Im Jahr 2025 ist passiert, was auch 2024 schon passiert ist. Und davor 2021, 2020 und 2019: Der Eröffnungstermin von S21, die Einweihung des neuen Tiefbahnhofs in Stuttgart, wurde verschoben. Wirklich neu ist in diesem Jahr aber: Die Eröffnung ist vorerst komplett abgesagt, auf noch unbestimmte Zeit verschoben. Sage keiner, an der Bahnspitze sei man nicht lernfähig. Statt das nächste Datum zu reißen, wagt die neue Bahn-Chefin endlich, wozu keiner ihrer Vorgänger den Mut hatte: Sie zieht die Reißleine und geht zurück auf Los.

Das bestgeplante Bahnprojekt aller Zeiten, hieß es jahrzehntelang. Finanziert sich für die Stadt quasi selbst, hieß es. In Stuttgart selbst würde man gar nicht viel mitbekommen, hieß es, der neue Bahnhof liege ja schließlich unter der Erde. Und wer – wie die Gegner des Projekts – behauptete, die 2009 der Finanzierungsvereinbarung zugrunde liegende Kostenrechnung von 4,8 Milliarden Euro sei eine völlige Luftnummer, wurde als Lügner bezichtigt, woran Landesverkehrsminister Winfried Hermann von den Grünen gerade erinnerte. Entschuldigt dafür, ihn Lügner genannt zu haben, habe sich bei ihm noch niemand, sagte der Grünen-Politiker. Hermann bekämpfte das Projekt von Anfang an und musste es dann – Ironie der Geschichte – von 2011 an als Landesverkehrsminister gemeinsam mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann, ebenfalls S-21-Gegner, gebunden an eine Volksabstimmung, umsetzen und mitbegleiten.

„Prekär und zutiefst beunruhigend“

Inzwischen liegt der von der Bahn kalkulierte Kostenrahmen bei 11,5 Milliarden Euro. Eine weitere Kostensteigerung ist zu erwarten. Hermann und Kretschmann beenden im kommenden Frühjahr mit der Landtagswahl ihre politische Karriere. Beide Grünen-Politiker haben eine Bahnhofs-Baustelle übernommen, die nicht die ihre war. Und sie werden statt eines neuen Tiefbahnhofs eine Bahnhofs-Baustelle hinterlassen. Für das Image des Landes sei das „prekär und zutiefst beunruhigend“, so Kretschmann Anfang Dezember zur Situation bei dem Milliardenprojekt. „Quasi meine ganze Amtszeit fahre ich an dieser Baustelle vorbei, das ist eigentlich unfassbar. Was ist das für ein Blick auf die Ingenieursnation Deutschland?“

Dabei war sie so schön, die Vision: Ein neuer Durchgangsbahnhof unter der Erde, in faszinierende, lichtdurchflutete Architektur eingebettet. Zwar nur noch mit vier Mittelbahnsteigen und acht Gleisen statt wie bisher 16 Gleisen im alten Kopfbahnhof, aber dafür gesteuert von neuester digitaler Leittechnik, die Ein- und Ausfahrt von Zügen sekundengenau steuern und damit die Kapazität des neuen Bahnhofs hochfahren kann.

„Unfassbar“ findet Ministerpräsident Winfried Kretschmann die immer neuen Hiobsbotschaften vom Projekt Stuttgart21.

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„Unfassbar“ findet Ministerpräsident Winfried Kretschmann die immer neuen Hiobsbotschaften vom Projekt Stuttgart21.
Foto: Bernd Weißbrod/dpa

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„Unfassbar“ findet Ministerpräsident Winfried Kretschmann die immer neuen Hiobsbotschaften vom Projekt Stuttgart21.
Foto: Bernd Weißbrod/dpa

Geringere Fahrtzeiten in alle europäischen Metropolen, direkte Anbindung zum Stuttgarter Flughafen, und als Bonus mitten in der Landeshauptstadt Platz für ein komplettes neues Stadtviertel auf den alten Gleisflächen. Die Realität am Ende des Jahres 2025: Nur die faszinierende, lichtdurchflutete Architektur hat Gestalt angenommen. Das Jahr 2025 war das Jahr, in dem sie sichtbar wurde. Die selbsttragende Kelchstützenkonstruktion des ebenerdigen Tiefbahnhof-Dachs mit den gläsernen Lichtaugen ist höchste Baukunst und dürfte fraglos eine Attraktion der Stadt werden. Nur leider ist sie noch immer eingebettet in die monströse Baustelle in der Stuttgarter Innenstadt, die immer wieder neue verwirrende Umleitungen, Sperrungen und Abzweigungen für Auto-, Fuß- und sonstigen Verkehr verursacht.

Die Baustelle des milliardenschweren Bahnprojekts Stuttgart 21, bei dem der Bahnhof unter die Erde verlegt werden soll.

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Die Baustelle des milliardenschweren Bahnprojekts Stuttgart 21, bei dem der Bahnhof unter die Erde verlegt werden soll.
Foto: Bernd Weißbrod

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Die Baustelle des milliardenschweren Bahnprojekts Stuttgart 21, bei dem der Bahnhof unter die Erde verlegt werden soll.
Foto: Bernd Weißbrod

Seit einiger Zeit ist der Weg vom alten Bahnhofsgebäude zu den Bahngleisen, der um die Baustelle herumführt, als Rundwanderweg in der Outdoor- und Wander-App „Komoot“ hinterlegt: 1,1 Kilometer lang, 17 Minuten. „Einfache Wanderung. Für alle Fitnesslevel. Leicht begehbare Wege. Kein besonderes Können erforderlich“, heißt es in der Beschreibung. Witzig findet das wohl nur, wer nicht mit schwerem Gepäck zum Bahnhof unterwegs sein muss.

Auch der gesamte S-Bahn-Verkehr der Region ist seit Jahren immer wieder schwer durch die Bauarbeiten von S21 eingeschränkt. Die zentrale Strecke ist jeden Sommer und auch derzeit wochenlang gesperrt, was Zehntausende von Pendlern ins Auto und in unzulänglichen öffentlichen Nahverkehr treibt und täglich den letzten Nerv kostet.

In welche Zukunft fährt die Gäubahn?

Die Zukunft der Gäubahn: ungewiss. Statt schneller und besser auf der Schiene an Stuttgart angebunden zu sein, ist der gesamte Südwesten des Bundeslandes bald auf Jahre in einem Regionalbahnhof in einem Stuttgarter Vorort abgehängt. Die Vision der neuen digitalen Technik, des ersten voll digitalgesteuerten Bahnknotens in Deutschland: ein Debakel in mehrfacher Hinsicht. Abgesehen von Liefer- und technischen Problemen des Herstellers fiel der Bahn viel zu spät auf, dass großflächig in der Stadt neue Kabel und Leitungen verlegt werden müssen – was Sperrungen und neue Bauarbeiten nötig macht. Jetzt ist jeder Zeitplan hinfällig. Aber ohne diese digitale Technik reicht die Kapazität des neuen Tiefbahnhofs nicht ansatzweise an den alten oberirdischen Kopfbahnhof heran.

Das Jahr 2025 brachte zumindest in Fragen der Finanzierung endlich Klarheit: Die Milliarden-Mehrkosten für das Projekt gegenüber der ursprünglichen Finanzierungsvereinbarung, so nun die höchstrichterliche Entscheidung nach jahrelangem Prozessieren, trägt die Bahn allein. Für die klammen Haushalte des Landes und der Stadt Stuttgart eine erleichternde Nachricht; die Bürger indes zahlen den Preis so oder so.

A propos Preis: Immerhin ließe sich Ende 2025 noch ein neuer Gedanke um Stuttgart 21 verfolgen, sollte es in den kommenden Jahren so gar nichts werden mit dem Zugverkehr in der neuen Tiefbahnhofsarchitektur. Stuttgarter Oper und Ballett suchen nämlich dringend eine Zwischen-Spielstätte für die Zeit der längst überfälligen Sanierung des Operngebäudes. Undenkbar jedenfalls ist nahezu nichts, was mit dem Projekt Stuttgart 21 zu tun hat.

  • Ulrike Bäuerlein

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