Schneller als erwartet hat das Bundesverfassungsgericht drei Personalvorschläge für die Nachfolge von Josef Christ gemacht: den BAG-Richter Günter Spinner und die BGH-Richter:innen Oliver Klein und Eva Menges.
Eigentlich werden die 16 Richter:innen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) je zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat gewählt. So wird die demokratische Legitimation des BVerfG sichergestellt. Wenn die Politik aber nicht vorankommt, kann das Gericht gem. § 7a Abs. 1 BVerfGG eigene Personalvorschläge machen.
Konkret geht es um die Nachfolge des Richters Josef Christ am Ersten Senat. Seine Amtszeit endete altersbedingt bereits im letzten Herbst. Seit dem ersten Dezember ist er nur noch geschäftsführend im Amt. Das Vorschlagsrecht für seine Nachfolge liegt bei der CDU/CSU. Zuständig für die Neuwahl ist der Bundestag. Die Nachfolger:in muss Richter:in an einem Obersten Bundesgericht sein. Erforderlich ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit.
Seegmüller ist vom Tisch
Die CDU/CSU hatte zunächst den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Robert Seegmüller vorgeschlagen, einen vom damaligen Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz ausgewählten sehr konservativen Asylskeptiker. Dessen Wahl kam im alten Bundestag aber nicht mehr zustande. Die Grünen hatten offiziell „Gesprächsbedarf“ angemeldet, inoffiziell hielten sie Seegmüller aber für nicht wählbar, da er sich bei einer persönlichen Vorstellung zu inkonsistent präsentiert habe.
Im neugewählten Bundestag ist die Lage für Seegmüller noch schwieriger geworden, da für eine Zwei-Drittel-Mehrheit nun auch die Stimmen der Linken (oder der AfD, was aber niemand erwägt) erforderlich sind. Seegmüllers Wahl ist damit faktisch vom Tisch. Die CDU/CSU muss den Vorschlag aber nicht förmlich zurückziehen, da über Seegmüller bisher ohnehin nur informell verhandelt wurde.
Vorschläge aus Karlsruhe
Wenn die Neuwahl eines Verfassungsrichters zwei Monate lang nicht gelingt, kann das Bundesverfassungsgericht gem. § 7a BVerfGG eigene Vorschläge machen. Der Wahlausschuss des Bundestags hatte das BVerfG Ende Januar entsprechend aufgefordert.
Allerdings hatte das BVerfG in einem Plenumsbeschluss Mitte Februar (eine Woche vor der Bundestagswahl) auf eine eigene Vorschlagsliste verzichtet. Der neugewählte Bundestags solle zunächst einmal selbst eine Neuwahl versuchen. Nur wenn das auch dem neuen Bundestag „nicht in überschaubarer Zeit“ gelingt, werde man eine Karlsruher Vorschlagsliste beschließen.
Auf einer neuen Plenums-Sitzung aller Verfassungsrichter:innen stellte das Gericht am heutigen Donnerstag fest, dass der Bundestag immer noch keinen Nachfolger für Josef Christ gewählt hat und beschloss daher eine Vorschlagsliste.
Dieses Vorgehen ist schon deshalb erstaunlich, weil der neue Bundestag bisher faktisch überhaupt keine Chance hatte, einen Verfassungsrichter zu wählen. Erst am gestrigen Mittwoch hat der Bundestag die Mitglieder des Wahlausschusses gewählt, der gem. § 6 BVerfGG die Richterwahl im Bundestag vorbereitet.
Spinner, Klein und Menges
Das BVerfG-Plenum hat nun eine Liste mit drei Bundesrichter:innen beschlossen. Vorgeschlagen werden der BAG-Richter Günter Spinner und die BGH-Richter:innen Oliver Klein und Eva Menges. Spinner und Menges sind Senatsvorsitzende, Klein ist es nicht.
Das BVerfG betonte in einer Pressemitteilung, es habe die „Vorschlagsgepflogenheiten“ berücksichtigt. Das soll vermutlich bedeuten, dass den BVerfG-Richter:innen bewusst war, dass für die Nachfolge Christ nach einer informellen Einigung der Parteien die CDU/CSU das Vorschlagsrecht hat. Tatsächlich gelten die drei Vorgeschlagenen überwiegend als CDU-nah.
Wie die Liste zustande kommt, ist in §§ 56ff der BVerfG-Geschäftsordnung geregelt. Danach hat jede Richter:in ein Vorschlagsrecht. Bei der geheimen Abstimmung hat jede Richter:in drei Stimmen. Wer die meisten Ja-Stimmmen erhält, steht auf der Liste ganz oben. An der Plenumsitzung nahmen 15 Richter:innen teil (Josef Christ war auf einer Dienstreise).
Die meisten Stimmen erhielt Günter Spinner (15), es folgten Oliver Klein (13) und Eva Menges (12). Weitere Richter:innen standen nicht zur Wahl.
Die Liste ist nicht verbindlich
Der Bundestag hat von der gesetzlichen Möglichkeit eigene Personalvorschläge zu machen, schon lange keinen Gebrauch mehr gemacht – obwohl die Politik bei der Verfassungsrichter-Wahl oft in Verzug geriet. Die letzte derartige Liste wurde 1993 beschlossen. Damals ging es um die Nachfolge von Vizepräsident Ernst-Gottfried Mahrenholz.
Inhaltlich ändert einer BVerfG-Vorschlagsliste nichts am Wahlverfahren. Der Bundestag kann auch weiterhin Personen wählen, die nicht auf der Liste stehen. Auch die Reihenfolge der Vorschläge auf der Liste ist ohne rechtliche Wirkung.
In der früheren Praxis wurden mehrfach Juristen gewählt, die das Bundesverfassungsgericht vorgeschlagen hatte, etwa Hans Joachim Faller (1971), Ernst Träger (1977) und Ernst-Gottfried Mahrenholz (1981). Oft wurden aber auch trotz einer BVerfG-Vorschlagsliste andere Personen gewählt.
Die CDU/CSU könnte nun zum Beispiel nach wie vor die konservative BGH-Richterin Angelika Allgayer vorschlagen, die schon neben Robert Seegmüller in der engeren Wahl gewesen war. Vorsorglich betonen die Verfassungsrichter:innen in ihrer Pressemitteilung, dass ihre Liste kein „nachteiliges Urteil“ über andere Personen beinhalte.
Jetzt beginnen neue Verhandlungen
Zunächst muss nun also die CDU/CSU einen neuen Kandidaten finden. Der bisherige Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz ist nun Kanzler und wird sich wohl nicht mehr einbringen. Der neue Fraktionsvorsitzende Jens Spahn ist kein Jurist, so dass nun wieder eher die Rechtspolitiker:innen der CDU/CSU das Heft in der Hand haben.
Weil ja eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich ist, muss sich die von der CDU/CSU vorgeschlagene Jurist:in dann auch bei den anderen Fraktionen, auf deren Stimmen es ankommt, vorstellen (also bei SPD, Grünen und Linken, nicht bei der AfD). Der Wahlausschuss wird erst einberufen, wenn eine Mehrheit für eine Kandidat:in gesichert ist.
Klärungsbedürftig ist hier noch die Rolle der Linken, die bislang nicht für die Mehrheitsbeschaffung gebraucht wurde. „Perspektivisch sollte auch die Linke ein Vorschlagsrecht für neue Verfassungsrichter und -richterinnen bekommen“, sagte die Abgeordnete Clara Bünger, die für die Linke im Wahl-Ausschuss sitzt, „wir wissen, dass es auch auf unsere Stimmen ankommt.“
Um im Bundestag eine Zwei-Drittel-Mehrheit zu erreichen, waren in den letzten zwei Wahlperioden die Stimmen von CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP erforderlich. Informell wurden daher die Vorschlagsrechte nach der Formel 3:3:1:1 verteilt. Das heißt: CDU/CSU und SPD durften pro Senat je drei Verfassungsrichter vorschlagen, Grüne und FDP je einen Richter.
Ob die CDU/CSU der Linken ein Vorschlagsrecht zugesteht, ist allerdings noch völlig offen. Nach Unions-Verständnis verbietet es ein Unvereinbarkeitsbeschluss eigentlich, Anträgen der Linken zuzustimmen oder gemeinsame Anträge mit der Linken einzubringen. Derzeit gerät allerdings manches in Bewegung, nachdem Friedrich Merz am 6. Mai nur dank eines gemeinsamen Geschäftsordnungsantrags von CDU/CSU, SPD, Grünen und Linken noch einen zweiten (und diesmal erfolgreichen) Kanzler-Wahlgang erhielt.
Ein eleganter Kompromiss könnte sein, dass die Linke zunächst kein eigenes Vorschlagsrecht für eine Verfassungsrichter-Position erhält, dass aber die SPD die Linke bei ihrem Vorschlag mitentscheiden lässt. Es wäre dann formal immer noch ein Vorschlag der SPD, aber die Linke hätte faktisch ein Vetorecht.
Oder doch der Bundesrat?
Mit der Vorlage einer eigenen Vorschlagsliste durch das BVerfG beginnt gem. § 7a Abs. 5 BVerfGG eine drei-monatige Frist zu laufen. Wenn der Bundestag binnen dieser Frist keine Nachfolge für Josef Christ wählt, kann der Bundesrat die Wahl übernehmen.
Dieser Ersatzwahl-Mechanismus war erst im Dezember mit Blick auf eine mögliche Blockade durch die AfD in Artikel 93 Abs. 2 Grundgesetz verankert worden. Davon wollen die etablierten Parteien aber nach Möglichkeit nicht Gebrauch machen, es sähe zu sehr nach Unregierbarkeit und Kontrollverlust aus. Und der Bundesrat wird davon wohl auch kaum gegen den Willen des Bundestags Gebrauch machen, wenn dieser noch Hoffnung hat, zu einer Einigung zu kommen.
Das BVerfG hat mit seiner Vorschlagsliste damit zwar etwas Zeitdruck ausgelöst, aber auch dieser ist eher symbolisch.
Zitiervorschlag
Neuwahl eines Verfassungsrichters:
. In: Legal Tribune Online,
22.05.2025
, https://www.lto.de/persistent/a_id/57266 (abgerufen am:
22.05.2025
)
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