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Die erfahrene Stadtführerin Grit Ranft zeigt ihre ganz persönlichen Lieblingsplätze zwischen versteckter Kunst, kulinarischen Geheimtipps und stillen Straßenzügen.
München– Es ist Mittwoch, kurz vor Mittag. Zwischen Obstständen und Blumen riecht es nach frischem Brot, Stimmen mischen sich, Kisten klappern. Grit Ranft geht zügig voran, kennt den Weg, kennt den Rhythmus des Viktualienmarkts.
Grit Ranft ist eine Insiderin in München: Als Stadtführerin kennt sie die Geheimtipps der Metropole. © Grit Ranft
Die 56-Jährige lebt seit 25 Jahren in der bayerischen Metropole – und ist längst mehr als eine gewöhnliche Bewohnerin. Sie kennt München bis in seine verstecktesten Winkel, hat jedes Viertel erkundet und schätzen gelernt. 2014 wagte die Diplomkauffrau den beruflichen Neustart und ließ sich zur offiziellen Gästeführerin ausbilden. Seither hat sie unzählige neue Orte entdeckt und ihre ganz persönlichen Lieblingsplätze gesammelt. Einige ihrer Geheimtipps zeigt sie nun unserer Redaktion.
Von Markttrubel zu Wildgenuss
Ranft bleibt vor einem kleinen Stand in der Metzgerzeile stehen. Zwischen all den Klassikern des Viktualienmarkts wirkt die Wildmetzgerei „Wilde Zeiten“ fast unscheinbar. „Hier kaufe ich auch privat ein“, sagt sie. Drinnen ist es eng, familiär, man kennt sich. „Es ist einfach immer nett hier“, sagt Ranft. Viele Stammkunden kommen vorbei – ab und zu auch einfach nur zum Quatschen, hinter der Theke arbeitet nur eine Handvoll Mitarbeiter. Das Besondere: Verkauft wird ausschließlich Wildfleisch aus eigener und regionaler Jagd – Hirsch, Reh, Gams oder Wildschwein, keine Massentierhaltung, keine Zucht. „Hier sieht kein Stück aus wie das andere“, erklärt Inhaberin Sabine Kroiß. Gemeinsam mit ihrem Bruder Christian führt sie den Betrieb, er ist Koch und bereitet Wildgerichte wie Gulasch oder Bolognese frisch zu, die im Glas verkauft werden. Für den schnellen Genuss gibt es Wildpflanzerl- oder Wildleberkässemmeln to go. „Der Stand unterscheidet sich deutlich von klassischen Metzgereien“, erklärt Ranft. Tierwohl spiele hier eine zentrale Rolle – genau das schätze sie besonders. Aktuell läuft am Viktualienmarkt der Winterzauber: Mehrere Stände beteiligen sich mit saisonalen Angeboten, teils verlängerten Öffnungszeiten und einer gemeinsamen Sammelaktion mit Verlosung – auch „Wilde Zeiten“ ist dabei.
Der erste Geheimtipp: Grit Ranft (re.) empfiehlt die Wildmetzgerei „Wilde Zeiten“ von Sabine Kroiß. © Anastasia Bondarenko
Danach geht es weiter. Raus aus der Metzgerzeile, vorbei am Stimmengewirr, entlang am wuseligen Treiben des Viktualienmarkts. Die Stadtführerin läuft zielsicher, biegt ab, wechselt die Straßenseite. Mit jedem Meter wird es ruhiger.
Münchens verborgenes Juwel: Die Hotterstraße
Plötzlich steht man in einer anderen Stadt – so fühlt es sich zumindest an. Die Hotterstraße ist eine unscheinbare, schmale Verbindung zwischen Färbergraben und Hackenstraße, mitten in der Altstadt, kaum 160 Meter lang – sie bildet den Schwerpunkt von Ranfts Geheimtipp-Tour. „Die kennt kein Mensch“, sagt die 56-Jährige kopfschüttelnd.
Der Ausblick von der Hotterstraße: Die Türme der Frauenkirche ragen hinter dem Hirmer-Parkhaus hervor. © Anastasia Bondarenko
Tatsächlich ist auf der schmalen Straße erstaunlich wenig los. Verglichen mit dem sonstigen Trubel der Münchner Innenstadt begegnet man hier kaum Menschen – es wirkt zu still für eine Metropole. Die Straße hat jedoch eine ganz bestimmte Besonderheit: Hinter dem Hirmer-Parkhaus öffnet sich der Blick – und dann ragen sie auf, ganz nah, ganz ohne Absperrungen oder Menschenmengen: die Türme der Frauenkirche. Ein Blick, den man so sonst nirgends bekommt. „Der Ausblick ist hier wunderschön“, schwärmt Ranft. Besonders in den Abendstunden entfalte die Kirche ihre Wirkung: „Wenn es dunkel ist, wirkt sie besonders imposant.“
Urbane Kunst, die kaum jemand kennt
Doch der Ausblick ist längst nicht der einzige Geheimtipp in der Hotterstraße. Zwischen den eher unauffälligen Häusern, in denen sich vor allem Arztpraxen, Agenturen und Kanzleien angesiedelt haben, sticht ein Gebäude sofort ins Auge: ein markanter, quadratischer Bau mit schwarzer Fassade. In großen weißen Buchstaben leuchtet darauf „MUCA“, an der Seite ist die Wand mit Graffiti besprüht. „Auch das kennen viele nicht“, sagt Ranft. Das Museum of Urban and Contemporary Art befindet sich in einem ehemaligen Umspannwerk, gegenüber liegt die sogenannte „MUCA Giant Wall“, auf der regelmäßig Street-Art entsteht. Auch ein angrenzender Luftschutzbunker aus dem Zweiten Weltkrieg wurde in eine Ausstellungsfläche für zeitgenössische Kunst verwandelt. „Viele international bekannte Künstler haben hier bereits gearbeitet“, erklärt Ranft– mitten in der Altstadt, fast unbemerkt. Die Sammlung umfasst über 1200 Werke, gezeigt werden unter anderem Arbeiten von Banksy, Keith Haring oder Andy Warhol. Ergänzt wird sie durch wechselnde Ausstellungen.
Trotz internationalem Renommee verirren sich nur wenige Besucher hierher: Das Museum ist fast leer. Aktuell sind die Werke des portugiesischen Künstlers Vhils zu sehen. Sein Stil ist unverwechselbar: Er trägt Oberflächen von Wänden, Werbetafeln oder industriellen Materialien Schicht für Schicht ab und legt so verborgene Geschichten frei. Schon im ersten Raum beeindrucken farbige Porträts, detailreich aus mehreren Lagen alter Plakate herausgearbeitet. Besonders eindrucksvoll ist ein monumentales Wandbild in der Haupthalle, das ein Gesicht so präzise zeigt, dass jede Falte und jeder Schatten erkennbar ist. „Dass man so etwas mitten in der Altstadt fast für sich allein hat, ist eigentlich verrückt“, sagt Ranft.
Radikal: In eine Wand im Muca München hat Vhils ein Kunstwerk gemeißelt. © Achim Frank SchmidtKulinarische Kleinode direkt um die Ecke
Direkt neben dem MUCA liegt das Restaurant „Anne‘s“ – auf Türkisch bedeutet das „Mama‘s“. Das Halal-Lokal lädt dazu ein, sich durch die türkische Küche zu probieren. „Ich komme hier oft nach der Arbeit vorbei und hole mir eine Kleinigkeit“, erzählt Ranft. Hinter der Glastheke reihen sich Behälter mit verschiedenen Spezialitäten, aus denen man sein Gericht individuell zusammenstellen kann.
Nicht einmal 50 Meter weiter, am Ende der Hotterstraße, befindet sich die Patisserie „Isabella“, die sich auf glutenfreie Köstlichkeiten spezialisiert hat. Die Inhaberin Isabella erhielt laut Angaben der Website 2009 die Diagnose Zöliakie, eine Glutenunverträglichkeit. Für die Italienerin, die eine große Leidenschaft für genussvolles Essen hat, war das zunächst ein Schock. Nicht nur zu Hause auf glutenfreie Kost umzusteigen war herausfordernd – auch außerhalb ein passendes Angebot zu finden, war damals kaum möglich. So entstand die Idee für ihr eigenes Café, das heute überwiegend gluten- und allergenfreie Leckereien anbietet.
Es sind genau diese Orte – unbemerkbar auf den ersten Blick –, die die Hotterstraße ausmachen. All diese Entdeckungen liegen nur wenige Schritte voneinander entfernt. Und doch verirren sich die wenigsten hierher. „Dabei sind wir keine 200 Meter von der belebten Sendlinger Straße entfernt“, betont die 56-Jährige. „Es ist wirklich toll hier – die Leute sollten das kennen.“ Man muss nur einmal falsch – oder eben richtig – abbiegen. Zwischen historischen Gebäuden, modernen Museen und versteckten Kulinarik-Hotspots zeigt die Straße, dass selbst mitten in der Stadt noch Orte voller Überraschungen warten. Für Ranft ist klar: Wer einmal hierherkommt, entdeckt München aus einer ganz neuen Perspektive. Eigene Recherche, muca.eu, isabella-pattisserie.de (ab)