Die Klimaklage eines peruanischen Bauern gegen RWE scheiterte, das Gericht sieht keine konkrete Gefahr für sein Haus. Dennoch stellt das OLG fest: Große Emittenten können im Grundsatz zur Verantwortung gezogen werden.
Vor mittlerweile knapp zehn Jahren hat der peruanische Landwirt und Bergführer Saúl Luciano Lliuya seine Klimaklage gegen den Energiekonzern RWE eingereicht. Sein Haus liegt in der Stadt Huaraz am Fuße einer Gebirgskette mit mehreren Gletscherseen. Durch den Klimawandel schmelzen die Gletscher immer mehr, während der Pegel des Gletschersees oberhalb der Stadt, der Laguna Palcacocha, immer weiter steigt. Luciano Lliuya befürchtet, dass dadurch eine Flutwelle ausgelöst werden könnte, die sein Haus trifft.
Um dem vorzubeugen, könnte der Wasserpegel der Lagune gesenkt werden – mit Kosten in Höhe von umgerechnet rund 3,5 Millionen Euro. Mit seiner Klage wollte Luciano Lliuya erreichen, dass RWE als einer der größten CO2-Emittenten Europas sich anteilig an den Kosten für diese Schutzmaßnahmen beteiligen muss. Das wären hier 17.000 Euro, was dem Anteil von RWE an den globalen CO2-Emissionen in Höhe von 0,38 Prozent entspricht. Unterstützt wird Luciano Lliuya von der Stiftung Zukunftsfähigkeit und der Umweltorganisation Germanwatch.
Es folgten ein spektakulärer Ortstermin in Peru, zwei Sachverständigengutachten und zwei lange Verhandlungstage in Hamm, bei denen es mehr um geowissenschaftliche Zusammenhänge als um Jura ging. Am Mittwoch hat das Oberlandesgericht (OLG) Hamm jetzt seine Entscheidung verkündet: RWE muss sich nicht anteilig an den Kosten beteiligen (Urt. v. 28.05.2025, Az. 5 U 15/17). In absehbarer Zeit drohe keine ernsthafte Gefahr für das Haus des Klägers, so die Richterinnen und Richter.
Dennoch macht der Vorsitzende Richter Dr. Rolf Meyer in der mündlichen Urteilsbegründung deutlich, dass große Emittenten von CO2 grundsätzlich haftbar gemacht werden können – wenn eine konkrete Beeinträchtigung drohe und auch die weiteren Voraussetzungen erfüllt seien, etwa die Störereigenschaft des Unternehmens.
OLG: Haftung im Grundsatz möglich
Luciano Lliuya stützt seine Klage auf einen Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Demnach kann der Eigentümer von dem Störer die Unterlassung „drohender Beeinträchtigungen“ seines Eigentums verlangen. Dabei kann nicht nur der Gläubiger eines Beseitigungsanspruchs, sondern auch der Gläubiger eines vorbeugenden Unterlassungsanspruchs Ersatz verlangen.
Luciano Lliuya argumentiert, die Schutzmaßnahmen an der Lagune seien eigentlich Aufgabe von RWE. Deshalb geht es hier um einen Erstattungsanspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag nach §§ 677 ff. BGB bzw. Eingriffskondiktion aus §§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2, 818 Abs. 2 BGB.
Wenn eine konkrete Beeinträchtigung drohe, könnten CO2-Emittenten verpflichtet sein, Maßnahmen zur Verhinderung zu ergreifen, betonte der Vorsitzende Meyer ausdrücklich. Wenn die Emittenten entsprechende Maßnahmen endgültig verweigerten, könnten sie verpflichtet werden, sich entsprechend ihrem Emissionsanteil an den Kosten zu beteiligen – schon bevor die Kosten überhaupt entstanden sind. Daran ändere auch die große Entfernung zwischen den RWE-Kraftwerken und dem Haus des Klägers in Peru nichts.
Auch könne RWE nicht auf den nach deutschem Recht bestehenden Versorgungsauftrag berufen, um eine Beeinträchtigung des Eigentums des Klägers in Peru zu rechtfertigen, so Meyer.
Wie groß ist die Gefahr einer Flutwelle?
Die Klage scheiterte jedoch daran, dass das Gericht keine hinreichend drohende Beeinträchtigung für das Haus des Klägers in Peru sieht.
Die beiden Sachverständigen, der Darmstädter Geowissenschaftler und Statiker Prof. Dr. Ing. Rolf Katzenbach und der österreichische Professor für Alpine Naturgefahren Johannes Hübl, hatten die Wahrscheinlichkeit, dass eine von dem Gletschersee ausgehende Flutwelle in den nächsten 30 Jahren das Haus des Klägers trifft, auf lediglich ein Prozent beziffert.
Komme es doch zu einer Flutwelle, werde das Grundstück des Bauern nach Berechnungen der Gutachter höchstens 20 Zentimeter hoch überschwemmt. Dies mache der Bausubstanz nichts aus, hatte Katzenbach bei der mündlichen Verhandlung im März gesagt.
Zu einem gänzlich anderen Ergebnis kommt ein Gegengutachten, das die Klägerseite in Auftrag gegeben hatte. Geotechniker und Permafrost-Experte Lukas Arenson kritisierte insbesondere, die gerichtlichen Sachverständigen hätten den Klimawandel in ihren Berechnungen nicht ausreichend berücksichtigt. Die Gebirgsfestigkeit nehme durch die Permafrost-Erwärmung ab, so Arenson. In die Wahrscheinlichkeitsberechnung müsse daher ein Klimafaktor einberechnet werden. Dann könne die Wahrscheinlichkeit für eine Flutwelle auf zehn oder gar 20 Prozent steigen.
OLG: Tatsächliches Risiko „deutlich unterhalb von einem Prozent“
Nach der mündlichen Verhandlung im März 2025 hatte die Klägerseite auch einen Befangenheitsantrag gegen den Sachverständigen Katzenbach gestellt. Es ging um eine Geschäftsbeziehung zwischen seinem Ingenieurbüro und der RWE-Tochtergesellschaft RWE Nuclear. RWE Nuclear soll seit 2001 insgesamt drei Überwachungs- und Prüfaufträge an Büro vergeben haben.
Daher war der ursprünglich anberaumte Verkündungstermin vom 14. April 2025 verschoben worden. Das OLG hatte den Befangenheitsantrag jedoch abgelehnt: Zum einen sei die Frist nicht eingehalten worden. Zum anderen sah es den Sachverständigen aber auch nicht als befangen an: RWE Nuclear habe einen Mitgesellschafter des Ingenieurbüros beauftragt; Katzenbach sei weder zuständig noch überhaupt involviert gewesen.
Auch mit den methodischen Einwänden gegen das Gutachten kam die Klägerseite nicht durch. Insbesondere hielt das Gericht die Einbeziehung eines „Klimafaktors“ nicht für notwendig.
Vielmehr sei es sogar so, dass die vom Sachverständigen in seinen Berechnungen getroffenen Annahmen insgesamt den Kläger begünstigten. Etwa sei ein vorgelagerter Flachwasserbereich unberücksichtigt geblieben und die Möglichkeit zur Absenkung des Pegels des Sees durch die Behörden sei nicht berücksichtigt worden. Das tatsächliche Risiko läge daher – so das Gericht – noch deutlich unterhalb der Wahrscheinlichkeit von einem Prozent.
Klägeranwältin: „Rückenwind für Klimaklagen gegen fossile Unternehmen“
Die konkrete Klage ist zwar gescheitert. Dennoch ist es bemerkenswert, dass das OLG Hamm eine Haftung deutscher Unternehmen für Folgen des Klimawandels in anderen Staaten im Grundsatz für möglich hält.
„Große Emittenten können für die Folgen ihrer Treibhausgasemissionen zur Verantwortung gezogen werden. Das Urteil ist ein Meilenstein und wird Klimaklagen gegen fossile Unternehmen und damit der Abkehr von fossilen Brennstoffen weltweit Rückenwind geben“, sagt Klägeranwältin Dr. Roda Verheyen, Partnerin bei der Kanzlei Günther.
Die Einschätzung teilt auch Prof. Jan-Erik Schirmer von der Europa-Universität Viadrina, der sich in seiner Forschung intensiv mit dem RWE-Fall beschäftigt hat. Der Klage sei ein winziges Detail zum Verhängnis geworden – aber Details ließen sich ändern. „Hätte nicht Lliuya geklagt, sondern ein Nachbar mit einem flussnäheren Grundstück, hätten die Sachverständigen das Überflutungsrisiko wahrscheinlich deutlich höher bewertet und das OLG Hamm auf eine drohende Beeinträchtigung erkannt“, so der Experte für Klimahaftung.
Naturgemäß anders sieht das RWE. „Mit der Entscheidung des OLGs Hamm ist der von deutschen NGOs unterstützte Versuch gescheitert, über die Klage von Herrn Saúl Luciano Lliuya einen Präzedenzfall zu schaffen, um nach deutschem Recht einzelne Unternehmen für Auswirkungen des Klimawandels weltweit verantwortlich zu machen“, heißt es in einer Pressemitteilung.
Eine solche zivilrechtliche „Klimahaftung“ hätte „unabsehbare Folgen für den deutschen Industriestandort, weil damit letztlich gegen jedes deutsche Unternehmen Ansprüche aus Klimafolgeschäden irgendwo auf der Welt geltend gemacht werden könnten“, so die Pressemitteilung weiter. Ähnlich hatte auch Freshfields-Partner Dr. Moritz Becker, der RWE in dem Verfahren vertritt, bei der mündlichen Verhandlung argumentiert.
800.000 Euro Gerichts- und Gutachterkosten
Damit geht ein Mammutverfahren vor dem OLG Hamm zu Ende – mit Gerichts- und Gutachterkosten in Höhe von rund 800.000 Euro. Die Revision hat das OLG nicht zugelassen.
Roda Verheyen hat aber bereits weitere Mandanten in Huaraz und auch in Nepal. Weitere Klagen könnten daher folgen. Auch vor dem OLG Hamm? Richter Meyer hat erstmal genug – und bedankt sich bei allen Kolleginnen und Kollegen für ihre Arbeit, während er in den letzten acht Jahren vor allem mit dem Klima-Verfahren beschäftigt war. „Das Verfahren fordert nicht zur Nachahmung auf und wird wahrscheinlich, zumindest zu meinen Lebzeiten, das einzige seiner Art bleiben“, sagt er bei der Urteilsverkündung.
Mit Material der dpa
Artikel in der Fassung vom 28. Mai 2025, 16:50.
Beteiligte Kanzleien
Zitiervorschlag
Peruanischer Bauer gegen RWE:
. In: Legal Tribune Online,
28.05.2025
, https://www.lto.de/persistent/a_id/57291 (abgerufen am:
28.05.2025
)
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