Schon bei der Begrüßung der Gäste wird es an diesem Samstagvormittag in der Duisburger Mercatorhalle politisch. Bärbel Bas, ehemalige Bundestagspräsidenten, Bundesarbeitsministerin und Kind des Ruhrgebiets, bekommt als einzige Ministerin aus dem NRW-Landesverband frenetischen Applaus. Doch fast genauso euphorisch fällt der Beifall für die nicht bedachten Ex-Minister Svenja Schulze und Karl Lauterbach aus. Ein bisschen Trotz blitzt da auf. Für die NRW-Genossen wäre mehr drin gewesen, so die Botschaft.
Die SPD in NRW schickt sich an, in den kommenden Jahren zum Stachel im Fleisch der Bundespartei zu werden. Sie waren es, die sich an die Spitze der Bewegung setzte, die die Kanzlerkandidatur von Olaf Scholz noch zu verhindern suchten – vergeblich am Ende und mit dem bekannten schlechten Ausgang bei der Bundestagswahl. Das mit 16,4 Prozent katastrophal schlechte Abschneiden bei der Bundestagswahl hat auch ganz handfeste Konsequenzen für die Partei. Die Finanzlage hat sich gravierend verschlechtert. Neben einer strikten Ausgabendisziplin heißt das auch, dass alle bestehenden Strukturen auf den Prüfstand kommen müssen und die Landesdelegiertenkonferenz künftig deutlich kleiner ausfallen wird. Für die einstmals so stolze SPD sind all dies bittere Pillen.
Wenn er an das Ruhrgebiet denke, denke er an Klartext und klare Kante, sagt Achim Post in seiner Rede. „Und deshalb finde ich unseren Leitantrag auch so gut.“ Und reißt einen Teil davon auch in seiner Rede an, spricht vom schlechtesten Ergebnis seit 1887. „Das muss man benennen und daraus Konsequenzen ziehen.“ Der Wortlaut, des von Post mitverantworteten Leitantrags dürfte im Willy-Brandt-Haus durchaus als unfreundlicher Akt gewertet werden.
Dabei zählt Post offenbar sogar noch zu den Optimisten in der Partei, wie seine Co-Vorsitzende Sarah Philipp es skizziert. Post beeindrucke sie in Sitzungen oft mit seiner „absurd guten Laune“, sagt sie. Denn auch sie skizziert die Lage, vor der die SPD steht, als desaströs: „Wir haben eine ganze Menge aufzuarbeiten“, spricht von einem wirklich miesen, schlechten Wahlergebnis. „Das müssen und wollen wir hier diskutieren. Wir arbeiten das auf – kritisch mit aller Offenheit.“ Man mache das offen und ehrlich und „wie sich das in der SPD gehört: solidarisch“, sagt sie. Denn natürlich weiß auch Philipp, dass sich die Partei keine Dauerfehde mit der Bundesspitze leisten kann. Doch die Botschaft in Richtung Berlin ist klar: Man müsse als größter Landesverband eine Führungsrolle einnehmen in NRW und im Bund.
Klingbeil gibt sich zerknirscht. Die vergangenen Wochen seien geprägt von Höhen und Tiefen, von Tempo, schwierigen Entscheidungen und von Verletzungen. „Und ja auch von Dingen, die aufgearbeitet werden müssen“, sagt er. Der 23. Februar und die 16,4 Prozent seien nicht zu den Akten gelegt, verspricht der SPD-Chef und verspricht eine „ehrliche und schonungslose Diskussion in der SPD, wie wir wieder stärker werden können.“ Er selbst habe als Generalsekretär 2017 auch gegen Widerstände eine Kommission zur Aufarbeitung des damaligen Wahlergebnisses in Auftrag gegeben. „Das war richtig, dass wir uns die Zeit genommen haben.“
Zugleich warnte er die Genossen davor, sich zu klein zu machen: „Wenn ich den Abgesang auf die SPD höre, sage ich Euch: Wischt das weg!“ Natürlich habe man Fehler gemacht. Und als er hinzufügt, auch er persönlich habe Fehler gemacht, hört man vereinzelten Applaus. Kein Wort verliert er zur schädlichen Kandidatendiskussion, stattdessen sieht Klingbeil den Fehler darin, nicht früher im Wahlkampf auf Industriepolitik gesetzt zu haben. „Die Koalitionsverhandlungen waren ein Stück Wiedergutmachung.“
Das sieht die Vorsitzende des Landesverbands der Jusos, Nina Gaedike, allerdings anders. Sie wirft Klingbeil in bemerkenswerter Schärfe vor, wichtige Kontroversen innerhalb der Partei zu umschiffen, und kritisiert, dass in der Koalition nun von „Einwanderung in die Sozialsysteme“ die Rede sei, ein Terminus, den man bislang nur von der NPD kenne. „Nein, nicht die ganze Partei trägt den Kurs mit“, ruft sie. Es werde nicht genug unternommen, um die Schere zwischen Arm und Reich zu schließen. Gaedike ist nicht die einzige enttäuschte Stimme an diesem Tag. Eine andere Delegierte kritisiert, viel zu oft sei die Aufarbeitung von Wahlschlappen als Tiger gestartet und als Bettvorleger gelandet. Unanständig sei, dass Frauen bei der Postenvergabe leer ausgingen und die Männer die Spitzenjobs kassierten. Wiederum ruft sie Klingbeil auf: „Du musst dafür sorgen das von diesem Laden noch etwas übrig bleibt.“ Eine Coesfelder Delegierte ereifert sich über den Umgang mit den Frauen: „Wir haben gekämpft, wie die Doofen. Aber: Eine Kampagne wird vom Willy-Brandt-Haus gemacht.“ Es könne nicht sein, dass sich der eine den großen Posten aussuche, der andere bekomme den Nebenposten und die Frau gehe leer aus. „Nach außen wirkt es so, als seien wir eine frauenfeindliche Partei“, sagt sie.
Klingbeil steht unter Zeitdruck, muss weiter zum nächsten Landesparteitag nach Schleswig-Holstein, verspricht aber zum Schluss, er komme gerne wieder. „Und wir können auch die Debatten vertiefen. Ich halte sie auch für notwendig.“ Der Juso-Landeschefin, die von ihm verlangt hatte, stärker auf die Mitglieder zu hören: „Was kann man denn mehr tun, als die Mitglieder zu fragen, ob wir in eine Regierung gehen sollen?“ Es habe ein klares Ergebnis gegeben. „Und das müssen wir dann auch ernst nehmen, was die Mitglieder uns mit auf den Weg geben.“
Der SPD-Chef warnt vor einer Kehrtwende in der Programmatik. Die Antwort auf die 16,4 Prozent dürfe nicht sein, dass die SPD noch polarisierter, radikaler oder weiter nach links rücken müsse. Man müsse stattdessen Politik für die hart arbeitenden Menschen der Mitte machen, die man verloren haben.