Jede Rückkehr ans Düsseldorfer Schauspielhaus, sagt Lou Strenger, sei ein bisschen wie das Wiedersehen mit der Familie an Weihnachten. „Total schön, weil man es vermisst hat und eine Vertrautheit spürt, etwa Heimeliges. Gleichzeitig begegne ich dabei immer auch einer alten Vision von mir selbst.“ Denn dann tauchen Erinnerungen an das Jahr 2016 auf. „Ich kam frisch von der Schauspielschule ans Theater“, erzählt sie, „alles war am Anfang und noch so vieles unklar. Werde ich besetzt? Was darf ich spielen? Kann ich von dem Beruf leben?“ Aber gleich ihr Start als Julia in „Romeo und Julia“ glückte.

Ein Jahrzehnt später befindet sich Lou Strenger an einem anderen Punkt ihrer Karriere. Nach gefeierten Produktionen wie „Die Dreigroschenoper“, „Der Sandmann“ „Alice“, nach Klassikern wie „Don Karlos“, „Der Kaufmann von Venedig“ und zahlreichen Preise für ihre Schauspielkunst hat Lou Strenger sich 2019 entschlossen, das Ensemble zu verlassen. Das merkte zunächst kaum einer, weil sie nach wie vor auf der Düsseldorfer Bühne präsent war und es bis heute ist. Am Sonntag, 28. Dezember, spielt sie wieder Sally Bowles in „Cabaret“, einen Tag später ihr grandioses Solo im Gerichtsdrama „Prima Facie“. Ein Kraftakt über anderthalb Stunden. „Ich weiß gar nicht, ob ich zu dieser Rolle je einen Zugang gefunden habe“, räsoniert sie. „Es gibt da wohl einen Teil in mir, der sich schützt. Schon morgens spüre ich eine hohe Konzentration, ich weiß, ich muss am Abend etwas gebären. Das kann nur gelingen, wenn ich ganz viele Schleusen öffne.“ Nur wenige Figuren forderten eine derartige Hingabe. Sie erlebe Momente, die nicht wirklich rational seien: „Da ist mein Text, da ist mein Publikum. Und los geht’s. Eine komplette Auslieferung.“

Für ihre Rolle in der „Cabaret“-Inszenierung von André Kaczmarczyk musste sie anfangs einiges einstecken. Keinesfalls aus künstlerischer Sicht, die Kritik zielte höchst unfair auf ihr Aussehen. Inzwischen fühlt sie sich wohl und angenommen. „In Sally habe ich meinen Schutzschild gefunden“, begründet Lou Strenger. „Die rannte ins offene Messer und hatte auch keinen Schutz. Keinen Mann, keinen Club, kein Geld. Wofür sie brannte, war die Bühne. Das kann ich jedes Mal mitnehmen in dieses Heimspiel.“ Das Stück, so viel steht fest, wird vom neuen Intendanten Karlaganis in der Spielzeit 2026 übernommen, ebenso „Der Sandmann“. Sie freut sich über diese Fortsetzung, bangt aber dem Abschied von vielen Kollegen entgegen, den jeder Intendantenwechsel mit sich bringt: „Das wird krass. Wenn ich dann nach Düsseldorf komme, werden viele nicht mehr da sein.“

Ihren eigenen Abschied bedauert Lou Strenger nicht. „Ich bin extrem freiheitsliebend und nicht so gut in festen Strukturen“, sagt sie. „Im Herzen fühle ich mich als Nomade. Stecke ich irgendwo vier Tage fest, kribbelt es schon wieder, und ich möchte losziehen. Dass ich das nun ausleben kann in meinem Beruf, gefällt mir unglaublich.“

Es sind aber auch spannende Aufgaben, die auf sie zukamen. Und neue Auszeichnungen, etwa für den Kinofilm „Seid einfach wie ihr seid“. Für ihre Rolle in „Wer ohne Schuld ist“ gab es 2025 den Deutschen Fernsehpreis in der Kategorie „Beste Schauspielerin“. Sie drehte Serien wie „Höllgrund“ und „David und Goliath“, spricht Hörspiele und Hörbücher ein, gehört zum Team der „Heute Show“ im ZDF. Jüngster Coup ist der Münsteraner „Tatort“: In ihrer Rolle als Staatsanwältin ist sie Nachfolgerin von Mechthild Grossmann. Die erste Folge ist abgedreht. „Meine persönliche Note wird sich erst noch entwickeln“, deutet Lou Strenger an. „Neue Generation, neue Sitten.“

Die vielen Dreharbeiten beflügeln sie. Kaum vorstellbar, dass daneben noch etwas Platz hat. Doch Lou Strenger überrascht auch hier. Sie schloss eine intensive und fordernde Ausbildung als Therapeutin ab, behandelt Patienten mit psychosomatischen Symptomen, gibt Lebenshilfe. „Das Schauspielerische und das Therapeutische verbindet, dass der Mensch im Fokus steht“, erklärt sie, „man will ihn ergründen und verstehen. Dabei wachse ich innerlich.“ Sie lacht. „Ich lerne halt gern. Stillstand ist nichts für mich.“