozialen Raum, einen Ort der Kommunikation, mitten in der Stadt schaffen. Das wäre ein ganz wesentlicher Befreiungsschlag für unsere Prachtstraße. Derartige Veränderungen sind aus unserer Sicht über einen städtebaulichen Wettbewerb zu klären.
Und wie könnte die Straße dann genutzt werden?
PRECHTER: Ich könnte mir zum Beispiel gut vorstellen, den Christkindlmarkt in diese Kulisse zu setzen, aber auch andere Märkte, Bühnen, Kulturleben und Begegnungsorte. Die Maximilianstraße birgt einen breiten Fächer an Potenzialen für eine zukunftsorientierte Innenstadtentwicklung in sich.
Dann gehen wir noch einmal weiter durch die Stadt. Unterhalb der Dominikanerkirche haben Sie einen regelrechten Unort ausgemacht. Was stört Sie dort?
PRECHTER: Wenn man vom Holbeinplatz kommend in Richtung Bäckergasse läuft, schlängelt man sich entlang des Stadtbachs. Plötzlich öffnet sich der Blick auf die Rückseite der Dominikanerkirche in Form eines unerwarteten Maßstabsbruchs. Genau dort hört ebenso unerwartet wie unverständlich die Straßensanierung auf. Hier sollte der Anschluss an die neu gestaltete Bäckergasse hergestellt werden, verbunden mit der Chance für eine Neuinszenierung der Rückseite der Dominikanerkirche. Auch die Öffnung des Kanals an einer gänzlich banalen Stelle sollte gestalterisch gelöst werden.
Stichwort Dominikanerkirche. Dort war ja früher das Römische Museum beheimatet, das nun ins Domviertel verlegt werden soll. Aus Ihrer Sicht eine gute Entscheidung?
PRECHTER: Unsere Kritik ist ganz generell als Anregung und als Aufforderung zur Diskussion zu sehen. Wir glauben, dass man in Augsburg ein noch zu geringes Qualitätsbewusstsein in den öffentlichen Raum legt. Es gibt Stellen in Augsburg, da ist alles schön und fein gemacht, mit gutem Pflaster beispielsweise. Aber die zentrale Frage, was der Mensch dort machen möchte, bleibt oft unbeantwortet. Und genau auf diese kommt es aber an. Gelungene Urbanität definiert sich nicht am Bild der Stadt, sondern an der Genauigkeit, mit der im öffentlichen Raum die Gefühle und Bedürfnisse der Menschen angesprochen werden.
Bitte jetzt ein Beispiel, wie sich das äußern würde.
PRECHTER: Da fällt mir sofort das Ölhöfle hinter dem Alten Stadtbad ein. Das ist ein sehr idyllisches Kleinod, das gänzlich unter Wert für die Bewohnerschaft genutzt wird. Gerade auch in Hinblick auf unser Welterbe könnte das Wasser erlebbar gemacht werden. Dort könnten Menschen am Wasser sitzen und entspannt verweilen. In der Innenstadt findet sich kaum ein Ort, an dem Menschen direkt am Wasser sitzen können. Aber dafür müssten wir Stadtplanung mehr in Richtung „emotionale Stadt“ denken, also die Bedürfnisse der Menschen mehr fokussieren. Unser Dossier zu den Stadtspaziergängen zeigt eine Reihe solcher Vorschläge auf. Wir vom SAIV möchten gern etwas anstoßen in unserer schönen Stadt.
Wenn Sie die Möglichkeit hätten, Ihre drei wichtigsten Projekte in der Stadt zu verwirklichen, was würden Sie angehen?
PRECHTER: Ich spreche da jetzt nur für mich, nicht für den ganzen SAIV. Ich würde als Erstes die Maximilianstraße angehen. Und damit einhergehend würde ich den Rathausplatz neu denken und zur Diskussion stellen.
Was würden Sie beim Rathausplatz zur Diskussion stellen?
PRECHTER: Ich finde den Platz zu groß. Dazu ist er topografisch überwölbt, was seine optische Wirkung schmälert. Ich könnte mir vorstellen, einen Teil zu bebauen. Dort könnte ein gut gemachter Pavillon vielleicht in Verbindung mit Bäumen entstehen für die Städtetouristen. Der Tourismus in Augsburg darf ruhig noch stärker betrieben werden, auch als Einnahmequelle, aber auch als Funke der Lebendigkeit. Wenn ich die Touristen bei Regenwetter vor der Bürger-Info am Rathausplatz sehe, tun sie mir jedes Mal leid. Wo ist die Willkommensgeste in Augsburg?
Und gäbe es noch eine dritte Baustelle?
PRECHTER: Ja, ein gut gemachter Spielplatz für die Altersklasse um die zehn Jahre unter den Bäumen am Königsplatz – ein Ort, wo Kinder klettern und balancieren können, fehlt. Unter den Bäumen versucht man schon seit Jahrzehnten, einen Rasen zu etablieren, was auf lange Sicht nicht wirklich befriedigend funktioniert. Stattdessen wäre ein robuster Belag, auf dem Kinder toben können, sinnvoller. Und wir dürften mitten in der Stadt erleben, dass es in Augsburgs Innenstadt fröhliche Kinder gibt, die hier eine coole Bleibezone gefunden haben, während die Eltern in Ruhe Kaffee trinken und Erwachsenendinge besprechen.

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Die Landschaftsarchitektin Bü Prechter.
Foto: Barbara Gandenheimer
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Die Landschaftsarchitektin Bü Prechter.
Foto: Barbara Gandenheimer
Zur Person
Die Landschaftsarchitektin Bü Prechter ist seit 2023 erste Vorsitzende des Schwäbischen Architekten- und Ingenieursvereins (SAIV). Der Verein veranstaltet am 10. Januar ein ganztägiges Symposium von 9.30 Uhr bis 18 Uhr zum Thema „Die emotionale Stadt“ im Karo 10 (Karolinenstraße 10 in Augsburg). Unter anderem geht es darum, was Augsburg von Städten wie Ulm und Regensburg lernen kann und welche soziale Bedeutung der öffentliche Raum hat.
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