Berlin, 04.11.2023: Demonstranten mit einem Transparent mit der Aufschrift "From the River to the Sea, Palestine will be free"

Die Berliner Staatsanwaltschaft will die umstrittene Parole „From the River to the Sea“ weiter strafrechtlich verfolgen. picture alliance / IPON | Stefan Boness

Trotz eines Teilfreispruchs durch das AG Tiergarten in der vergangenen Woche hält die Berliner Staatsanwaltschaft an ihrer Rechtsauffassung zu der umstrittenen Parole fest. Obergerichtliche Klärung ist nicht in Sicht. Ein Überblick.

Die Berliner Polizei wird weiterhin einschreiten, wenn Menschen die umstrittene propalästinensische Parole „From the River to the Sea“ skandieren. Da die Staatsanwaltschaft von der Strafbarkeit des Slogans ausgehe, müsse die Polizei die Personalien aufnehmen, damit später eine rechtliche Bewertung der Situation überhaupt möglich sei, erklärte Behördensprecherin Anja Dierschke. „Beim Vorliegen eines Anfangsverdachts einer Straftat sind wir verpflichtet, diese zu verfolgen und deren Fortsetzung zu verhindern.“

Ein Urteil des Amtsgerichts (AG) Berlin-Tiergarten aus der vergangenen Woche hatte eine Diskussion ausgelöst. Dort sprach das Gericht eine Aktivistin vom Vorwurf der Verwendung von Kennzeichen verbotenener oder terroristischer Organisationen (§ 86a Strafgesetzbuch, StGB) frei. Der Ausspruch sei nicht per se Kennzeichen der Hamas, so die Begründung. Der Kontext der Äußerung im Einzelfall sei entscheidend.

Die Strafbarkeit ist unter den Gerichten umstritten. Oft wird der Slogan in Verbindung mit dem Zusatz „Palestine will be free“ skandiert. Mit dem Ausspruch insgesamt ist gemeint, es solle ein freies Palästina geben auf dem Gebiet zwischen Jordan und Mittelmeer – also dort, wo sich heute Israel und die von Israel besetzten palästinensischen Gebiete befinden. Viele sehen darin einen Aufruf zur Vernichtung des Staates Israels und zur gewaltsamen Vertreibung seiner mehrheitlich jüdischen Bevölkerung. Andere verstehen ihn als Ausdruck des Wunsches nach friedlichem Zusammenleben von Juden und Arabern innerhalb der Grenzen des historischen britischen Mandatsgebiets Palästina.

BMI-Verfügung als Ausgangspunkt

Angesichts der unterschiedlichen Rechtsprechung zur Strafbarkeit der Parole, auch beim AG Tiergarten und dem Landgericht (LG) Berlin I, herrscht bei der Polizei Unsicherheit. Mit Blick auf die Vielzahl von Demonstrationen in der Hauptstadt im Kontext des Nahost-Konflikts sei für die Einsatzkräfte aber Handlungssicherheit wichtig, so Dierschke. Man habe die Staatsanwaltschaft deshalb um eine Bewertung der aktuellen Rechtslage gebeten. Diese sieht weiterhin einen Anfangsverdacht für die Strafbarkeit der Parole. „Eine Klarstellung der Strafbarkeit durch ein Obergericht wäre für uns alle immens wichtig“, so Polizeisprecherin Dierschke.

Die Hauptstreitfrage, ob der Spruch „from the River to the Sea“ ein Kennzeichen der Hamas ist und damit unter § 86a StGB fällt, war nach einer entsprechenden Verurteilung durch die Staatsschutzkammer des LG Berlin I vom November 2024 bereits beim Bundesgerichtshof anhängig. Im März wurde aber bekannt, dass die Verteidigung die Revision zurückgenommen hat.

Die Strafverfolgung nach § 86a StGB geht zurück auf eine Verfügung des Bundesinnenministeriums vom November 2023. Damit erließ das Ministerium gegen Hamas ein Betätigungsverbot in Deutschland und ordnete verschiedene Symbole der Hamas als Kennzeichen zu, um diese der Strafbarkeit zu unterstellen. Darunter war auch der Ausspruch „vom Fluss bis zum Meer“, in sämtlichen Sprachen. LTO hatte berichtet.

Uneinheitliche Rechtsprechung

Ende Mai 2024 entschied eine Strafkammer am LG Mannheim in einem vielbeachteten rechtskräftigen Beschluss, dass die Parole nicht per se strafbar sei. Neben dem Urteil des LG Berlin I vom November gibt es mindestens zwei weitere Entscheidungen des LG Berlin: Im April entschied die 4. große Strafkammer rechtskräftig, dass die Parole jedenfalls im Kontext einer Demo anlässlich des Weltfrauentags straflos bleibe, weil sie keinen erkennbaren Bezug zur Hamas-Ideologie aufweise. Im Februar hatte eine andere Strafkammer den Spruch dagegen generell als Hamas-Kennzeichen eingestuft und einen Nichteröffnungsbeschluss des AG Tiergarten aufgehoben.

Staatsanwaltschaften in anderen Bundesländern ordnen die Parole ebenfalls entsprechend ein und verfolgen sie strafrechtlich, darunter Bayern, das Saarland sowie Sachsen und Thüringen. Auch Niedersachsen geht von einer Strafbarkeit der Parole aus, wenn ein erkennbarer Bezug zur Hamas oder zum verbotenen palästinensischen Netzwerk „Samidoun“ besteht.

Auch die Verwaltungsgerichte hatten mehrfach über den Slogan zu entscheiden. Das Oberverwaltungsgericht Bremen und der Veraltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg gehen regelmäßig von einer Strafbarkeit aus. Der bayerische VGH betonte in zwei Entscheidungen mit unterschiedlichen Ergebnissen (hier und hier) die Pflicht der Versammlungsbehörde, die ideologische Nähe der Demo-Teilnehmer zur Hamas tatsachenbasiert darzulegen. Der Hessische VGH entschied hingegen im März 2024, dass die Parole bei einer Frankfurter Kundgebung nicht untersagt werden dürfe.

Eine Strafbarkeit wegen anderer Delikte kommt nur selten in Betracht. In engem zeitlichen Kontext zum Überfall der Hamas auf Israel kann die Parole als Billigung von Straftaten (§ 140 StGB) ausgelegt werden. Das AG Tiergarten verurteilte eine Frau im August 2024, weil sie die Parole vier Tage nach dem 7. Oktober auf einer Versammlung in Berlin-Neukölln skandierte. In Duisburg wurde im Mai 2025 allerdings ein Mann in zweiter Instanz freigesprochen, der den Spruch am 9. Oktober 2023 einmal auf Facebook gepostet und ihn später auf einer Demo gerufen hatte. Die zeitliche Nähe allein reiche nicht, so das dortige LG.

Polizei geht weiter gegen Palästina-Demos vor

Am Dienstag forderten mehr als 50 Rechtsanwälte die Berliner Polizei und Staatsanwaltschaft in einem offenen Brief auf, die generelle Verfolgung der Parole einzustellen. Mitinitiator Benjamin Düsberg erklärte gegenüber der taz, die fortgesetzte Kriminalisierung trotz gegenteiliger Urteile berge ein unnötig hohes Eskalationspotential. Derzeit seien noch mehrere hundert Verfahren anhängig.

In Berlin finden seit dem Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 und dem unmittelbar darauffolgenden Beginn des Gaza-Kriegs regelmäßig Demonstrationen statt. Allein zwischen dem 1. Mai und 31. Juli verzeichnete die Polizei mehr als 260 angemeldete Versammlungen, hinzu kamen zahlreiche spontane Proteste. Rund zwei Drittel der Versammlungen sind laut Polizei propalästinensisch geprägt. Die Proteste richten sowohl gegen Israels Kriegsführung in Gaza als auch gegen die Besetzung der palästinensischen Gebiete durch Israel. In seinem Gutachten vom Juli 2024 hatte der Internationale Gerichtshof die Besetzung für völkerrechtswidrig erklärt. Die Kriegsführung in Gaza erfüllt nach Einschätzung von Völkerrechtlern diverse Tatbestände von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Auch die Stimmen, die einen Völkermord sehen, mehren sich.

Infolge des Einschreitens der Berliner Polizei gegen die Parole kommt es immer wieder zu tumultartigen Szenen und Festnahmen auf propalästinensischen Demos. Dies zog bereits internationale Kritik auf sich: Der Menschenrechtskommissar des Europarates Michael O’Flaherty kritisierte in einem Brandbrief an Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) vom Juni die deutschen Behörden für ihr Vorgehen.

Mit Material der dpa

Zitiervorschlag

„From the River to the Sea“:

. In: Legal Tribune Online,
07.08.2025
, https://www.lto.de/persistent/a_id/57859 (abgerufen am:
08.08.2025
)

Kopieren
Infos zum Zitiervorschlag