Donald Trump hat Mark Carney am Montag einen besonderen Abend beschert. Denn was in Kanada vor wenigen Monaten noch unmöglich schien, ist nun eingetreten: Die Liberalen um den gegenwärtigen und auch künftigen Premier haben die Parlamentswahl gewonnen. Nach letztem Stand kommen sie auf etwa 43,5 Prozent der Stimmen, die Konservativen auf 41,4 Prozent.

Eine absolute Mehrheit im Parlament werden die Liberalen wohl knapp verfehlen, eine Minderheitsregierung ist wahrscheinlich – und doch ist der Wahlausgang bemerkenswert.

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Denn Carneys Erfolg ist nicht nur einfach ein Sieg über seinen konservativen Rivalen Pierre Poilievre. Die Wahl wirkt wie ein Bekenntnis der Kanadier zu ihrem Land, verbunden mit einer der erstaunlichsten politischen Comeback-Geschichten der vergangenen Jahre. Und sie sendet eine deutliche Botschaft an Donald Trump.

Der kanadische Premierminister Mark Carney winkt nach seiner Rede in seiner Wahlkampfzentrale, nachdem die Liberale Partei die kanadischen Wahlen in Ottawa gewonnen hat.

© dpa/JUSTIN TANG

Der US-Präsident hat das Nachbarland mit hohen Zöllen belastet. Und in den vergangenen Monaten immer wieder damit kokettiert, Kanada zum 51. Bundesstaat der USA machen zu wollen. Den damaligen Premier Justin Trudeau nannte er provozierend „Gouverneur“.

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Trump mischte sich in den Wahlkampf ein

Auch unmittelbar vor der Wahl ließ Trump nicht davon ab, sich in die inneren Angelegenheiten des nördlichen Nachbarn einzumischen – und wiederholte seine Annexionsphantasien. Die Kanadier sollten den Mann wählen, „der die Kraft und die Weisheit hat, Ihre Steuern um die Hälfte zu senken, Ihre Militärmacht kostenlos auf das höchste Niveau der Welt zu erhöhen, Ihre Auto-, Stahl-, Aluminium-, Holz-, Energie- und alle anderen Unternehmen in ihrer Größe zu vervierfachen, ohne Zölle oder Steuern, wenn Kanada der geschätzte 51. Staat der Vereinigten Staaten von Amerika wird“, schrieb Trump am Montag auf seinem Netzwerk Truth Social.

Amerika könne Kanada nicht mehr mit Hunderten von Milliarden Dollar pro Jahr subventionieren – „es sei denn, Kanada ist ein Bundesstaat!“

Durch Trumps Attacken entdeckten die Kanadier ihren Nationalstolz neu. Sie erhoben ihrerseits Zölle, boykottieren amerikanische Produkte in Supermärkten und kaufen vor allem kanadische. Bei Protesten gegen die Trump-Regierung betonten sie immer wieder ihre Unabhängigkeit.

Nun der krönende Abschluss: Mit Mark Carney wählten sie für die kommenden vier Jahre quasi das Gegenmodell zu Trump.

Donald Trumps Attacken entfachten bei den Kanadiern einen neuen Nationalstolz.

© REUTERS/LEAH MILLIS

Trumps Rolle beim Ausgang dieser Wahl ist deshalb so entscheidend, weil die Liberalen zu Beginn des Jahres in den Umfragen noch deutlich zurücklagen. Unter Justin Trudeau lag die Partei zum Teil 20 Prozentpunkte hinter den Konservativen zurück und es schien, als würden sie erstmals seit zehn Jahren die Macht abgeben müssen.

Die Kanadier waren unzufrieden mit der wirtschaftlichen Lage; die hohe Inflation und stark gestiegenen Lebenshaltungskosten wurden besonders Trudeau und dessen Politik angelastet.

Carney löste Trudeau im März ab

Im März wurde Trudeau nach einer Regierungskrise schließlich von Mark Carney abgelöst. Der 60-jährige, früher Direktor der Bank of Canada und dann der Bank of England, wirkte zunächst blass und unerfahren. Er spricht nur holprig Französisch, im frankophonen Kanada ein großer Nachteil.

Der Schlüssel für die nächsten Jahre ist die Frage, ob es eine Minderheits- oder eine Mehrheitsregierung gibt.

Laura B. Stephenson, Politikwissenschaftlerin an der Duke University in Toronto und Expertin für kanadische Politik

Doch dann begannen Trumps Attacken und Carney strahlte eine Seriosität und Ruhe aus, die geeignet schien, die Angriffe aus Washington auf das Land abzufedern. Er konzentrierte seinen Wahlkampf auf Trump und dessen Zollkrieg, was er mit der patriotischen Botschaft „Canada Strong“ verknüpfte. Eine Antithese zu Trumps ewigem Motto „America First“. Carneys Strategie ging auf, seine Botschaft verfing. Er holte in den Umfragen auf – und zog schließlich mit den Konservativen gleich.

„Dies ist eine bemerkenswerte Wahl für die Liberalen, weil sich das Blatt gewendet hat“, sagt Laura B. Stephenson, Politikwissenschaftlerin an der Duke University in Toronto und Expertin für kanadische Politik.

Laura Stephenson ist Professorin für Politikwissenschaft an der Duke University in Toronto und Expertin für kanadische Politik.

„Der Schlüssel für die nächsten Jahre ist die Frage, ob es eine Minderheits- oder eine Mehrheitsregierung gibt, und wenn es eine Minderheit ist, mit welcher Partei oder welchen Parteien die Liberalen zusammenarbeiten können, um Gesetze zu verabschieden“, sagt sie dem Tagesspiegel.

Gegenkandidat wirkte wie „Trump light“

Die Kanadier schienen sich Anfang des Jahres eigentlich Carneys Rivalen Pierre Poilievre zuzuwenden. Der 45-Jährige wirkte im Wahlkampf scharf und dynamisch, versprach wirtschaftliche Besserung, mehr Härte gegenüber Kriminalität und Steuererleichterungen.

Doch seine eher robuste Politik, seine scharfe Rhetorik und sein Versprechen „Canada First“ ließen ihn mit den zunehmenden Attacken aus dem Weißen Haus wie eine Art „Trump light“ aussehen. Er verlor immer mehr an Halt, stellte sich schließlich ebenso gegen den US-Präsidenten wie Mark Carney – und musste doch am Montag seine Niederlage eingestehen. Nach letztem Stand könnte er gar seinen eigenen Sitz im kanadischen Unterhaus verlieren.

Wie in den Vereinigten Staaten werden praktisch ebenso viele Kanadier enttäuscht von diesem Ergebnis aufwachen, wie sie sich darüber freuen.

Julie Simmons, außerordentliche Professorin am Fachbereich Politikwissenschaft der Universität von Guelph

Der Erfolg der Liberalen beruht aber nicht nur darauf, Stimmen von den Konservativen geholt zu haben. Besonders der Bloc Québécois, die Partei, die sich für die Souveränität der flächenmäßig größten Provinz Kanadas, Quebec, einsetzt, verlor Sitze an Carneys Partei.

Doch Julie Simmons, außerordentliche Professorin am Fachbereich Politikwissenschaft der Universität von Guelph, verweist darauf, dass der Ausgang der Wahl denkbar knapp gewesen sei.

Julie Simmons  ist außerordentliche Professorin am Fachbereich Politikwissenschaft der Universität von Guelph.

Zwar habe es eine Rekordwahlbeteiligung bei den Vorwahlen gegeben und es scheine so, „dass die Kanadier bei dieser Wahl so engagiert waren wie bei keiner anderen seit einer Generation.“

„Der Unterschied in der Wählergunst zwischen den beiden großen Parteien beträgt bei der Auszählung der Stimmen gerade einmal etwa zwei Prozent“, so Simmons.

Denn auch die Konservativen konnten dazugewinnen, besonders in Wahlkreisen mit großem gewerkschaftlich organisiertem Bevölkerungsanteil in der Schlüsselregion Ontario, in der etwa 38 Prozent der Kanadier leben.

Das Land bleibe stark polarisiert. „Wie in den Vereinigten Staaten werden praktisch ebenso viele Kanadier enttäuscht von diesem Ergebnis sein, wie sich darüber freuen werden“, sagt Simmons.

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Carney selbst scheint das Problem bewusst zu sein. „Millionen unserer Mitbürger hätten sich ein anderes Ergebnis gewünscht“, sagte er am Dienstag in Ottawa nach seinem Wahlsieg. „Lassen Sie uns der Spaltung und dem Ärger der Vergangenheit ein Ende setzen. Wir sind alle Kanadier, und meine Regierung wird für und mit allen arbeiten“.

Und er setzte direkt den Ton für seine künftigen Zoll-Verhandlungen mit dem Weißen Haus. „Amerika will unser Land, unsere Ressourcen, unser Wasser“, sagte Carney. „Präsident Trump versucht uns zu brechen, damit Amerika uns besitzen kann – aber das wird niemals passieren“.