Abkommen werden gerne nach dem Ort benannt, an dem sie geschlossen werden. Deutschland schloss mit Frankreich 2019 im Krönungssaal des Aachener Rathauses den „Aachener Vertrag“, in dem grundlegende Fragen der Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern geregelt sind. Das Vereinigte Königreich wiederum schloss mit Frankreich 2010 die „Lancaster House Treaties“, die die Kooperation beider Länder bei Sicherheit und Verteidigung regeln. Die zwei Verträge dienen als Vorbild für eine neue und in ihrer Form historische Kooperation zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich.
Das „Trinity House Agreement“ ist nach den Brexit-Jahren eine besondere Form der Annäherung, eine Antwort auf die Bedrohungen durch Russland. An diesem Mittwochmittag haben es der britische Verteidigungsminister John Healey und sein deutscher Kollege Boris Pistorius (SPD) in dem Gebäude nahe dem Londoner Tower feierlich unterzeichnet. „Heute ist der Beginn von neuen und tiefergreifenden Beziehungen unserer beiden Länder“, betont Healey. „Wir leben in einer gefährlichen Welt, wir teilen die gleichen Bedrohungen und die gleichen Werte, als Verbündete macht uns das nur noch stärker.“
Trinity House in London, Ort der Unterzeichnung und Namensgeber des deutsch-britischen Abkommens. (Foto: Peter Macdiarmid/Getty Images)
Die Vereinbarung kann, so sieht man es in Berlin, auch als Vorbereitung auf das dienen, was auf Europa und die Nato zukommen könnte, sollte Donald Trump erneut ins Weiße Haus einziehen und das US-Engagement hier deutlich zurückfahren. Pistorius formuliert es so: „Die USA werden in Zukunft so oder so sehr wahrscheinlich weniger in Europa machen, und das heißt für uns: Wir müssen mehr tun.“ Mit gemeinsamen Projekten in den Bereichen Heer, Luftwaffe, Marine und Cyber trage man dazu bei, den europäischen Pfeiler in der Nato zu stärken. Die Sicherheit in Europa sei keine Selbstverständlichkeit mehr. „Russland führt Krieg gegen die Ukraine, steigert seine Waffenproduktion immens und greift unsere Partner in Osteuropa, aber auch uns immer wieder mit hybriden Mitteln an.“
Geplant sind als erste Schritte zum Beispiel die Eröffnung einer neuen Artillerierohr-Fabrik von Rheinmetall im Vereinigten Königreich, die mehr als 400 Arbeitsplätze schaffen soll. Der Rüstungskonzern, dessen Aktienkurs sich in einem Jahr auf knapp 500 Euro fast verdoppelt hat, stellt in seinen britischen Werken bereits militärische Fahrzeuge her, darunter den Transportpanzer Boxer und – zusammen mit dem britischen Rüstungskonzern BAE – den Challenger-3-Kampfpanzer. Das britische Heer hat 500 Boxer bestellt. Zudem soll die militärische Zusammenarbeit enger werden: So sollen regelmäßig deutsche P8A-Seefernaufklärer von Lossiemouth in Schottland aus operieren, um die „europäische Sicherheit“ im Nordatlantik zu stärken. Zudem soll gemeinsam an der Entwicklung neuer Langstreckenwaffen, Drohnen und Luftverteidigung gearbeitet werden sowie am Schutz der kritischen Unterwasserinfrastruktur und von Seehandelsrouten.
„Meilenstein“ in der Zukunft der europäischen Sicherheit
Die Unterzeichnung des Vertragswerks markiere „eine grundsätzliche Veränderung der Beziehungen des Königreichs und Deutschlands“ und sei „ein Meilenstein“ in der Zukunft der europäischen Sicherheit, sagte Pistorius. Schon Anfang des Jahres hatte man bei einer der größten Verlegeübungen an die Nato-Ostflanke seit Jahrzehnten eng zusammengearbeitet; Deutschland ist wegen seiner Lage die Drehscheibe. 90 000 Soldaten nahmen teil, 16 000 davon stellte die britische Armee. In der gemeinsamen Abschreckung gegen Russland sieht Pistorius denn auch den wichtigsten Auftrag.
Es müsse noch mehr getan werden, um die Ostflanke der Nato zu stärken und Fähigkeitslücken zu schließen, etwa bei den weitreichenden Abstandswaffen, sagte er. Zudem sind künftig auch mehr gemeinsame Manöver im Baltikum geplant, um „effektiv abzuschrecken“, wie es in einer Mitteilung zum Abkommen heißt. Und um in der Lage zu sein, im Falle eines Angriffs auf Nato-Territorium es gemeinsam zu verteidigen. In diesem Zusammenhang soll auch an einer besseren drohnengestützten Vernetzung der Panzerverbände gearbeitet werden.
Bereits im Frühsommer, kurz nach dem Besuch des damaligen Premierministers Rishi Sunak in Berlin, hieß es aus Diplomatenkreisen, die Briten wünschten sich ein Abkommen im Sinne der Lancaster-House-Verträge. Das Königreich zählt mit Deutschland und Frankreich zu den größten Verteidigungsmächten Europas. Nach dem Austritt aus der EU allerdings hat sich die Rolle Londons grundlegend verändert, auch was Verteidigung und Sicherheit angeht. Es gebe, hieß es nach Sunaks Besuch, eine Sorge in Downing Street, dass das Königreich in Sicherheitsfragen ausgeschlossen sein könnte – da es auch nicht mehr Mitglied der Europäischen Verteidigungsagentur der EU-Mitgliedstaaten ist.
Die neue Labour-Regierung von Premier Keir Starmer drängt auf eine intensivere Zusammenarbeit mit Brüssel und insbesondere Frankreich und Deutschland. In der Verteidigung ist die Schnittmenge der Interessen derzeit am größten. Angesichts von Russlands Invasion der Ukraine und einer möglichen weiteren Amtszeit Donald Trumps – der gerne mit der Drohung kokettiert, die Nato zu verlassen, sollte er zum US-Präsidenten gewählt werden – ist eine geregelte Zusammenarbeit zwischen Großbritannien und Ländern wie Deutschland umso drängender. Bei Sunaks Besuch in Berlin im April war bereits beschlossen worden, gemeinsam auch ferngesteuerte Radpanzerhaubitzen zu produzieren, daran hat sich unter der neuen Labour-Regierung nichts geändert.
Erster Schritt in eine pragmatischere Zukunft nach dem Brexit
Im Gegenteil, im Juli, einen Monat nach dem Regierungswechsel in London, unterzeichneten Pistorius und Healey bereits eine Absichtserklärung zur künftigen stärkeren Zusammenarbeit. An diesem Mittwoch folgt nun das Trinity-House-Abkommen, das für London wie Berlin ein erster entscheidender Schritt in eine pragmatischere Post-Brexit-Zukunft sein soll, als dies mit der Vorgängerregierung der Tories möglich war.
Deutschland hätte als Nächstes gerne etwas nach dem Vorbild des Aachener Vertrags, also einen tiefergreifenden völkerrechtlichen Vertrag, der die Grundlage für die deutsch-britischen Beziehungen der kommenden mindestens zehn Jahre liefern solle. Darin sollen Themen wie Kultur, Wissenschaft und vielleicht auch Migration enthalten sein, die wegen ihrer Komplexität möglicherweise gesondert geregelt wird. Pistorius lässt durchblicken, dass er das gut fände, sagt aber auch: „Ich bin nur der Verteidigungsminister.“ Handelsfragen wiederum, hieß es aus Diplomatenkreisen, könnten letztlich nur in Brüssel gelöst werden. Aber mehr Dialog mit Brüssel wäre auch ganz im Sinne der neuen Labour-Regierung.
Korrektur: In einer früheren Version dieses Textes hieß es fälschlicherweise, dass die Luftwaffe Flugzeuge in Schottland stationieren wird und dass Rheinmetall ein Artilleriegeschütz-Werk eröffnen will. Richtig ist, dass regelmäßig Seefernaufklärer der Marine von Lossiemouth aus operieren sollen und dass Rheinmetall eine Fabrik für Geschützrohre plant.