Endlich frei, endlich in Sicherheit – und doch fühlt sich alles falsch an. Was in vielen Exiljournalisten vorgeht, beschreibt unsere Autorin Mahtab Qolizadeh aus dem Iran.

Staffel 1: Die Kälte

„Willkommen in Berlin“. Der Einwanderungsbeamte stempelt ihren Reisepass ab. Sie hat zu viel Angst, um zu weinen. Umgeben von Stimmen, die sie nicht versteht, fragt sie sich: Wer bin ich jetzt? Was kann eine iranische Journalistin hier tun? Eine Flut von Fragen drängt sich auf: Wie finde ich Arbeit? Wie lerne ich Deutsch? Wie kann ich alles bezahlen? Wie kann ich Kontakt zum Iran halten?

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16 Jahre lang hat sie als Journalistin gearbeitet. Sie floh aus dem Iran, um Gefängnis und Folter zu entkommen, und hoffte, in Freiheit schreiben zu können. Doch nun ist der eigentliche Sinn ihres Lebens verschwunden. Nur ein toter Traum fällt leise in sich selbst zusammen.

Staffel 2: Die Dunkelheit

Nach drei Monaten liegt sie im Bett und denkt an ein gewaltsames, unumkehrbares Ende. Sie hat zehn Kilo abgenommen.

Sie schließt ihre geschwollenen Augenlider, aber der Iran lässt sie nicht los: die Einzelzelle, die Vergewaltigungs- und Todesdrohungen, die vom Staatsanwalt geforderte 15-jährige Haftstrafe. Sie hatte leben wollen, um frei zu schreiben. Jetzt ist sie frei, aber ihr Leben fühlt sich leer an. Freiheit ohne Sinn ist eine ganz eigene Art von Gefängnis.

Die Autorin

© privat

Mahtab Qolizadeh ist eine iranische Journalistin. Sie wurde am 7. August 2021 von den Revolutionsgarden verhaftet und zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Anschließend erhielt sie ein Arbeitsverbot im Iran. Heute lebt sie im Exil in Berlin.

Sie hat es über die Grenze geschafft, bleibt aber eingesperrt: ihre Berliner Wohnung ist die neue Zelle, ihr Verstand der neue Verhörer.

Abgeschnitten von ihren Wurzeln, sieht sie sich in ihrer Arbeit mit einem Bruch konfrontiert. Im Iran ist der Journalismus aus der Not heraus zur Erzählung geworden. Das Regime –  insbesondere die Revolutionsgarde –  blockiert alle zuverlässigen Daten. Unabhängige Institutionen werden demontiert, staatliche Institutionen fälschen Zahlen.

In diesem Vakuum ersetzt das Geschichtenerzählen die Statistik. Aber das ist untrennbar mit gelebter Erfahrung, Wahrnehmung, Intuition und unmittelbarem Bewusstsein verbunden. Im Exil reißt dieser Faden. Viele iranische Exiljournalisten verharren in dem Moment, den sie verlassen haben.

Staffel 3: Das Rätsel

Nach Angaben des Komitees zum Schutz von Journalisten arbeiten nur 17 bis 22 Prozent der im Exil lebenden Journalisten weiter in ihrem Beruf.

Sie fragt sich: War alles umsonst? Kann ich mich noch als Journalistin bezeichnen? Sie googelt: „Jobs für Einwanderer in Deutschland“. Krankenpflege, Kochen, Autos reparieren, Backen. Nichts davon passt zu ihr. Sie will Wörter. Eine Stimme. Bedeutung.

Projekt „Stimmen des Exils“

Zum Internationalen Tag der Pressefreiheit 2025 veröffentlichen wir Berichte von Exiljournalist:innen aus einer Vielzahl von Ländern: Russland, Belarus, Afghanistan, Uganda, Ruanda, der Türkei, Iran und Ägypten.

Dieser Text ist Teil des Projekts „Stimmen des Exils“ von Tagesspiegel und Körber-Stiftung. Alle Texte von Exiljournalist:innen aus diesem und früheren Projekten finden Sie auf unserer Themenseite.

Die Körber-Stiftung engagiert sich auf vielfältige Weise für Exiljournalist:innen, unter anderem mit dem „Exile Media Forum“. Einmal im Jahr lädt die Stiftung über 100 Medienschaffende im Exil, Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und von Hilfsorganisationen nach Hamburg ein, um Zukunftsfragen zu diskutieren, Erfahrungen auszutauschen und sich zu vernetzen.

Das nächste Exile Media Forum findet im November 2025 in Hamburg statt.

Sie recherchiert die Preise für einen Rückflug in den Iran, doch dann erscheint eine Meldung: Reza Valizadeh, ein iranisch-amerikanischer Journalist, wurde im Iran verhaftet und zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Zehn Jahre. Nein. Rückkehr ist keine Option.

Die Islamische Republik hatte von Anfang an Journalisten im Visier. Und die Medien als Sprachrohr sind das ausschließliche Recht des klerikalen Establishments.

Im Jahr 1992 wurde der Fernsehmoderator Fereydoun Farrokhzad in Bonn brutal erstochen. Ruhollah Zam, der in Frankreich lebte, wurde 2019 durch Täuschung in den Irak gelockt, entführt und später im Iran hingerichtet.

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Sie erwägt, einen YouTube-Kanal zu starten. Doch die Angst hält sie zurück. Es vergeht kaum ein Jahr ohne Nachrichten über Attentatsversuche des Sicherheitsapparats der Islamischen Republik auf Journalisten im Exil. Sie fürchtet um ihre Familie im Iran. Rechte Gruppen warnen seit langem vor Vergeltungsmaßnahmen gegen Angehörige von Journalisten im Exil. Sie kann ihre Mutter, ihren Bruder oder ihre Schwester nicht gefährden.

Ihre Welt ist auf ein einzelnes Zimmer geschrumpft. Kein Weg nach vorn. Kein Weg zurück. Sie bewundert Kianoush Sanjari, den regimekritischen iranischen Journalisten, der sich letztes Jahr aus Protest gegen die Verbrechen der Islamischen Republik das Leben nahm. Aber sie weigert sich, in Schweigen zu verharren.

Das Regime hat eine vielschichtige religiöse Diktatur errichtet. Netzwerke wie die Revolutionsgarden, die ohne demokratische Kontrolle operieren, üben ungestraft Gewalt aus.

Sie wird sich nicht der Angst hingeben. Sie möchte eine Stimme aus dem Nahen Osten sein.

Letzte Staffel: Spiegellabyrinth

Ein Jahr ist vergangen. Der Schnee des Winters ist geschmolzen. Die schwache Frühlingssonne scheint auf Berlin.

Sie hat sich von der Universität beurlauben lassen, um Arbeit zu finden und sich wieder mit persischen Medien zu beschäftigen. Doch gerade als Hoffnung aufkeimt, wird sie wieder zunichte gemacht: Die Trump-Regierung ordnet die Schließung von Voice of America und Radio Free Europe an.

Jetzt schreibt sie für BBC Persian und tritt bei Iran International auf, aber ihre Einnahmen decken nicht ihre Kosten. Sie ist gefangen in einem Labyrinth aus Bewerbungen, unbeantworteten E-Mails und ignorierten Lebensläufen. Die deutschen Medien –  der Spiegel, die taz, die Deutsche Welle –  bleiben unerreichbar. Manchmal bekommt sie nur ein verspätetes „Danke für Ihre Bewerbung“.

Doch sie gibt nicht auf. Vor zwei Jahren wurde ein Journalist im türkischen Exil zur Stimme von Mahsa Amini. Die persischen Medien im Ausland verbreiteten den Aufschrei einer ganzen Nation: Frauen, Leben, Freiheit. Sie möchte Teil dieses Aufschreis sein, einer Stimme aus dem Nahen Osten, die für Freiheit eintritt.

Sie weigert sich, im Exil zu verschwinden, obwohl sie in der Schwebe hängt zwischen dem, was war, und dem, was vielleicht nie sein wird.

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Erzwungene Migration löscht nicht das Gedächtnis eines Journalisten.

Aber in der Isolation von Angst und Vertreibung,

nutzt es sich ab,

langsam, schmerzhaft,

ein stiller Tod.