Drei muslimische Mädchen gehen auf dem Trottoir unter Loto- und Presseschildern in der französischen Stadt Strasbourg

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Gesetzesverschärfung gegen islamistischen Extremismus soll das Einfrieren von Geldern auch ohne Straftat ermöglichen. Analyse und Hintergründe.

Staatspräsident Emmanuel Macron kündigte persönlich einen neuen Gesetzentwurf gegen Parallelgefahren und islamistische Bedrohungen an.

Dem Präsidenten, dem seit der erfolglosen Parlamentsauflösung im Juni 2024 weitgehend die innenpolitische Initiative entglitten ist und der sich auf Themenfelder der Außenpolitik zurückziehen musste, war es Anfang Juli wichtig, einen Krisenstab einzuberufen.

Dessen offizielle Bezeichnung conseil de défense, also „Verteidigungsrat“, enthält Anklänge an Krieg und fundamentale Bedrohungen des Staates, auch wenn Krisenstäbe in Frankreich ganz allgemein so bezeichnet werden, etwa auch im Katastrophenschutz.

Anlässlich der Sitzung kündigte Macron an, dass er von der Regierung unter François Bayrou bis zum Ende des Sommers einen Gesetzestext wolle. Als Staatsoberhaupt hat Macron keine Gesetzgebungsbefugnisse.

Im Frankreich der Fünften Republik tritt der Staatschef auch nicht im Parlament auf. Er kann es höchstens auflösen sowie Premierminister einsetzen und entlassen und dadurch Einfluss auf die Regierungsgeschäfte nehmen. In diese mischt er sich sonst nicht direkt ein. In diesem Fall tut er es jedoch bereits.

Das Einfrieren von Guthaben und Geldbeträgen

Worum geht es? Konkret soll das Einfrieren von Guthaben und Geldbeträgen, das bisher nur bei „terroristischen Aktivitäten“ möglich ist, gegenüber Personenvereinigungen generell beim „Verdacht auf islamistischen Entrismus“ ermöglicht werden.

Damit würde ein schweres juristisches Geschütz, das bislang bei schweren Straftatbeständen zum Einsatz kommt, auf rein ideologisch definierte Sachverhalte ohne jeglichen Strafrechtsbezug ausgedehnt werden. Der Begriff des Terrorismus ist zwar nicht genau definiert, er ist aber jedenfalls Gegenstand strafrechtlicher Regeln im französischen Strafgesetzbuch.

Sanktionen auch gegen NGO

Laut denselben Presseberichten soll auch die seit dem „Anti-Separatismus-Gesetz“ von 2021 bestehende rechtliche Möglichkeit finanzieller Sanktionen, etwa durch das Einfrieren staatlicher oder kommunaler Subventionen, gegen Vereine oder Nichtregierungsorganisationen bei „Nichtbeachtung republikanischer Prinzipien“ leichter und schneller angewendet werden können.

Diese restriktiven Maßnahmen wurden damals, nach dem Mordattentat eines tschetschenischen Dschihadisten auf den Lehrer Samuel Paty im Oktober 2021 in Conflans-Sainte-Honorine bei Paris, mit der Bekämpfung „islamistischer Parallelgesellschaften“ begründet.

Das neue gesetzliche Arsenal, mit dem Vereine und Nichtregierungsorganisationen – französisch unter dem Oberbegriff associations (Personenvereinigungen) zusammengefasst – quasi unter staatliche Aufsicht gestellt und zur Unterschreibung von Verpflichtungserklärungen auf den „Respekt republikanischer Werte“ werden, fand allerdings in der Folge Anwendung gegen lästige Klimaaktivistinnen und Umweltschützer

Bei der Begründung geht es dieses Mal nicht einmal um terroristische Aktivitäten oder Straftaten, sondern um ein relativ diffuses Bedrohungsszenario, das auf dem Begriff des „Entrismus“ aufbaut.

Was ist Entrismus?

Dieser Begriff wurde im frühen 20. Jahrhundert für revolutionäre Minderheiten geprägt, die in größere Parteien der Arbeiterbewegung – beispielsweise sozialdemokratische – eintraten, um auf diese von innen heraus Einfluss zu nehmen. Er stammt vom französischen „entrer“ für „eintreten“.

Den Vorwurf, Entrismus zu betreiben, ziehen sich nun jedoch die Muslimbrüder zu. Sie betätigen sich beispielsweise demokratisch und treten zu Kommunalwahlen an, die im März 2026 in ganz Frankreich anstehen.

Muslimbrüder in Frankreich

Bei ihnen handelt es sich um eine 1928 in Ägypten gegründete, rechtsorientierte politische Bewegung. Sie propagiert die Rückkehr zur vermeintlichen Reinheit früherer Werte und verspricht, nordafrikanische oder nahöstliche Gesellschaften von den Folgen des „kolonialen Schocks“ und der Form, in der die Moderne bei ihnen einbrach – verbunden mit militärischen und politischen Aggressionen im 18. und 19. Jahrhundert – zu heilen.

In Frankreich sollen sie laut auch ihnen wenig wohlgesonnenen Quellen wie dem christlichen Magazin Pèlerin und dem pro-israelischen Journalisten Michaël Parzen zwischen 400 und 1.000 Mitglieder verfügen.

Das wäre eher die Dimension einer kleineren unter vielen politischen oder religiösen Splittergruppen und Sekten und auf jeden Fall kein furchterregendes Ausmaß.

Zugleich trifft es natürlich zu, dass sich die organisierten Anhänger dieser internationalen Strömung auch in breiteren Milieus bewegen können, in denen ihre grundlegenden politischen Ausrichtungen nicht geteilt werden, der Wunsch nach einer „verstärkten Rückbesinnung auf muslimische Werte“ jedoch durchaus. Dies gilt etwa für die Einwanderungsbevölkerung und ihre Nachfahren.

Solche Vorstellungen können beispielsweise unter dem Eindruck von Erfahrungen wie Kriminalität in sogenannten sozialen Brennpunkten, die dann als Ausdruck von Werteverfall interpretiert wird, erlebter sozialer Prekarität und damit einhergehender Verunsicherung in der allgemeinen Lebenseinstellung oder auch unter dem Eindruck eines „Nichtankommens“ in der französischen Mehrheitsgesellschaft bei einem etwas breiteren Publikum Anklang finden.

Die Kritik

Kritik an der Ideologie der Muslimbrüder und anderer politisch-religiöser Strömungen, die im Kern eine reaktionäre Utopie predigen, ist berechtigt.

In den letzten Jahren ist jedoch eine Flut an entweder sensationsheischender oder aus politischen Interessen – etwa genereller Islam- und „Ausländer“-Feindlichkeit resultierender Literatur entstanden, in der die erwähnte breitere Tiefenströmung zugunsten einer Bewahrung muslimischer Werte generell als Ausdruck organisatorischer Wühlarbeit einer nun als übermächtig starken, geheimen Struktur ausgemalt wird.

Demnach sind Konflikte und Reibungen im Sport – etwa wenn muslimische Frauen gern mit Kopftuch Ball spielen würden – oder bei Schulausflügen, bei denen mitunter kopftuchtragende Mütter ihren Nachwuchs begleiten wollen, was von manchen Politikern als Widerspruch zum laizistischen Anspruch des französischen Bildungswesens kritisiert wird, allesamt nur Ausdrucksformen des geheimen Wirkens einer unsichtbaren, doch mächtigen Zentralorganisation. Einer gewaltigen Bewegung der Muslimbrüder in Frankreich.

Mit solchen Ausführungen und Thesen hat sich in den letzten Jahren etwa die Anthropologin Florence Bergeaud-Blackler hervorgetan. Ihre inzwischen zahlreichen Bücher, die mitunter verschwörungstheoretisch inspiriert sind und sich mit der scheinbar übermächtigen Wirkung der Muslimbrüder befassen – ein Thema, das zu ihrem Lebensthema geworden ist –, trugen ihr neben einigen üblen Morddrohungen auch wissenschaftlich fundierte Kritik von Forschern der Gesellschaftswissenschaften ein.

Seit mehreren Fernsehauftritten und Twitter-Nachrichten von Bergeaud-Blackler im Frühsommer 2024 rund um die damaligen vorgezogenen Neuwahlen ist allerdings auch der Lack der vermeintlichen politischen Neutralität von ihr abgebröckelt.

Sie setzte sich damals doch mehr als offen für einen Wahlsieg des rechtsextremen Rassemblement national (RN) ein, um später zu beklagen, das Wahlsystem habe den RN leider benachteiligt.

Die teilweise überzogenen Behauptungen über den vermeintlich nahezu allgegenwärtigen Einfluss der „Muslimbrüder-Krake“ fanden aber auch in einem Untersuchungsbericht des französischen Innenministeriums, der im Mai dieses Jahres publiziert wurde, erkennbaren Einfluss.

Die parlamentarische Untersuchungskommission

Amtsinhaber im Innenministerium ist seit September 2024 der weit rechts stehende Bruno Retailleau. Dennoch blieben die zunächst aus dem Ministerium nach der Publikation des Berichts im Mai 2025 geäußerten Vorschläge relativ moderat oder eher technischer Natur und hoben sich damit leicht vom stark alarmistischen Tonfall des Berichts ab. Genau deswegen ordnete Macron den oben zitierten Krisenstab vom 07.07.25 an.

Zusätzlich gibt es inzwischen auch eine parlamentarische Untersuchungskommission zu einer verwandten Thematik. Diese hat jedoch die Besonderheit, dass sie von vornherein darauf abzielt, eine bestimmte politische Partei aufgrund ihrer Ausrichtung – und nicht aufgrund strafrechtlich relevanter Aktivitäten – an den Pranger zu stellen.

Im ersten Anlauf stufte die für diese zuständige Kommission der Nationalversammlung für juristische Angelegenheiten die Einrichtung der Kommission übrigens als unzulässig ein und lehnte sie ab. Danach kam sie dann aber rund vierzehn Tage später doch noch zustande, nachdem ihr Titel kurz umformuliert worden war.

Beantragt hatten ihre Einrichtung Abgeordnete der französischen Konservativen unter der Führung von Laurent Wauquiez, der im Mai dieses Jahres vorschlug, ausreisepflichtige Ausländer aus ganz Frankreich auf die kleine Inselgruppe Saint-Pierre-et-Miquelon vor der Küste Kanadas zu verbannen. Mit der Kommission wollten sie die linkspopulistische Wahlplattform La France Insoumise (LFI, „Das unbeugsame Frankreich“) an den Pranger stellen.

Wahlkampf und Minderheitenpolitik

Dazu gäbe es zu sagen, dass die Wahlplattform sich tatsächlich aus wahlpolitisch-opportunistischen Kräften teilweise hemdsärmelig im Zusammenhang mit der Minderheitenpolitik und – aufgrund schwelender Konflikte zwischen manchen muslimischen und manchen jüdischen Bevölkerungsteilen in Frankreich – auch mit ihrer vereinfachenden Darstellung des Nahostkonflikts auftritt.

Dabei tritt sie bisweilen unkritisch auf und differenziert nicht hinreichend zwischen eher linksorientierten oder liberalen und ausgemacht reaktionären Muslimen. Sie tritt unterscheidungslos als Verteidigerin der Bevölkerung mit muslimischem und/oder migrantischem Hintergrund auf. Während dies in der Abwehr gegen den tatsächlich zunehmend an politischem Einfluss gewinnenden Rassismus statthaft wäre, ist es als Gesamtauftritt kritikwürdig.

Dies hat sehr durchsichtige wahlpolitische Hintergründe. Denn der LFI-Gründer und Präsidentschaftskandidat Jean-Luc Mélenchon macht keinen Hehl aus seinen Ambitionen: Er betrachtet es als die Wunde seines Lebens, dass er bei der Präsidentschaftswahl 2022 nur 400.000 Stimmen von der Zweitplatzierten und damit von der Stichwahl entfernt war. Diese war die Rechtsextreme Marine Le Pen.

Seitdem beschäftigt ihn immer wieder die Frage, wo die 400.000 gefehlt hätten. Darauf hat er auch immer wieder eine Antwort gegeben. Hätten in den von sozial benachteiligten Gruppen bewohnten Pariser (und Lyoner) Trabantenstädten, in denen LFI zur stärksten Partei geworden war, gleichzeitig aber auch die Stimmenthaltung weit überdurchschnittlich hoch war, mehr Menschen gewählt, dann hätte es gereicht.

Seitdem predigt Mélenchon seinen Leuten wie ein Mantra, dass man genau dort die fehlenden 400.000 Stimmen für das nächste Mal auftreiben müsse. Was jedoch nicht funktionieren wird, denn mit ihrem derzeitigen Profilierungsversuch, der vielfach aneckt – aus klar rassistischen Motiven bei den einen, wegen Kritik an mangelnder Differenzierung oder aus der Befürchtung mangelnder Sensibilität für Antisemitismus bei anderen – droht LFI, anderswo mehr Stimmen zu verlieren, als sie hinzugewinnen könnte.

Es handelt sich aber eben um platte Wahltaktik. Was bei manchen Konservativen – und darüber hinaus natürlich bei Rechtsextremen – daraus wird, ist etwas ganz anderes: eine Verschwörung mit den Feinden der Nation, um Frankreich in den Untergang zu reißen.

Die von den Konservativen beantragte und erhaltene parlamentarische Untersuchungskommission wurde umbenannt, da der Name „LFI“ nicht mehr im Titel genannt werden durfte, um den Anschein parteipolitischer Neutralität des Ausschusses zu wahren. Der Name lautet nun: „Ausschuss zu den bestehenden Verbindungen zwischen den Vertretern politischer Bewegungen und solchen Organisationen, die Terrorismus unterstützen oder islamistische Ideologie propagieren. „

Das klingt eher wie eine Anklageschrift in einem Hochverratsprozess vor einem Sondergerichtshof mit anti-islamistischem Auftrag formuliert – und das trifft sich gut, denn der RN fordert die Einrichtung eines solchen Sondergerichtshofs für Staatssicherheit mit anti-islamistischem Auftrag.

Ein parlamentarischer Untersuchungsauftrag müsste im Prinzip überparteilich formuliert sein. Doch in der Leitung der neuen Untersuchungskommission findet sich keine Vertreterin bzw. kein Vertreter der heterogenen Linkskräfte. Eine einzelne rechte Sozialdemokratin, die dort isoliert hockte, legte alsbald ihr Amt nieder.

Das Thema tatsächlichen, vermeintlichen und angeblichen islamistischen Einflusses in Frankreich dürfte also auch weiterhin die politische Öffentlichkeit in Frankreich beschäftigten. Nicht ohne vor den offensichtlichsten Instrumentalisierungen und Manipulationen gefeit zu sein.

Teil 2: Über internationale Hintergründe: Frankreich, die Muslimbrüder und der Maghreb