„Wir fühlten uns befreit“
Als in Hamburg der Zweite Weltkrieg zu Ende war
03.05.2025, 16:44 Uhr
Artikel anhören
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Kämpfen bis zum letzten Mann, dann alles zerstören – das war Hitlers Befehl für Hamburg. Doch der Stadt blieb dieses Schicksal erspart. Ein Historiker lässt Zeitzeugen des Kriegsendes zu Wort kommen.
Mehr als 200 Luftangriffe richteten im Zweiten Weltkrieg große Zerstörungen in Hamburg an, mehrere Zehntausend Menschen starben. Doch das Ende des Krieges kam am 3. Mai 1945 weitgehend friedlich. Nach Kapitulationsverhandlungen fuhren die britischen Panzer über die Elbbrücken bis zum Rathaus und besetzten die Stadt kampflos. „Das ist für mich das wichtigste Datum der hamburgischen Geschichte im 20. Jahrhundert“, sagt der Historiker Ortwin Pelc. Die friedliche Besetzung habe vielen Zivilisten und Soldaten den Tod und der zweitgrößten deutschen Stadt eine weitere Zerstörung erspart.
Wenige Tage zuvor hatten die Briten nach teils heftigen Kämpfen Bremen erobert, wobei nach Angaben von Pelc mehrere Hundert Soldaten und Zivilisten ums Leben kamen. Der Hamburger Gauleiter Karl Kaufmann war der einflussreichste Repräsentant des nationalsozialistischen Regimes in Hamburg. Kampfkommandant war Generalmajor Alwin Wolz. Beide setzten Hitlers „Nero-Befehl“, nach dem den alliierten Truppen nur verbrannte Erde hinterlassen werden sollte, nicht um.
Sie lavierten und ließen eine Verhandlungsinitiative des Direktors der Harburger Phoenix-Gummiwerke, Albert Schäfer, zu. Der Unternehmer und zwei weitere Unterhändler trafen sich am 29. April mit einem britischen Offizier südlich von Hamburg und sprachen über eine Kapitulation. Am 30. April beging Hitler Suizid. Zwei Tage später gab sein Nachfolger, Großadmiral Karl Dönitz, den Befehl, Hamburg kampflos zu räumen.
Eine Stadt erinnert sich
Zum 80. Jahrestag hat Pelc ein neues Buch mit dem Titel „Kriegsende in Hamburg – Eine Stadt erinnert sich“ (Ellert & Richter Verlag) herausgegeben. Neben vielen noch weitgehend unbekannten Fotos und Illustrationen enthält es viele Abbildungen von Originaldokumenten und Aussagen von Zeitzeugen. Er habe rund 400 Briefe und Interviews ausgewertet, sagt Pelc. Die Zeitzeugen – insgesamt 320 – hatten sich 2005 nach einem Aufruf im „Hamburger Abendblatt“ gemeldet. „Am 3. Mai war für mich a) der Krieg zu Ende; b) waren wir die Nazis los. Wir fühlten uns befreit“, berichtete Elisabeth Jud, die Frau des Buchhändlers und Hitler-Gegners Felix Jud, dem Historiker persönlich.
So wie sie empfanden auch die Gefangenen in den zahlreichen Außenstellen des KZs Neuengamme. Das Hauptlager war indes menschenleer. Die SS hatte die Häftlinge – Pelc schätzt ihre Zahl für Ende März 1945 auf 50.000 – auf Todesmärsche geschickt. Das Hauptlager wurde am 20. April aufgelöst. In der Nacht zum 21. April erhängten SS-Männer in einer ehemaligen Schule am Bullenhuser Damm, einer Außenstelle des KZ, 20 jüdische Kinder, ihre 4 Betreuer und 24 sowjetische Kriegsgefangene. Die Kinder waren für medizinische Experimente missbraucht worden, die SS wollte Spuren verwischen. 4200 dänische und norwegische Gefangene wurden nach einem Abkommen mit dem Schwedischen Roten Kreuz nach Schweden gebracht.
Mehr als 9000 andere Häftlinge wurden mit Zügen, Lastwagen und zu Fuß nach Lübeck geschickt und mussten sich dort an Bord der drei Schiffe „Cap Arcona“, „Thielbek“ und „Athen“ begeben. Am 3. Mai lagen die „Cap Arcona“ und die „Thielbek“ vor Neustadt auf der Ostsee. Die britische Luftwaffe beschoss die beiden Schiffe am Nachmittag, vermutlich im Glauben, dass sich mit ihnen Wehrmachtssoldaten nach Norwegen absetzen wollten. Bei dem Angriff starben nach Angaben der KZ-Gedenkstätte Neuengamme fast 7000 Gefangene.
Briten schenken Kindern Schokolade
Vom selben Tag berichten Zeitzeugen vom Schweigen der Waffen und großer Ruhe in Hamburg. Ab 13 Uhr galt eine Ausgangssperre. Erst am Nachmittag kamen die britischen Truppen über die Elbbrücken. Die ersten Begegnungen mit den Soldaten beschreiben viele der damals jungen Zeitzeugen als freundlich. „Ich habe besonders positiv in Erinnerung, dass wir Kinder von den Soldaten auf den Panzern (…) immer wieder Weißbrot mit Scheibenkäse oder Schokolade bekamen“, berichtet Peter Humbach, der im Stadtteil Horn wohnte.
Bei der Durchsuchung von Wohnungen, zum Beispiel nach Wehrmachtsangehörigen, sei es durchaus zu Übergriffen und Diebstählen gekommen, schreibt Pelc. Doch diese seien nach wenigen Tagen von den Militärbehörden unterbunden worden.
Die Zeitzeugen sind nicht repräsentativ. Es handelt sich überwiegend um Menschen, die bei Kriegsende Kinder oder Jugendliche waren. Viele erwachsene Männer waren als Soldaten an der Front oder schon in Gefangenschaft. Pelc betont: „Nur wenige empfanden den 3. Mai 1945 als Tag der Befreiung – ausgenommen die Gefangenen, Verfolgten und Gegner der Nationalsozialisten. Die meisten sahen diesen Tag zwar als das herbeigesehnte Ende des Krieges, aber auch als Niederlage an.“
Es sei schwer, sich in die damalige Zeit zurückzuversetzen. Die Menschen waren enttäuscht und empfanden eine Ungewissheit. Die erst später aufgebaute demokratische Struktur sei nicht absehbar gewesen. „Es war im Ergebnis eine Befreiung“, sagt Pelc. „Aber das ist unsere heutige Definition.“
Im Jahr 2022 hatte die Hamburgische Bürgerschaft den 8. Mai zu einem Gedenktag erklärt. Damit folgte Hamburg den Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Schleswig-Holstein und Bremen, die – mit Ausnahme Schleswig-Holsteins – alle ein sehr viel schlimmeres Kriegsende erlebten. In dem Beschluss der Bürgerschaft wurde der für Hamburg so bedeutsame 3. Mai gar nicht erwähnt.