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Nachdem im Bundestag die Verfassungsrichter-Wahl abgesagt werden musste, sorgen die zwei von der SPD vorgeschlagenen Kandidatinnen für das Richteramt des Bundesverfassungsgerichts weiter für Aufsehen. Der Aufstand in der Union nimmt nicht ab. Und die SPD hält eisern an die in der Kritik stehenden Rechtsprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf fest.
Zugleich sprudelt die Gerüchteküche im Regierungsviertel über die Gründe, warum die Unions-Führung diesen Deal mit der SPD eingefädelt haben könnte.
Denn: Brosius-Gersdorf – die nach diesem Deal Vizepräsidentin des Verfassungsgerichts werden sollte – ist mit ihrer Ansicht, dass die „volle Garantie der Menschenwürde erst ab der Geburt“ gelte, völlig konträr zu den Christdemokraten.
Marcel Luthe (Ex-FW, parteilos), der Vorsitzende der Good Governance Gewerkschaft (GGG), hat eine Vorahnung, was hinter dem Richter-Deal stecken könnte: CDU und SPD würden ihre 900 Milliarden Euro Schulden – also die Grundlage, weshalb die schwarz-rote Koalition zustande kam – im Bundesverfassungsgericht absichern wollen.
„Über der Koalition schwebt das Damoklesschwert dieses Verfahrens“, sagt der Berliner Unternehmer Marcel Luthe im Gespräch mit Euronews. Denn seine Gewerkschaft reichte zwei Klagen gegen den Schuldendeal beim Bundesverfassungsgericht ein, dessen Urteil immer noch aussteht.
Er erklärt: „Die derzeitige Vizepräsidentin Frau König hat 2023 beim Klimafonds gezeigt, dass ihr das Recht wichtiger ist als Parteiklüngel. Richter am Ende der Laufbahn sind unabhängig. Deshalb braucht die Koalition Frauke Brosius-Gersdorf und Ann-Katrin Kaufhold schnell im 2. Senat, um die 900 Milliarden Merz-Schulden durchzubringen.“
Das könnte auch erklären, weshalb die grüne Opposition auf die zwei Kandidatinnen bestehen, meint Luthe. „Für die Grünen hängen 100 Milliarden Subventionen – vulgo: ‚Klimafonds‘ – für deren Großspender an der Personalie. Das erklärt die Empörung über selbstbewusste Abgeordnete.“
Der Unternehmer Luthe, der ehemals für die FDP Abgeordnetenhaus saß, ist bekannt für sein kritisches Gespür. Er stellte die Rechtmäßigkeit der Bundestagswahl 2021 in Frage. Nach seiner Klage vorm Bundesverfassungsgericht: musste diese in Teilen wiederholt werden.
Die Vizepräsidentin Doris König kam damals ebenfalls über das SPD-Ticket in das Bundesverfassungsgericht rein – allerdings muss die SPD sich heute vor ihr in Acht nehmen. Denn König hat bereits einen Haushalt von der Ampel, also der letzten SPD-Regierung unter Olaf Scholz, platzen lassen, weil dieser verfassungswidrig war. Ihr wird nachgesagt, nicht erpressbar zu sein.
Vor diesem Hintergrund wirft das Handeln des Bundesverfassungsgericht in der Causa einer Rechtsprechung zum Vorgehen des Schulden-Deals Fragen auf. Euronews erklärt die brisanten Ungereimtheiten.
Zögert das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung hinaus?
Im März: wurde das umstrittene XXXL-Schuldenpaket von Friedrich Merz (CDU) wurde im Eiltempo vom alten Bundestag beschlossen. Dafür gab es ein Bündnis von Union, SPD und den Grünen. Eine nötige Mehrheit für eine Verfassungsänderung wäre nicht mit dem neuen Bundestag zustande gekommen. Dabei stand das neue Parlament bereits in den Startlöchern – während das alte keine Zeit hatte, ordnungsgemäß die Vorschläge zu beraten.
Auch im März: reichte Marcel Luthes Gewerkschaft mit der damals noch tätigen Abgeordneten Joana Cotar (Ex-AfD, parteilos) eine Klage dagegen ein.
Doch erst im Juli: wurde der Good Governance Gewerkschaft von Vizepräsidentin König mitgeteilt, dass das Bundesverfassungsgericht erst im Juni dem 21. Deutschen Bundestag eine Stellungnahmefrist bis September gab. Das bedeutet: Vor September gibt es KEINE Entscheidung mehr im 2. Senat, ob der Vorgang des Schuldendeals verfassungswidrig war.
Das verwundert deshalb, weil die Parlaments-Sommerpause genau dazwischen liegt. Das Verfassungsgericht müsste also nochmal die Frist verlängern. Immerhin geht es um eine eilbedürftige Rechtssprechung – denn der Schulden-Haushalt wird gerade erstellt.
„Wenn das Grundlage der Koalition sein soll, ist das das Ende unserer christdemokratischen Partei“
Dies lässt die brisanten Fragen aufkommen:
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Wieso braucht das oberste Gericht seit März bis Juni, um den Bundestag um eine Stellungnahme zu bitten?
Wieso wurde die Stellungnahmefrist auf September gelegt, wenn doch eine Sommerpause dazwischen liegt?
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Zögert das Bundesverfassungsgericht etwa eine Entscheidung zu der Klage hinaus? Etwa so lange, bis die neuen Wunsch-Richterinnen, die über das SPD-Ticket kommen, in dem 2. Senat sitzen?
Euronews stellte dazu eine Anfrage an das Verfassungsgericht. Die Antwort steht noch aus. Klar ist bisher nur: Dass im Juli die neuen Verfassungsrichterinnen, vorgeschlagen von der SPD, in den 2. Senat gewählt werden sollten. Brosius-Gersdorf sollte – ausgehandelt mit der Union – Vizepräsidentin werden, also Nachfolgerin von der kritischen Richterin König. Nun soll Ann-Katrin Kaufhold Vizepräsidentin werden. Voraussichtlich wird erst im September im Bundestag eine neue Richter-Wahlrunde angesetzt.
„Sollte das hinter dem Deal stecken, kann ich als CDU-Abgeordneter mein Mandat auch gleich aufgeben. Wir wollten als Fraktion weder Milliarden Schulden noch linke Aktivisten als Verfassungsrichter. Jetzt müssen wir uns beides gefallen lassen. Wenn das die Grundlage der Koalition sein soll, ist das die Grundlage für das Ende unserer christdemokratischen Partei. Dann ist das C, D und P weg“, meint ein Bundestagsabgeordneter der Union zu Euronews im Hintergrund.
Grünen drängen auf rasche Richterwahl
Die Grünen hingegen drängen dazu, eine Sondersitzung zur Wahl der Verfassungsrichtern noch in dieser Woche zu ermöglichen. Das forderten die Fraktionsvorsitzenden Katharina Dröge und Britta Haßelmann von Union und SPD in einem Brief.
„Es ist inakzeptabel, dass in rechten Kampagnen Unwahrheiten, Überspitzungen und verzerrte Aussagen über Frau Prof. Brosius-Gersdorf verbreitet werden“, sagte Dröge am Dienstag. Staatsrechtlerin Frauke Brosius-Gersdorf hat Darstellungen zurückgewiesen, sie sei „ultralinks“ oder „linksradikal“.
Diese Positionen von Frauke Brosius-Gersdorf werden kritisiert:
- Sie hält eine gesetzliche Frauenquote im Wahlrecht für möglich – das Bundesverfassungsgericht ist dazu bisher skeptisch.
- Die Juristin philosophierte über eine verfassungsrechtliche Verankerung einer Corona-Impfpflicht.
- Sie hält die gerichtliche Entscheidung eines verfassungsgemäßen Kopftuchverbots für muslimische Rechtsreferendarinnen für falsch. Das Kopftuch verstoße „nicht gegen das Neutralitätsgebot des Staates“, meint sie.
- Die Rechtsprofessorin sprach sich dafür aus, Schwangerschaftsabbrüche straffrei zu machen. Sie erklärte gar, dass die volle Garantie der Menschenwürde erst ab der Geburt gelte.
- Auch für Aufsehen erregt Brosius-Gersdorf, weil sie ein AfD-Verbot – also ein Verbot der aktuell größten Oppositionspartei in Deutschland – befürwortet.
Grünen drängen auf rasche Richterwahl – Brosius-Gersdorf weist Vorwürfe zurück
Die Grünen hingegen drängen dazu, eine Sondersitzung zur Wahl der Verfassungsrichtern noch in dieser Woche zu ermöglichen. Das forderten die Fraktionsvorsitzenden Katharina Dröge und Britta Haßelmann von Union und SPD in einem Brief am Dienstag. „Es ist inakzeptabel, dass in rechten Kampagnen Unwahrheiten, Überspitzungen und verzerrte Aussagen über Frau Prof. Brosius-Gersdorf verbreitet werden“, sagte Dröge.
Staatsrechtlerin Frauke Brosius-Gersdorf hat die Vorwürfe zurückgewiesen, sie sei „ultralinks“. In einem Brief an die Medien, verteidigt sie sich gegen alle Kritikpunkte. Die Darstellung ihrer Person sei „unzutreffend und unvollständig, unsachlich und intransparent“ gewesen. „Sie war nicht sachorientiert, sondern von dem Ziel geleitet, die Wahl zu verhindern“, heißt es weiter.
Jurist: Klage-Erfolg würde wohl nicht zur „Nichtigkeit der Abschaffung der Schuldenbremse“ führen
Etwas skeptischer sieht das der Rechtsexperte Ulrich Vosgerau. „Brosius-Gersdorf und Kaufhold kommen – sollten sie gewählt werden – mit größter Sicherheit in den zuständigen Zweiten Senat.“
ABER: „Ob ihre Anwesenheit dort entscheidenden Einfluss auf die Entscheidung des Rechtsstreits haben würde, ist zu bezweifeln.“
Vosgerau begründet seine Zweifel damit, dass der Zweite Senat „schon in seinem Urteil vom 24. Januar 2023 (2 BvE 5/18) – ich habe die Klägerin vertreten – die Überlegung, bereits das Demokratieprinzip des Grundgesetzes begründe auch das Recht auf ein deliberatives Entscheidungs- und Beratungsverfahren, zu dem hinreichend Zeit sein muss, brüsk vom Tisch gewischt hatte.“
Weiter erklärt Vosgerau: „Wichtiger ist noch: Selbst ein voller Erfolg der Organstreitklage von Cotar würde nicht zur „Nichtigkeit der Abschaffung der Schuldenbremse“ führen, sondern erstmal nur zu der Feststellung, daß die Beteiligungsrechte der fraktionslosen Abgeordneten Cotar verletzt worden sind. Für die Allgemeinheit ändert sich dadurch nichts.“
Doch: Der Jurist Ulrich Vosgerau hält das Verfahren beim Schuldendeal ebenfalls für verfassungswidrig.
Bisher hätte das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen über die Klagen von Abgeordneten der AfD im März „verkannt“, dass am 18. März der neue Bundestag bei einer Beschlussfassung über die Verfassungsänderung zusammengerufen hätte werden müssen. Denn laut Vosgerau wurde am 14. März das Endergebnis der Bundeswahl festgestellt, wodurch „der neue Bundestag zuständig“ wurde.
Zum Problem bei der Klage könnte es womöglich werden, dass die Klägerin Joana Cotar dem alten – und nicht dem neuen – Bundestag angehört, mutmaßt Vosgerau.
Bekannt wurde Vosgerau dadurch, dass er immer wieder die AfD berät und vertritt. Er ist CDU-Mitglied im Berliner Kreisverband Pankow.