E-Gitarren, Pianos und Drums glänzen um die Wette. Musikliebhaber dürfte es in den Finger jucken, die Instrumente zum Leben zu erwecken. Abseits des Verkaufsraums, in einem kleinen Nebenraum, warten Geigen und Keyboards auf die Reparatur. Bei manchen liegt bereits das Innenleben frei.

Das ist die Welt von Annette Ebert.  Sie hat schon viele Krisen überstanden in den 23 Jahren, in denen sie das Musikhaus hat.  Die Aufbau-Jahre waren hart, noch härter war die Corona-Krise. Der Lockdown traf die Kultur mit voller Wucht. Viele Bands lösten sich auf, neue Instrumente wurden nicht gekauft und die alten hatten kaum Verschleiß, erzählt Ebert. Das machte sich in ihrer Kasse zu spüren.

Umsatzeinbußen von „locker 35 Prozent“

Aber irgendwie hat es die 61-Jährige immer geschafft. Bis jetzt. Nun setzt ihr die Baustelle in der Kemptener Straße gewaltig zu. Die zieht sich schon monatelang hin. „Und ich bin mitten drin.“

Beim ersten Bauabschnitt bis Ende vergangenen Jahres lag ihr Umsatzrückgang bei „locker 35 Prozent“, sagt sie. Trotz des Weihnachtsgeschäftes. Jetzt, wo die Straße zum zweiten Mal dicht ist, traue sie sich gar nicht, Kassensturz zu machen.

Die Kemptener Straße, die neue Erdgas- und Wasserleitungen sowie eine neue Fahrbahndecke bekommt, ist eine Dauerbaustelle. Vergangenes Jahr war sie bereits von Ende September bis Ende Dezember gesperrt. Dann kam eine Winterpause – wegen „unvorhergesehenen Verzögerungen“ bei den Leitungsarbeiten. Als Gründe nennen die Lindauer Stadtwerke Herausforderungen bei der „Baugrundinfrastruktur“ sowie das Wetter.

Weiterhin erreichbar?

Die Baupause im Januar nutzte Ebert nichts, da sie in die „Sauregurkenzeit“ fiel, wie sie sagt. Seit Mitte Februar ist die Straße zwischen der Köchlin-Kreuzung und der Einfahrt Rennerle erneut für den Verkehr vollständig gesperrt – pünktlich zum Ostergeschäft.

„Anwohner, Gewerbetreibende und Kunden können ihre Gebäude und Geschäfte weiterhin erreichen“, schreibt die Stadt auf ihrer Homepage.

Das Schild hat Annette Ebert auf eigene Kosten anfertigen lassen - trotzdem trauen sich nur wenige Kunden, in die gesperrte Straße einzufahren.

Das Schild hat Annette Ebert auf eigene Kosten anfertigen lassen – trotzdem trauen sich nur wenige Kunden, in die gesperrte Straße einzufahren. (Foto: Yvonne Roither)

Theoretisch. Was Ebert in der Praxis erlebt: „Gerade unsere ältere Kundschaft traut sich nicht, durch die Baustelle zu fahren.“ Dabei habe sie extra ein Schild anfertigen lassen, auf dem steht: „Durchfahrt frei bis Musikhaus“.

Doch auch das helfe nicht und treffe auch nicht immer zu. Jeder Tag bringe neue Überraschungen rund um die Baustelle. Die Stadt betont indes: „Ein Zugang war und ist jederzeit möglich.“ Wie Pressesprecherin Bettina Wind auf Anfrage von Schwäbische.de weiter schreibt, seien Bauleiter und die Mitarbeiter der ausführenden Firma vor Ort immer bemüht, die Zufahrt zu einzelnen Geschäften zu ermöglichen –„nach vorheriger Absprache“.

Donnerstagvormittag, eine Woche vor Ostern: Es ist ruhig – nicht nur im Musikhaus. Zwischen Köchlin und Rennerle sind keine Arbeiter zu sehen. Wenn sich auf der Baustelle nichts tut, wird Ebert nervös. Ihr Wunsch: „Zieht es doch mal durch.“

Ruhe auf der Baustelle.

Ruhe auf der Baustelle. (Foto: Yvonne Roither)

Bettina Wind schreibt, dass an der Baustelle „durchgehend gearbeitet wird“, allerdings an unterschiedlichen Stellen im Verlauf der Kemptener Straße. Und warum macht man die Arbeiten nicht abschnittsweise fertig?  Da sei laut Wind hinsichtlich der „anzustrebenden Qualität“ nicht sinnvoll, „weil man sonst viele Schnitt- und Schwachstellen schaffen würde“.

Ich fühl’ mich trotzdem alleingelassen.

Annette Ebert

Annette Ebert weiß, dass diese Arbeiten nötig sind.  „Ich fühl’ mich trotzdem alleingelassen“, sagt sie. Sie habe Oberbürgermeisterin Claudia Alfons geschrieben und sich mit Standortförderer Niklas Ringeisen „nett unterhalten“. Das Ergebnis sei ernüchternd: Die erhoffte Unterstützung gebe es nicht. Für die restliche Dauer der Baustelle plane die Stadt zusätzliche Schilder anzubringen, die zeigen, dass der Zugang zu den Geschäften weiterhin möglich ist, schreibt Wind.

„Die Stadt, die GTL und die Stadtwerke tun ihr Bestes, um die Auswirkungen der Baustelle für Anlieger und Gewerbetreibende so gering wie möglich zu halten“, versichert sie. Allen sei bewusst, dass eine Baustelle immer „unangenehme Einschränkungen“ mit sich bringe.

Baustellen bringen immer „unangenehme Einschränkungen“ mit sich, so die Stadt Lindau. Die Arbeiten an den Leitungen und die Sanierung der Fahrbahn seien jedoch wichtig, um eine zuverlässige Versorgung zu gewährleisten.

Baustellen bringen immer „unangenehme Einschränkungen“ mit sich, so die Stadt Lindau. Die Arbeiten an den Leitungen und die Sanierung der Fahrbahn seien jedoch wichtig, um eine zuverlässige Versorgung zu gewährleisten. (Foto: Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa)

„Ich muss von meinen Rücklagen leben“, sagt Ebert und zuckt mit den Schultern. Die Geschäftsfrau fürchtet sich vor einer „langsamen Abwärtsspirale“. Um den Laden am Laufen zu halten und die beiden Minijobber weiterbeschäftigen zu können, wirbt sie mit einem Baustellenrabatt.

Jetzt muss das Wetter mitspielen

Für die Stadtwerke Lindau ist die Baumaßnahme ein Erfolg: Sie sei seit Anfang April abgeschlossen, „deutlich“ schneller als geplant. Die Arbeiten der Garten- und Tiefbaubetriebe Lindau (GTL) befinden sich laut Wind im Zeitplan. Momentan werden die Einfassungen zwischen Fahrbahn und Gehweg auf der Westseite der Kemptener Straße hergestellt.  Zudem werde an verschiedenen Stellen der Unterbau für den Asphaltbau errichtet.

Die Stadtverwaltung geht momentan davon aus, dass alle Arbeiten bis Mitte Mai fertig sind. Dann liegen insgesamt sechs Monate Sperrung hinter Einzelhändlern und Anwohnern. Voraussetzung sei allerdings, dass das Wetter mitspielt. „Für die Herstellung der Asphaltbetondeckschicht darf es nicht regnen“, schreibt Wind.

„Es wäre auch für Lindau toll, wenn wir das überstehen könnten“, sagt Annette Ebert. Sie denkt an Stammkunden, die ihre Gitarre zur Reparatur bringen, nur ein Saxofonblättle oder Noten brauchen.

Dass es vor Ort noch so einen Musik-Fachhandel gibt, sei keine Selbstverständlichkeit.  Annette Ebert schließt ihr Musikhaus noch jeden Tag gern auf: „Ich will für Lindau da sein.“ Auch noch nach der Baustelle.