Der neue SPD-Vorschlag überrascht. Statt einer Rechtsprofessorin mit Ecken und Kanten soll eine Richterin mit technischer Expertise Bundesverfassungsrichterin werden. Eine feige oder kluge Entscheidung? Und wie sicher ist ihre Wahl?

„Wir haben einen Namen, und den werde ich jetzt aber garantiert nicht nennen“, sagte SPD-Fraktionschef Matthias Miersch am 21. August im Interview mit dem TV-Sender n-tv. Tatsächlich hielten die Geheimnisträger drei Wochen dicht. Bis nun am heutigen Mittwoch – wieder über n-tv – ein Schreiben der Fraktionsführungen von SPD und CDU/CSU an ihre Abgeordneten bekannt wurde, in dem der Name verraten wurde: Sigrid Emmenegger.

Sigrid Emmenegger? Sie ist Richterin am Bundesverwaltungsgericht, 48 Jahre alt, promovierte einst bei Andreas Voßkuhle, bei dem sie von 2009 bis 2013 auch wissenschaftliche Mitarbeiterin am BVerfG war.

Expertin für Hochspannungsmasten

Mit Sigrid Emmenegger hat von den außenstehenden Beobachtern wohl niemand gerechnet. Zum einen sind Richter von Bundesgerichten in der Regel wenig bekannt. Vor allem aber hat wohl kaum jemand eine Bundesrichterin als Vorschlag erwartet. Schließlich ist Sigrid Emmenegger Ersatz für Frauke Brosius-Gersdorf, die Potsdamer Rechtsprofessorin, die bei der CDU/CSU vor allem mit ihrer liberalen verfassungsrechtlichen Position zum Schwangerschaftsabbruch aneckte.

Nachdem Brosius-Gersdorf angesichts des nachhaltigen Widerstands der Unionsabgeordneten Anfang August ihre Kandidatur zurückzog, war vielmehr damit gerechnet worden, dass die SPD nun wieder eine Frau, wieder eine Rechtsprofessorin und wieder eine Feministin nominiert. Schon um der Union zu zeigen, dass sie nach der von Rechtsaußen gesteuerten Kampagne gegen Brosius-Gersdorf nicht einknickt.

Nun also Sigrid Emmenegger, die in den letzten fünf Jahren vor allem über Höchstspannungsfreileitungen und Erdkabel publiziert hat – Themen also, mit denen sie im Bundesverwaltungsgericht befasst war. Möglicherweise hält auch sie die bisherige Karlsruher Abtreibungsrechtsprechung für überholt. Aber man weiß es nicht und man sieht es nicht. Emmenegger scheint zumindest auf den ersten Blick keine Angriffspunkte für eine neue Kampagne zu bieten. Man kann nun lange diskutieren, ob die SPD hier klug oder feige agiert.

Vielleicht wollte sich aber auch nur keine der feministischen Rechtsprofessorinnen dem Hass und den Verleumdungen aussetzen, die Brosius-Gersdorf erfahren musste.

Wer wird Vizepräsidentin und dann Präsidentin?

Unklar ist noch, ob Emmenegger „nur“ einfache Verfassungsrichterin wird oder zugleich auch Vorsitzende des Zweiten Senats und Vizepräsidentin – und ab 2030 (nach dem Ausscheiden von Stephan Harbarth) dann neue Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts. Formal soll Emmenegger den Sitz der bisherigen Vizepräsidentin Doris König einnehmen. Aber parallel soll im Bundestag auch die Münchener Rechtsprofessorin Ann-Katrin Kaufhold gewählt werden, die in den Turbulenzen der letzten Wochen auch schon als Vizepräsidentin und spätere Präsidentin im Gespräch war – um Brosius-Gersdorf etwas aus der Schusslinie zu bringen, was aber nicht gelungen war.

Kaufhold soll (ebenfalls im Zweiten Senat) auf Richter Ulrich Maidowski folgen, der ab 1. Oktober aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand gehen will. Die langen Turbulenzen um die BVerfG-Richterwahl haben dazu geführt, dass nun beide SPD-Kandidatinnen ihr Amt gleichzeitig antreten können. Deshalb kann und muss die SPD jetzt auswählen, wem sie mehr repräsentatives Geschick zutraut. Immerhin ist die (Vize-)Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts in den kommenden aufwühlenden Zeiten eine Person, die wie ein rechtsstaatlicher Fels in der populistischen Brandung wirken muss.

Die Zwei-Drittel-Mehrheit steht noch nicht

Neben Emmenegger und Kaufhold wird noch ein dritter BVerfG-Kandidat zur Wahl stehen: der Bundesarbeitsrichter Günter Spinner, ein Vorschlag der CDU/CSU. Wie die beiden anderen Personalvorschläge braucht auch er eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag.

Dabei ist noch ungeklärt, wie insbesondere die Zwei-Drittel-Mehrheit für Günter Spinner zustande kommen soll. CDU/CSU und SPD haben im Bundestag nicht einmal gemeinsam mit den Grünen eine Zwei-Drittel-Mehrheit; es fehlen sieben Stimmen.

Dabei will niemand auf die Stimmen der AfD setzen, die im Juli allerdings angekündigt hatte, für Spinner zu stimmen. Deshalb müsste die Linke von einem Votum für Spinner überzeugt werden – und zwar von der Union, deren Kandidat Spinner ja ist.

„Die Union ist auf uns aber immer noch nicht zugekommen“, sagte Clara Bünger, die innenpolitische Sprecherin der Linken, auf Nachfrage. Seit dem Juli hat sich also nichts bewegt. Es drohen möglicherweise unliebsame Überraschungen bei der Richterwahl, die für den 26. September geplant ist.

Zitiervorschlag

BVerfG-Kandidatin Emmenegger mit technischem Schwerpunkt:

. In: Legal Tribune Online,
11.09.2025
, https://www.lto.de/persistent/a_id/58122 (abgerufen am:
12.09.2025
)

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