Das Schleswig-Holsteinische OVG bestätigt: Vom Kraftfahrt-Bundesamt genehmigte VW-Abschalteinrichtungen sind illegal. Das Urteil im Musterverfahren dürfte Auswirkungen auf Millionen Dieselfahrzeuge haben. Es droht sogar die Stilllegung.

Von VW verwendete Abschalteinrichtungen, sogenannte Thermofenster, sind illegal. Das hat das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht (OVG) bestätigt. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) muss nun VW auffordern, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die betroffenen Autos nachzurüsten. Das Verfahren betrifft formal zunächst nur den Volkswagen Golf Plus TDI (2,0 Liter, Motortyp EA 189 Euro 5), gilt aber als Musterverfahren. Nach Angaben der Deutschen Umwelthilfe (DUH) ist das Urteil wegweisend für rund 7,8 Millionen Dieselfahrzeuge der Abgasnormen Euro 5 bis 6c mit ähnlicher Software, die noch auf deutschen Straßen unterwegs sind. So seien Verfahren zu 118 weiteren Genehmigungen des KBA für Dieselfahrzeuge diverser Hersteller anhängig.

Das KBA hatte im Zuge des Dieselskandals von 2015 von VW verlangt, die Software zu aktualisieren und die skandalträchtige Abschalteinrichtung, eine Prüfstandserkennung, zu entfernen. Allerdings stufte das KBA in Freigabebescheiden weitere VW-Abschalteinrichtungen als zulässig ein. Auch die sogenannten Thermofenster. Dabei handelt es sich um eine Software, die dafür sorgt, dass die Abgasreinigung bei in Europa völlig üblichen Temperaturen von beispielsweise 10 Grad heruntergeregelt wird, mit damit einhergehenden Gesundheitsgefährdungen für die Bevölkerung. 

Die DUH griff die Freigabebescheide des KBA an und verlangte von der Behörde zudem, die Entfernung von Abschalteinrichtungen anzuordnen. Dem kam das KBA nicht nach, woraufhin die DUH Klage beim VG Schleswig einreichte. Nachdem es zunächst eine Klage der DUH für unzulässig erklärte, legte das Gericht in einem erneuten Verfahren dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) mehrere Fragen vor.

VG folgte dem EuGH

Der EuGH bejahte im Vorabentscheidungsverfahren einerseits die Klagebefugnis der DUH. Zudem stellte der EuGH wiederholt fest, dass die Vorschrift für eine ausnahmsweise Zulässigkeit von Abschalteinrichtungen (Art. 5 Abs. 2 EG-Verordnung 715/2007) aus Motorschutzgründen eng auszulegen sei, sich auf plötzlich auftretende Schäden am Motor selbst beschränke. Eine Notwendigkeit zur Abschaltung käme zudem nur in Betracht, wenn keine andere technische Lösung vorliege, die solche Motorschutzschäden abwenden könne. Zudem stellte der EuGH klar, dass die Ausnahme (Abschalten der Abgasreinigung) nicht häufiger auftreten dürfe als das Verbot. Daher wäre eine Abgasreinigung, die nicht während des überwiegenden Teils des Jahres funktioniere, auf jeden Fall rechtswidrig.

Das VG Schleswig folgte in seinem Urteil der engen Auslegung des EuGH und verneinte bereits die Frage, ob Abschalteinrichtungen notwendig seien, um Beschädigungen am Motor zu verhindern. Es ließ die Berufung zugelassen, über die nun das OVG entschieden hat. 

Der 4. Senat hat nach einer zweitägigen mündlichen Verhandlung die Berufungen des KBA und der Volkswagen AG zurückgewiesen. Der Senat bestätigte, dass das Software-Update für die Motorsteuerung des in Frage stehenden Fahrzeugtyps (im VW Golf 2.0 TDI mit dem EA 189 Motor der Abgasstufe Euro 5) zwei unzulässige Abschalteinrichtungen der Abgasrückführung enthielt. Das KBA sei daher verpflichtet, die VW umgehend aufzufordern, innerhalb eines angemessenen Zeitraums alle geeigneten Abhilfemaßnahmen zu ergreifen, um die Übereinstimmung der betroffenen Fahrzeuge mit dem geltenden Recht herzustellen.

OVG bestätigt Vorliegen illegaler Abschalteinrichtungen

Der Vorsitzende führte laut Pressemitteilung bei der Verkündung des Urteils aus, dass die Abschaltung der Abgasrückführung bei Umgebungstemperaturen unterhalb von 10 Grad Celsius und bei niedrigem Umgebungsdruck oberhalb von 1.000 Höhenmeter eine nach europäischem Recht grundsätzlich unzulässige Abschalteinrichtung seien. In Anwendung der Rechtsprechung des EuGH komme eine Ausnahme zum Motorschutz nicht zum Tragen, weil relevante Teile des Gebietes der Europäischen Union bei einer monatlichen Betrachtung Durchschnittstemperaturen unter 10 Grad Celsius aufwiesen, beziehungsweise oberhalb von 1.000 Höhenmetern lägen. Insbesondere aus Gründen des Gesundheitsschutzes komme es nicht auf das Unionsgebiet insgesamt an. Sinn und Zweck der EU-Regelungen sei die Reduktion von lokal wirkenden Stickoxiden.

„Das heutige Urteil ist eine schallende Ohrfeige für alle Verkehrsminister der letzten zehn Jahre, die die Gewinne der Autokonzerne über die Gesundheit der Bevölkerung gestellt haben“, kommentiert Jürgen Resch, Geschäftsführer der DUH. Rechtsanwalt Remo Klinger ergänzt:  „Das Urteil hat eine große Bedeutung. Nicht nur, dass endlich die millionenfach zu viel Schadstoffe ausstoßenden Autos nachzurüsten sein werden, was für bessere Luft und weniger Krankheiten führt. Sondern auch, weil es ein starkes Signal für unsere unabhängige Justiz ist. Eine Justiz, bei der es nicht darauf ankommt, ob man mit dutzenden Parteivertretern in der Verhandlung erscheint und auch nicht entscheidend ist, wieviel Geld man in einen Prozess investieren kann. Es entscheidet allein das Recht und das Argument.“

Von VW gab es zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch keine offizielle Stellungnahme.

Der Senat hat die Revision zum Bundesverwaltungsgericht nicht zugelassen. Die schriftlichen Urteilsgründe liegen noch nicht vor. Innerhalb eines Monats nach deren Zustellung können das KBA und die VW Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision erheben, über die dann das Bundesverwaltungsgericht zu entscheiden hätte.

Was kommt auf Diesel-Fahrer zu?

Ob das Musterverfahren tatsächlich die von der DUH prognostizierten Folgen für sämtliche anderen Diesel-Fahrzeuge hat, deren Freigabe-Bescheid die DUH angegriffen hat, bleibt abzuwarten. Dafür spricht, dass sogar das OVG auch eine Drosselung der Abgasreinigung bei 10 Grad als rechtswidrig einstuft, viele Thermofenster aber bei sogar bei höheren Temperaturen, die Abgasreinigung reduzieren oder einstellen. 

LTO berichtete bereits 2019 darüber, dass Millionen Dieselfahrzeuge trotz Software-Update rechtswidrig auf deutschen Straßen unterwegs sind.

Was bedeutet das Urteil für Dieselfahrer? Das Problem ist, dass eine Nachrüstung in vielen Fällen nicht rechtskonform möglich ist, da es keine serienmäßige Hardware gibt, die leicht in die älteren Modelle eingebaut werden könnte. Daher droht die Stilllegung. Der Bundesgerichtshof stuft illegale Thermofenster bislang grundsätzlich nicht als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung ein und spricht Klägern nur Schadensersatz in Höhe von 5 bis 10 Prozent des Kaufpreises zu. Dies könnte bedeuten, dass Diesel-Besitzer mit hohen Verlusten rechnen müssen. 

Zitiervorschlag

OVG Schleswig-Holstein gibt Klage von DUH statt:

. In: Legal Tribune Online,
25.09.2025
, https://www.lto.de/persistent/a_id/58244 (abgerufen am:
25.09.2025
)

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