In Zeiten geopolitischer Spannungen wird Hamburg mit einer sich wandelnden Bedrohungslage konfrontiert. Die Stadt ist bedeutender Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort und im Kriegsfall eines der wichtigsten Nadelöhre für Truppenverlagerungen.

Hamburg rückt immer stärker in den Fokus fremder Nachrichtendienste: Sabotageakte, Desinformationskampagnen und Cyberangriffe stellen neue Herausforderungen dar. Im Gespräch mit WELT AM SONNTAG gibt Torsten Voß, Leiter des Hamburger Verfassungsschutzes, Einblicke in die aktuelle Gefährdungslage. Er erläutert, wie sich die Arbeit des Inlandsnachrichtendienstes verändert und welche Rolle hybride Bedrohungen spielen.

WELT AM SONNTAG: Sie haben unmittelbar vor den Bundestags- und Bürgerschaftswahlen in einem Schreiben an die Hamburger Abgeordneten vor einer sich verändernden Bedrohungslage gewarnt. Was war passiert?

Torsten Voß: Sabotage ist nicht neu, aber die Akteure haben sich verändert. Waren in der Vergangenheit Extremisten und Terroristen für solche Angriffe verantwortlich, sehen wir heute verstärkt auch Aktivitäten fremder, insbesondere mutmaßlich russischer Nachrichtendienste. Diese sogenannte hybride Bedrohung umfasst neben klassischer Spionage auch gezielte Sabotageakte und Desinformationskampagnen. Ziel ist es, Unsicherheit zu schaffen, das Vertrauen in demokratische Institutionen zu untergraben und Einfluss auf politische Prozesse zu nehmen. Hamburg als bedeutender Wirtschafts- und Hafenstandort steht besonders im Fokus. Cyberangriffe auf Unternehmen und Forschungsinstitute nehmen zu. Zudem gibt es bundes- und europaweit Versuche, kritische Infrastruktur zu gefährden.

WamS: War die Bürgerschaftswahl denn gefährdet?

Voß: Nein, die Wahl ist sicher abgelaufen. Wir haben keine Hinweise darauf, dass es Manipulationen gab. Aber es gab jenes Fake-Video, das Wahlbetrug suggerierte und das noch Bestandteil von Ermittlungen ist, das im Kontext der Bundestagswahl kursierte und Hamburg als Schauplatz hatte. Solche Vorfälle zeigen, dass die Bedrohung real ist und wir wachsam bleiben müssen.

WamS: Inwiefern verändert sich die Arbeit des Verfassungsschutzes durch die neuen Bedrohungen?

Voß: Unsere Aufgaben haben sich stets mit den Bedrohungslagen entwickelt. Bis 1990 war die Spionageabwehr, insbesondere gegen die Staatssicherheit der DDR, ein zentraler Schwerpunkt. Nach dem Mauerfall verlagerte sich der Fokus unter anderem auf den Rechtsextremismus und später, nach „9/11“, zusätzlich auch auf den Islamismus. Jetzt sehen wir, dass hybride Bedrohungen eine immer größere Rolle spielen. Deshalb wird der Verfassungsschutz verstärkt in den Bereichen Spionageabwehr, Cyberabwehr und Sabotageprävention tätig sein und dafür auch personell ausgebaut. In der Innenbehörde wird derzeit eine neue Abteilung aufgebaut, die sich explizit mit hybriden Bedrohungen befasst. Es ist die größte Umstrukturierung der Behörde, seit Helmut Schmidt Innensenator war. In diesem Kontext wird erstmals auch ein eigenes Referat für zivil-militärische Zusammenarbeit eingerichtet.

WamS: Was bedeutet zivil-militärische Zusammenarbeit?

Voß: Bei der zivil-militärischen Zusammenarbeit arbeiten staatliche und nicht staatliche zivilen Organisationen mit der Bundeswehr unter anderem bei der Bündnis- und Landesverteidigung zusammen. Die strikte Trennung zwischen innerer und äußerer Sicherheit verschwimmt zunehmend. Verfassungsschutz, Polizei und andere zivile Einrichtungen müssen angesichts der Bedrohung noch enger mit militärischen Institutionen zusammenarbeiten. In einem möglichen Bündnisfall, wenn 800.000 Nato-Soldaten an die Ostflanke gebracht werden müssten, wäre Deutschland – also auch Hamburg –, eine wichtige logistische Nato-Drehscheibe. Unsere Beobachtung und Aufklärung wird ein wichtiger Baustein dafür sein, dass solche Verlastungen funktionieren.

WamS: Von welchen Staaten, neben Russland, geht insbesondere eine Bedrohung für Deutschland aus?

Voß: Es gibt ganz unterschiedliche Akteure mit unterschiedlichen Zielen. China betreibt intensiv Wirtschaftsspionage, der Iran fokussiert sich auf Oppositionelle im Ausland. Aber insbesondere Russland nutzt gezielt hybride Methoden, um geopolitische Interessen durchzusetzen. Dazu zählen Influencer, die prorussische Narrative verbreiten und rechtsextreme Parteien unterstützen, um destabilisierende Verhältnisse zu schaffen. Dazu zählt die sogenannte Doppelgänger-Kampagne, bei der Fake News verbreitet werden, die in ihrer Aufmachung etablierte westliche Medien imitieren. Und wir registrieren sogenannte Low Level Agents, auch Proxis genannt. Das sind Personen ohne Geheimdienstbezug, die für Sabotageakte gekauft werden. Die Herausforderung liegt darin, dass diese Akteure selten klar einem Staat oder einer Organisation zuzuordnen sind. Möglicherweise ahnen sie manchmal selbst nicht, wer der Auftraggeber ist.

WamS: Wie geht der Hamburger Verfassungsschutz konkret mit diesen Herausforderungen um?

Voß: Wir haben primär eine aufklärende und präventive Funktion. Das bedeutet, wir beobachten, klären auf und informieren politische Entscheidungsträger, Institutionen und die Öffentlichkeit über Bedrohungen. Zudem kooperieren wir mit Landesmedienanstalten, um beispielsweise Falschinformationen aus dem Netz zu entfernen. In akuten Fällen arbeiten wir mit der Polizei zusammen, wenn es beispielsweise um strafrechtlich relevante Vorgänge geht. Ein Beispiel sind Drohnenflüge über sicherheitsrelevante Einrichtungen: Wir analysieren solche Vorfälle und klären, ob ein fremder Nachrichtendienst involviert sein könnte. Die operative Abwehr solcher Angriffe liegt dann jedoch bei der Polizei oder anderen zuständigen Stellen.

WamS: Was können Einzelpersonen tun, um sich gegen Desinformation oder digitale Angriffe zu schützen?

Voß: Wachsamkeit ist der Schlüssel. Menschen sollten sich bewusst sein, dass nicht jede Nachricht, die sie in sozialen Medien sehen, der Wahrheit entspricht. Eine gesunde Skepsis gegenüber Sensationsmeldungen ist wichtig. Zudem sollte jeder sorgsam mit seinen digitalen Identitäten umgehen, sichere Passwörter nutzen und verdächtige Anhänge oder Links meiden. Die Sensibilisierung für solche Themen ist ein zentraler Bestandteil unserer Arbeit.

WamS: Welche langfristigen Entwicklungen erwarten Sie in den kommenden Jahren?

Voß: Die hybride Bedrohung wird nicht verschwinden, selbst wenn geopolitische Konflikte wie der Ukraine-Krieg enden. Deutschland muss sich langfristig darauf einstellen, dass Spionage, Sabotage und Desinformation insbesondere von russischer Seite eine zentrale Herausforderung bleiben.

Denis Fengler berichtet für WELT und WELT AM SONNTAG aus Hamburg über Themen der inneren Sicherheit und spannende Kriminalfälle.