Im Tiergarten Nürnberg wurden diese Woche nach monatelanger Diskussion zwölf Guinea-Paviane erschossen – nur weil kein Platz mehr da war. Das hat massive Proteste ausgelöst. Sönke Gerhold erklärt im LTO-Interview die Rechtslage.

LTO: Herr Professor Gerhold, Tierschutzorganisationen halten die Tötung der Paviane für einen Verstoß gegen das Tierschutzrecht. Über welche Normen sprechen wir hier? 

Prof. Dr. Sönke Gerhold: Maßgeblich ist in solchen Fällen § 17 Tierschutzgesetz (TierSchG). Die Norm verbietet das Töten von Wirbeltieren ohne vernünftigen Grund. § 42 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) stellt dabei ausdrücklich klar, dass das TierSchG und mit ihm § 17 TierSchG auch für in Zoos gehaltene Tiere gilt. Ob ein vernünftiger Grund vorliegt, der die Tiertötung ausnahmsweise rechtfertigen kann, ist im Rahmen einer umfassenden Güter- und Interessenabwägung zu bestimmen.

Wie sieht die aus? Gibt es dazu Rechtsprechung?

Die bislang wichtigste Entscheidung zum Töten von Zootieren hat das Oberlandesgericht (OLG) Naumburg im Jahr 2011 getroffen. Das Gericht bestätigte in dem Beschluss die Verurteilung mehrerer Zoomitarbeiter wegen der mittäterschaftlichen Tötung von zwei Tigern, die sich nicht für die weitere Zucht geeignet hätten.

Als nichtamtlichen Leitsatz dieser Entscheidung könnte man formulieren: Entsprechende artenschutzrechtliche Erwägungen können das Tierschutzrecht in der Güterabwägung nicht per se verdrängen. Eine Abwägung ist zwingend. Eine nur geringfügige Förderung des Artenschutzes durch die Tötung zweier nicht zur Zucht geeigneter Tiger ist insofern nicht gerechtfertigt. 

Das OLG stellt in diesem Beschluss zudem in Übereinstimmung mit der herrschenden Lehre klar: Platzmangel allein rechtfertigt im Grundsatz keine Tötung, wenn der Zoo Fortpflanzung trotz Raumknappheit bewusst zugelassen und das Problem damit selbst verursacht hat. Die menschliche Verantwortung für die durch ihn bewusst herbeigeführte Lebenssituation der Tiere schließt die Tötung gesunder Tiere grundsätzlich aus. 

Tiere töten, weil für sie kein Platz mehr da ist oder sie nicht mehr für den Artenschutz oder zu wirtschaftlichen Zwecken gebraucht werden: Das erinnert an die Kükenschreddern-Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG). Ist die Tötung von „überzähligen“ Zootieren mit diesem Verbot vergleichbar? 

Das BVerwG hat in seiner Entscheidung zum Kükentöten klargestellt, dass wirtschaftliche Interessen allein keinen vernünftigen Grund zur Tötung von Tieren darstellen. Den männlichen Küken werde ihr Eigenwert vollständig abgesprochen und sie würden nur deshalb getötet, um jede wirtschaftliche Aufwendung für ihre Lebenserhaltung zu vermeiden. Die Abwägung zwischen Tierleben und der ausschließlichen Ersparung von Aufwendungen fiel für das BVerwG daher eindeutig aus. Es heißt ausdrücklich: Durch das systematische Töten aller männlichen Küken werde der Lebensschutz dieser Tiere nicht nur zurückgedrängt, sondern gänzlich aufgegeben. 

So klar ist der Fall im Tiergarten Nürnberg nicht, auch wenn bei vordergründiger Betrachtung einiges dafürspricht, dass dort eine Grenze überschritten wurde. Anders wäre es zum Beispiel, wenn ein Zoo Jungtiere vorsätzlich tötet, die er zunächst für kurze Zeit als „süßen“ Publikumsmagneten missbrauchte, um anschließend Platz für neue Jungtiere zu schaffen. Das wäre eine deutliche Parallele zum Kükentöten-Fall. 

Noch einmal konkret zum Nürnberger Pavian-Fall: Halten Sie die Tötung allein aus Platzgründen für eine im juristischen Sinne verhältnismäßige Maßnahme? 

Die Antwort auf diese Frage hängt in der Praxis der Tiergärten von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die tatsächliche Feststellung der Rechtswidrigkeit muss das Ergebnis einer Gesamtabwägung sein. Geht es im Einzelfall tatsächlich allein um die Tötung der Tiere, um Platz für neue Tiere zu schaffen, oder ausschließlich darum, die Population zu verkleinern, und wurden auch keine Alternativen in Betracht gezogen, lautet die Antwort eindeutig nein. Es handelt sich dann nicht um ein verhältnismäßiges Vorgehen. 

Vor einer Tötung zur Bestandsreduktion müssen vielmehr alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um die Tötung zu vermeiden. Alternative Unterbringungsmöglichkeiten, den vorhandenen Platz vergrößern, Versuche, die Populationsgröße über Verhütung zu steuern, und so weiter – all das müsste fehlgeschlagen sein. 

Gibt es Alternativen, die Population auf andere Art und Weise zu verkleinern, ist die Tötung schon nicht erforderlich. Gibt es keine Alternativen und trifft die Verantwortlichen der Vorwurf, die Situation bewusst herbeigeführt zu haben, etwa um über das Zurschaustellen von Jungtieren die Besucherzahlen zu erhöhen, fehlt es an der Angemessenheit der Tötung. Auch wenn die Tötung erst zu einem späteren Zeitpunkt tatsächlich durchgeführt wird, ist im Moment der Verpaarung der Elterntiere bereits klar, dass es auf eine solche hinauslaufen wird. Dies ist im Rahmen der Abwägungsentscheidung zu berücksichtigen.

Im Nürnberger Fall hat der Tiergarten in einer eigenen Presseerklärung zugegeben, nicht alle möglichen Maßnahmen ergriffen zu haben, etwa durch Verhütung oder Sterilisation der Weibchen den Bestand zu kontrollieren. 

Das spricht erst einmal dafür, dass die Tötungen nicht in Übereinstimmung mit dem geltenden Recht erfolgten. Das Artenschutzargument allein kann die Tötung der Paviane jedenfalls nicht rechtfertigen. 

Es ist jedoch auch zu bedenken, dass sich auf den zweiten Blick erhebliche Unterschiede zur Tigerfall-Entscheidung des OLG Naumburg ergeben. So hat sich der Nürnberger Tiergarten immerhin nachweislich und über einen erheblichen Zeitraum um die Vermittlung der Tiere bemüht. Dass diese Bemühungen fehlschlagen würden, war im Zeitpunkt der Entscheidung, die Fortpflanzung zu ermöglichen, womöglich nicht vorhersehbar. Das gölte es für eine belastbare Einschätzung unter anderem aufzuklären.

Ebenfalls argumentiert der Tiergarten mit dem Umstand, dass für Paviane die Aufzucht von Jungen zentral für die psychische Tiergesundheit und das Sozialleben der Tiere sei. Dieses Argument liefe auf die Abwägung zweier durch Art. 20a Grundgesetz (GG) geschützter Interessen miteinander hinaus: Tierwohl gegen Tierleben. Wie groß der Eingriff in das Wohlbefinden wäre, wenn die Paviane keinen Nachwuchs hätten, lässt sich ohne entsprechende verhaltensbiologische Kenntnisse jedoch ebenfalls nicht sagen. Zu einer abschließenden Bewertung der individuellen Fälle ist daher ein artspezifisches, durch einen Sachverständigen zu erstattendes Gutachten notwendig.  

Sie sprechen die Staatszielbestimmung aus Art. 20a GG an. Diese verpflichtet den Staat, „die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere zu schützen“. Die Schutzpflicht gilt auch für Zootiere. Inwiefern ist dieser verfassungsrechtliche Tierschutzauftrag berührt oder verletzt, wenn staatliche Stellen Tötungen von Tieren rechtlich zulassen oder selbst veranlassen? 

Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, welches Gewicht gegenläufigen, ebenfalls verfassungsrechtlich verbürgten Interessen einzuräumen ist, die die konkrete Tötung im speziellen Fall rechtfertigen könnten. Lässt sich eine gegenwärtige Gefahr etwa für die körperliche Unversehrtheit eines Menschen nicht anders als durch die Tötung eines Tieres beenden, kann die Tötung auch verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. 

Ist die Tötung nicht gerechtfertigt, hat der Staat demgegenüber einzugreifen und die Tötung zu verhindern. Entsprechende Maßnahmen lassen sich unter anderem auf § 16a TierSchG stützen, eine gefahrenabwehrrechtliche Vorschrift im TierSchG selbst. In Fällen, in denen verantwortliche Personen ihrer Verpflichtung vorsätzlich nicht nachkommen und dadurch die rechtswidrige Tötung eines Tieres ermöglichen, ist daher auch immer an eine Unterlassensstrafbarkeit zu denken.  

LTO: Aus ethischer Perspektive werden Zoos zunehmend infrage gestellt, insbesondere mit Blick auf die oft nicht artgerechte Tierhaltung. Sollten Zoos gesetzlich verpflichtet werden, in Fällen von Platzmangel alternative Lösungen wie Auswilderung oder Austausch mit anderen Einrichtungen in Betracht zu ziehen, sofern dies zumutbar ist? 

Ja, eine entsprechende Verpflichtung ist in Rechtsprechung und Literatur auch anerkannt. Auswilderung und Austausch mit anderen Einrichtungen sind zwingende mildere Mittel zur Tötung der Tiere. Gleiches gilt im Grundsatz auch für eine gegebenenfalls erforderliche Erweiterung der Anlage. Die Tötung von Tieren aus Platzgründen darf nur ultima ratio sein und kommt grundsätzlich nur in Betracht, wenn die konkrete Situation jedenfalls nicht vorsätzlich herbeigeführt und damit verschuldet worden ist. 

Vielen Dank für das Gespräch. 

Sönke Gerhold. Foto: Matej Meza/Universität Bremen

Prof. Dr. Sönke Gerhold ist Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht, Medienstrafrecht und Strafvollzugsrecht an der Universität Bremen sowie Dekan des Fachbereichs Rechtswissenschaft. Er leitet die dortige Forschungsstelle für Tier- und Tierschutzrecht. 

Zitiervorschlag

Tiergarten Nürnberg erschießt zwölf Paviane:

. In: Legal Tribune Online,
31.07.2025
, https://www.lto.de/persistent/a_id/57809 (abgerufen am:
31.07.2025
)

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